Reise aus der Gefangenschaft in die Berge der Freiheit

Der Guerillakämpfer Dilêr Amed erzählt ANF von seinem Weg aus dem Gefängniswiderstand in die kurdischen Berge.

Die Geschichte eines jeden Menschen ist anders. Die von Dilêr Amed ist die Verwirklichung des Traums Zehntausender, die im Moment in den türkischen Gefängnissen Widerstand leisten. Dilêr ist 2016 gemeinsam mit sechs Freunden aus dem Gefängnis von Amed ausgebrochen und setzt nun seinen Freiheitskampf in der Zap-Region fort. Wir haben mit Dilêr Amed über seinen Weg aus der Gefangenschaft in die kurdischen Berge gesprochen.

 

Können Sie uns etwas von der Zeit erzählen, in der Sie in Gefangenschaft gerieten?

Die Zeit in der ich gefangen genommen wurde, fiel mit dem Krieg 2011/2012 zusammen. In diesen Jahren gab es einen Krieg hoher Intensität in Kurdistan. Es fanden starke Offensiven mit deutlichen Ergebnissen statt. Es war ein Jahr voller Aktionen, bei denen viele Menschen ihren Mut und Heldentum bewiesen haben. 2012 gab es heftige Angriffe des Feindes in Nordkurdistan. In der Zentralregion, in Dersim und Botan fanden große Operationen statt. Ich war 2012 in Amed in einer Einheit am Akdağ. Bei einem Angriff auf unser Camp im November bin ich verletzt in Gefangenschaft geraten. Natürlich kam ich danach ins Gefängnis. Das ist auf jeden Fall die schwerste Situation, die ein Guerillakämpfer erleben kann.

In welches Gefängnis wurden Sie zuerst gebracht?

Nach der Festnahme wurde ich ins Gefängnis von Cewlîg (Bingöl) gebracht. Dort blieb ich kurze Zeit. Die Freunde dort gruben einen Fluchttunnel und ich war eine Weile an der Arbeit an dem Tunnel beteiligt. Ich bin dann aber später nach Amed verlegt worden. Natürlich konnten wir uns im Gefängnis von Amed nicht so bewegen, wie wir wollten. Der Staat verlegt uns dorthin, wo er uns haben will. Er lässt es einen permanent spüren. „Du bist unter meiner Kontrolle, du befindest dich in meinen Händen“, das ist seine Botschaft.

Was haben Sie empfunden, als Sie von der Flucht aus dem Gefängnis von Cewlîg hörten?

Die Freunde im Gefängnis von Cewlîg flohen kurz nach meiner Verlegung. Das hat mich sehr gefreut. Andererseits dachte ich: „Ach, wenn ich doch noch da gewesen wäre, dann hätte ich auch frei sein können“ oder „Wenn ich doch draußen wäre und an der Seite der Freundinnen und Freunde auf Guerillapfaden laufen könnte“.

Die Freude über Flucht aus Cewlîg wandelte sich nach kurzer Zeit in Bitterkeit, denn die Freunde wurden erwischt. Ein Teil wurde ins Gefängnis von Wan und ein Teil ins Gefängnis von Ankara verlegt. Aber wir haben uns immer wieder geschrieben und von ihnen Nachrichten erhalten. Wir versuchten zu verstehen, wie es um ihre Moral, ihre Stimmung und ihre Situation bestellt ist. Natürlich waren wir auch selber immer auf der Suche nach Fluchtmöglichkeiten.

Ein Teil der Freunde, die nach Wan verlegt worden waren, wurde später ins Gefängnis von Amed überstellt. Ihre Fluchtpläne rissen nicht ab. Sie sagten immer „Wir bleiben nicht im Gefängnis, wir akzeptieren dieses Gefängnis nicht, wenn es nötig ist, dann probieren wir es wieder und wieder. Richtig, das erste Mal hatten wir keinen Erfolg, aber beim zweiten Mal werden wir Erfolg haben. Wir lassen uns nicht einschüchtern.“

Und wie kam es dann zu Ihrer Flucht?

Wir haben uns die physischen Ausgangsbedingungen im Gefängnis von Amed vor Augen geführt und versucht, einen Plan zu entwerfen. Wir wollten es verstehen und kennenlernen. Das Gefängnis von Amed ist anders als andere Gefängnisse. Es hat auch eine wichtige ideelle Bedeutung für uns, denn es ein Ort, an dem die Tradition von Kemal, Hayri und Mazlum weiterlebt, es ist eine Festung des Widerstands. Dem Feind hier einen Schlag zu versetzen, war daher für uns von größter Bedeutung.

