Briefe inhaftierter Journalistinnen
In der Türkei inhaftierte Journalistinnen haben sich aus Anlass des internationalen Tags der Pressefreiheit in einem Brief an ihre Kolleginnen gewandt: „Das Heute wird durch Solidarität überwunden werden“.
In der Türkei inhaftierte Journalistinnen haben sich aus Anlass des internationalen Tags der Pressefreiheit in einem Brief an ihre Kolleginnen gewandt: „Das Heute wird durch Solidarität überwunden werden“.
Nach Angaben von Berufsorganisationen befinden sich in der Türkei 180 Journalist*innen im Gefängnis. Laut der Mesopotamischen Journalistinnen-Plattform sind 24 von ihnen Frauen. Havva Cuştan und Isminaz Ergün von der Nachrichtenagentur ETHA wurden vor etwa neun Monaten verhaftet. In diesem Jahr sind Reyhan Hacıoğlu und Hicran Ürün, beide Redakteurinnen der Zeitung Özgürlükçü Demokrasi (Freiheitliche Demokratie), und die Mitarbeiterin Pınar Tarlak inhaftiert worden. Vor etwa zwei Wochen traf es die ETHA-Redakteurin Semiha Şahin und die Korrespondentin Pınar Gayıp. Die gefangenen Journalistinnen haben zum 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, Briefe an die Nachrichtenagentur JinNews geschrieben.
Die Briefe lauten:
Reyhan Hacıoğlu: „Auch wenn in einer Zeit, in der die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit jeden Monat weiter eingeschränkt werden, unsere Inhaftierung keine Überraschung darstellt, so ist schon ziemlich seltsam, dass ein Richter, der nicht einmal die Notwendigkeit verspürt, uns ins Gesicht zu sehen, unseren Journalismus als ‚Mitgliedschaft in einer [verbotenen] Organisation‘ wertet. Wir haben versucht, über die vor den Völkern verborgenen Realitäten, den Hunger, den Krieg und den Sexismus in einer verständlichen Sprache mit journalistischem Verantwortungsbewusstsein zu schreiben. Dass immer wieder zuerst die freie Presse ins Visier genommen wird, ist kein Zufall. Das Interessante ist, dass dabei nicht einmal die eigenen Gesetze eingehalten werden. Bei Nacht und Nebel kann die Tür einer Zeitung eingeschlagen und diese gestürmt werden. Eine Druckerei kann aus dem alleinigen Grund beschlagnahmt werden, weil sie diese Zeitung gedruckt hat, und die Mitarbeiter*innen der Zeitung können inhaftiert werden. Leider war das weder die erste, noch wird es die letzte Razzia gegen die freie Presse sein. Ohne Zweifel wird die Geschichte uns Recht geben. Es gibt einerseits Medien, die nicht vom Wort der Macht abweichen, und andererseits Journalist*innen, welche die Spuren der Wahrheit verfolgen. Das, was drei Wochen nach der Schließung unserer Zeitung passiert, offenbart die Gründe ihrer Schließung. Als inhaftierte Journalistin sage ich, so schlimm das, was wir erleben, auch sein mag, wir werden die Gegenwart durch Solidarität überwinden. Passt auf Euch, Eure Herzen und Eure Hoffnungen gut auf…“
Semiha Şahin: „Unsere Wohnung wurde zuerst wegen Havva durchsucht. Nach sieben Tagen in Polizeigewahrsam wurden wir inhaftiert. Die Gründe für unsere Inhaftierung unterschieden sich nicht von denen der zuvor inhaftierten Mitarbeiter*innen der Nachrichtenagentur ETHA. Unsere Artikel und Bilder werden als Beweismittel gewertet. Ich denke, das ist Teil eines Spezialkonzepts gegen ETHA im Rahmen der Repression gegen die freie Presse. ETHA hat alles, was die Regierung verbergen wollte, an die Öffentlichkeit gebracht. Die Solidarität gibt uns Kraft. Wir sind im Recht.“
Havva Cuştan: „An dem Tag, an dem ich festgenommen wurde, war ich den ganzen Tag beim Gericht. Gegen mich war vor drei Jahren ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Meine Wohnung war, ohne mich zu informieren, durchsucht worden und ich bin unter Folter festgenommen worden. Die Polizei wollte durch die Razzia der Gesellschaft und dem Gericht gegenüber den Eindruck vermitteln, dass ich schuldig bin. Wir werden am 18. Juli nach neun Monaten das erste Mal vor Gericht stehen.“
İsminaz Temel: „Weil ich über den verstorbenen Berfu Dilan Canbay in Dersim Nachforschungen angestellt habe, wurde gegen mich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ich bin mit meinem Anwalt zum Gericht in Istanbul gegangen und habe mich verteidigt. Nach drei Wochen wurde die Wohnung, in der ich zu Besuch war, durchsucht. Ich wurde festgenommen und inhaftiert. Ich bin seit 200 Tagen im Gefängnis. Der einzige Grund für meine Haft ist, dass ich eine oppositionelle Journalistin bin.“
Pınar Gayıp: „Ich möchte allen Freund*innen und Leser*innen meinen Dank aussprechen. Die Solidarität hat unsere Überzeugung, dass wir im Recht sind, gestärkt. Die Solidarität muss noch mehr wachsen, damit alle inhaftierten Journalistinnen und Journalisten schnell freigelassen werden.“