Abschied von Halil Şen in Dresden

In Dresden hat eine Abschiedszeremonie für Halil Şen stattgefunden. Der kurdische Aktivist hat sich im Februar aus Protest gegen die Isolation Abdullah Öcalans selbst verbrannt.

In tiefer Trauer und großer Wut haben Hunderte Menschen in Dresden Abschied von Halil Şen genommen. Der kurdische Aktivist hat sich am 12. Februar 2021 hinter dem Sächsischen Landtag in Dresden selbst verbrannt. Die Selbstverbrennung markierte seinen Protest gegen die anhaltende Isolation von Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Sein Leichnam wurde heute in seinen Heimatort Dih verabschiedet.

Bei der Gedenkzeremonie vor dem Dresdner Verein deutsch-kurdischer Begegnungen e.V. wurde aus dem letzten Brief von Halil Şen vorgelesen. Im Namen der Hilfsorganisation Heyva Sor a Kurdistan hielt Cengiz Toy eine Ansprache, in der er auf Şens Leben einging: „Er hat die Isolation von Abdullah Öcalan nicht hingenommen. Sein ganzes Leben ist im Widerstand vergangen. Sich an ihn zu erinnern, bedeutet seinen Kampf weiterzuführen.“

Yüksel Koç, Ko-Vorsitzender des kurdischen Europadachverbands KCDK-E, sagte in einer Rede, dass Halil Şen mit seiner Selbstverbrennung nicht nur gegen die Isolation Öcalans protestiert, sondern gleichzeitig die Kurdinnen und Kurden in Europa für ihre Passivität kritisiert habe. „Wenn wir uns an Heval Halil als einen Weggefährten erinnern, müssen wir diesen Weg weitergehen und seinen Kampf fortsetzen. Für eines freies Kurdistan und die Freiheit von Rêber Apo sind wir alles bereit zu geben. Heval Halil und allen anderen Gefallenen geben wir unser Wort: Wir werden siegen und Kurdistan befreien.“

 

„Wir nehmen Abschied"

Der Dresdner Verein deutsch kurdischer Begegnungen e.V., das Ortskomitee von Women Defend Rojava und die Initiative für Frieden in Kurdistan erklärten anlässlich der Abschiedszeremonie für Halil Şen:

„Der Akt der Selbstverbrennung ist eine der extremsten Formen des politischen Protests. Abdullah Öcalan und die kurdische Befreiungsbewegung haben diese Aktionsform wiederholt kritisiert. Nach dem internationalen Komplott, wie die kurdische Gesellschaft die völkerrechtswidrige Verschleppung von Öcalan am 15. Februar 1999 aus Kenia in die Türkei nennt, kam es weltweit zu Selbstverbrennungen. Auch in Deutschland zündeten sich dutzende Kurdinnen und Kurden aus Protest an. Zuvor kam es nach dem Betätigungsverbot gegen die PKK in Deutschland 1993 zu solchen Szenen. Die beiden Kurdinnen Bedriye Taş (Ronahî) und Nilgün Yıldırım (Bêrîvan) hatten sich am 21. März 1994 in Mannheim aus Protest gegen das Verbot der Newrozfeiern in der Bundesrepublik und der Beteiligung Deutschlands am Krieg in Kurdistan selbst verbrannt. Vor zwei Jahren hat sich Uğur Şakar aus Protest gegen die Isolation auf Imrali und die deutsche Kriminalisierungspolitik vor einem Gerichtsgebäude in Krefeld tödliche Selbstverbrennungen zugefügt. Sechs Monate zuvor hat sich der kurdische Aktivist Ümit Acar in Ingolstadt aus Protest gegen das AKP-Regime, den Krieg in Kurdistan und die Unterstützung der Bundesregierung für diesen Krieg selbst verbrannt. Am 23. Oktober 2019 hatte sich Ali Wazir, ein 31-jähriger Kurde aus Hesekê, vor dem Gebäude der UNO-Flüchtlingskommission (UNHCR) in Genf aus Protest gegen die türkische Invasion in Nordsyrien selbst angezündet.

Wir möchten nochmals mit Nachdruck betonen, dass wir die Selbstverbrennung als Protestform ablehnen. Wir rufen unsere Mitglieder und Sympathisierende auf, sich mit demokratischen Aktionsformen für die Freiheit und Rechte der kurdischen Bevölkerung einzusetzen. Aber wir machen auch die Bundesregierung für die Selbstverbrennung von Şen mitverantwortlich. Denn trotz schwerster Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates in Kurdistan dauert die politische und wirtschaftliche Rückendeckung der deutschen Bundesregierung für die Türkei unvermindert an. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Türkei und Kurdistan, sondern auch in Deutschland sind Kurdinnen und Kurden einer feindseligen Rechtspraxis ausgesetzt.

KON-MED, die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland, drückte ihr Beileid für die Familie von Halil Şen aus: ,Wir wünschen uns, dass die Selbstverbrennungsaktion von Halil Şen die letzte ihrer Art sein wird und hoffen, sie führt dazu, dass die deutsche Bundesregierung ihre politische und wirtschaftliche Unterstützung für die Türkei überdenkt, ihre Beziehungen entsprechend der Maßstäbe von Demokratie, Frieden und Menschenrechte auslegt und sich für eine politische Lösung der kurdischen Frage einsetzt.'

Wir, der Dresdner Verein deutsch kurdischer Begegnungen e.V., das Ortskomitee Dresden von Women Defend Rojava und die Initiative für Frieden in Kurdistan nehmen Abschied von unserem Freund und Weggefährten Halil. Möge er in unserer Erinnerung und unserem Kampf für Frieden, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit auf ewig weiterleben, in Kurdistan und der ganzen Welt. Şehîd Namirin! Die Gefallenen sind unsterblich.“