Auch für den Feind war das Gefängnis von Amed wichtig, denn es ist der Ort, an dem die allgemeine Gefängnispolitik gemessen wird. Die Haltung des Feindes gegenüber dem Gefängnis von Amed spiegelte sich in der Haltung und dem Umgang mit allen anderen Gefangenen wider. Es war der Ort, an dem die massivste Repression und die intensivste Politik stattfanden. Da Amed die Hauptstadt Kurdistans ist, hat dieser Punkt einen großen Einfluss. Das Gefängnis von Amed unterscheidet sich aber auch durch seine Sicherheitsarchitektur von anderen Gefängnissen. Das Gefängnis von Amed ist ein Hochsicherheitsgefängnis und der Feind brüstete sich damit.

Also, es hieß, dass eine Flucht aus Amed unmöglich ist. Dieses extreme Selbstvertrauen des Feindes war für uns ein Vorteil, denn es hatte keine Substanz. Wir haben das gemerkt. Dann haben wir einen Plan geschmiedet, ihn umgesetzt und sind geflohen. Unser Plan schloss eine lange Zeit der Vorbereitung ein, er hat uns sechs Monate gekostet. In diesen sechs Monaten machten wir einerseits Sport und bereiteten uns andererseits mental vor. Wir diskutierten andauernd, wie wir die Hindernisse, die in unserem Weg auftauchen könnten, überwinden würden.

Wir machten den Plan für sechs Freunde. Alle von uns waren Guerillakämpfer und an verschiedenen Orten gefangen genommen worden. Wir berieten uns ständig, tauschten Ideen aus und sind schließlich zur Überzeugung gekommen, dass wir es schaffen könnten. Und dann haben wir es gemacht. Wir haben die „Sicherheits“-maßnamen des Feindes, die Türme, die Anzahl der Kameras, die Alarmdrähte und die Thermalkameras einkalkuliert. Wir haben diskutiert, wie wir all diese Hindernisse überwinden können, und in jedem Bereich Alternativen entwickelt. Nach sechsmonatiger intensiver Arbeit und Vorbereitung sind wir in der Nacht des 6. März ausgebrochen.

Wie haben Sie sich nach der Flucht mit ihren Freund*innen getroffen? Können Sie von diesem Moment noch einmal kurz erzählen?

Direkt nach unserer Flucht wurden wir in Amed auf dem Land untergebracht. Hier mit den Freund*innen zusammen zu sein, war ein großes Glück, eine große Freude für uns. Kurz darauf haben wir die Einheit von Şehîd Azad Siser getroffen und waren eine Weile in der gleichen Umgebung.

Wie sind Sie in die Medya-Verteidigungsgebiete gekommen?

Da wir in der Vergangenheit bereits bei der Guerilla gewesen waren, kannten einige von uns die Provinz Amed und andere die Provinz Erzîrom. Wir wollten im Norden bleiben, aber die Freunde fanden es besser für uns, in die Verteidigungsgebiete gehen. Also gingen wir dorthin. An dieser Stelle kann ich nicht weitererzählen, ohne über Heval Azad zu sprechen. Er war 2014 bis 2015 Kommandant der Provinz Amed. Vorher war er eine Weile Kommandant von Erzîrom gewesen. Er hat insbesondere in der Kriegsphase 2015-2016 viel geleistet. Unter seiner Führung fand 2017 ein intensiver Kampf in der Region statt. Er selbst ist in diesem Krieg gefallen. Heval Azad kann als „Kommandant eines Zeitalters“ bezeichnet werden.

Jetzt sind Sie als Guerillakämpfer im Zap-Gebiet, können Sie den Kampf, den Sie führen, etwas beschreiben?

Im Jahr 2016 fand in der Zap Region ein Krieg hoher Intensität statt. Der Feind griff das Gebiet heftig an, denn die Perspektive des Feindes auf den Zap war immer eine besondere. Ob man von der Operation von 1997 oder der 2008 spricht, man kann diesen Unterschied sehen. Die Angriffe zielten immer auf eine Besatzung der Zap-Region ab. Der heftige Krieg von 2016 gewann im Jahr 2017 noch an Intensität. 2017 gab es die Qela-Bedew-Operation. Der Feind musste sich unter großen Opfern wieder zurückziehen. Es gab massiven Widerstand gegen die Operation. Wertvolle Genossinnen und Genossen sind unter der Führung von Şehîd Mervan im Widerstand gefallen. Der Kampf der Gefallenen verhinderte ein Vorrücken der feindlichen Truppen in die Region. Es wurde wahrhaftig ein Epos des Widerstands geschaffen. So war der Feind gezwungen, sich wieder zurückzuziehen. In der sich fortsetzenden Phase fand eine große Operation in Xeregol statt. In diesem Widerstand zeigte sich ebenfalls großer Heldenmut. Eine unserer Einheiten hat gegen das türkische Militär eine ganze Woche Widerstand geleistet. Obwohl der türkische Staat jede denkbare Technologie einsetzte und das Gelände unvorteilhaft war, wurde hier ein großartiger Widerstand geleistet.