Bericht über türkische Geheimdienstaktivitäten in Deutschland

Die kurdische Investigativplattform Lekolîn berichtet über die Entsendung von MIT-Agenten nach Deutschland, darunter auch Kriegsverbrecher aus Syrien. Civaka Azad warnt vor einer erhöhten Gefahr für kurdische Aktivist:innen.

Erhöhte Gefahr für kurdische Aktivist:innen?

Sind 40 ausgebildete Spione des türkischen Geheimdienstes MIT nach Deutschland entsandt worden, um hier gegen kurdische Aktivist:innen vorzugehen? Das berichtet die kurdische Rechercheplattform Lekolîn auf Grundlage von Informationen, die ihr zugespielt sein sollen. Demnach haben sich Mitarbeiter der MIT-Abteilung für „spezielle Tätigkeiten“ kürzlich im Touristen-Hotspot Antalya-Lara heimlich mit Personen getroffen, die anschließend von verschiedenen Reiseveranstaltern nach Deutschland geschickt wurden.

Unter den Spionen sollen sich dem Bericht zufolge auch mehrere Personen befinden, die nach der türkischen Besetzung der nordsyrischen Stadt Efrîn mit dem türkischen Staat kooperiert und kurdische Aktivist:innen an die türkische Armee ausgeliefert haben. Der Bericht nennt vier Personen namentlich: Azad Birîm, Mezlûm Qulê, Yasir Eli und Ciwan Izet Mihemed. Alle vier sollen seit 2018 im Auftrag des türkischen Staates Kurd:innen aus Efrîn, die zuvor mit der Selbstverwaltung kooperiert hatten, entführt und an die türkische Besatzungsmacht ausgeliefert haben. Azad Birîm wird auch für zahlreiche Morde und Folter an Kurd:innen verantwortlich gemacht. Nun sollen sie ihre Tätigkeit für den türkischen Staat offenbar in Deutschland fortsetzen.

Geheimabteilung des MIT koordiniert Aktivitäten im Ausland

Für die Organisation des Treffens in Antalya-Lara und die Entsendung der Spione nach Deutschland soll nach Informationen von Lekolîn eine Abteilung innerhalb des MIT verantwortlich sein, deren offizielle Existenz vom türkischen Staat bis heute geleugnet wird. Die Abteilung für „spezielle Tätigkeiten“ untersteht demnach direkt dem Geheimdienstchef İbrahim Kalın. Die Geheimhaltung dieser Abteilung hänge damit zusammen, dass sich die Aktivitäten der dort angesiedelten Agenten selten auf rechtsstaatlichem Boden bewegten und für die politische Reputation der Türkei äußerst heikel sein könnten. So soll diese Abteilung an der Finanzierung und Unterstützung verschiedener islamistischer Gruppen in Syrien beteiligt gewesen sein und selbst paramilitärische Organisationen wie die Turkmenische Front, Hashd al-Watani und Roj Peschmerga im Irak durch direkte Befehlsgewalt kontrolliert haben. Auch der Einsatz islamistischer oder protürkischer Milizen im Auftrag der Regierung Erdogans in Konflikten wie Bergkarabach/Arzach oder Libyen hat in den letzten Jahren weltweit für Schlagzeilen gesorgt.

Türkischer Geheimdienst gefährdet Sicherheit in Deutschland

Dass es dem türkischen Geheimdienst nicht nur darum geht, Informationen über kurdische Aktivist:innen in Europa zu sammeln, dürfte spätestens seit dem Mord an den drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 in Paris hinreichend bekannt sein. Der Täter Ömer Güney war vom MIT rekrutiert und in die kurdischen Strukturen eingeschleust worden. Nach seiner Verhaftung starb er am 17. Dezember 2016 unter mysteriösen Umständen in seiner Zelle. Güney, der zeitweise auch in Süddeutschland lebte, ist wohl der bekannteste, aber leider nicht der einzige Fall. Auch der türkische Geheimdienstmitarbeiter Mehmet Fatih Sayan plante 2016 Attentate auf kurdische Aktivist:innen. Getarnt als Journalist soll er Teil eines dreiköpfigen Mordkommandos im Auftrag des Erdogan-Regimes gewesen sein. Nachdem er den Sicherheitsbehörden aufgefallen war, wurde er verhaftet. Vor Gericht wurde er jedoch nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Hier war die Rücksichtnahme auf die deutsch-türkischen Beziehungen wohl wichtiger als der Schutz des Lebens kurdischer Menschen.

Die Erfahrungen der Vergangenheit werfen natürlich auch die Frage auf, wie ernsthaft die deutschen Sicherheitsbehörden und die politisch Verantwortlichen mit den jüngsten Informationen über die Entsendung von 40 Geheimdienstmitarbeitern nach Deutschland umgehen werden. In dieser Gruppe dürften sich Personen befinden, die sich in Syrien Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben und das im Auftrag des türkischen Staates. Es ist auch nicht auszuschließen, dass sich darunter Personen mit islamistischem Hintergrund befinden, die in Syrien mit der Türkei kooperiert haben. Gerade nach dem Anschlag von Solingen gilt es daher, die Aktivitäten des türkischen Staates und seiner geheimdienstlichen Strukturen in Deutschland besonders genau im Auge zu behalten.

Der Artikel ist von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.