Licê: Nahrungsmittelembargo und Ausgangssperre

In den ländlichen Gebieten des Kreises Licê herrscht seit Mai fast dauerhaft Ausgangssperre. Die Menschen können keine Vorräte für den bevorstehenden Winter anlegen, da die Soldaten Nahrungsmittel beschlagnahmen und vernichten.

Seit Mai werden in den ländlichen Regionen im nordkurdischen Landkreis Licê in der Provinz Amed jede Woche neue Ausgangssperren verhängt und militärische Operationen durchgeführt. Die Operationen führen zu materiellen Schäden bei der Bevölkerung und stellen eine extreme psychische Belastung dar. Mit den militärischen Einsätzen, die inzwischen auf die Gebiete Peşekevir, Koçeran, Ber Çiya, Speyni und Çeme Elika ausgeweitet wurden, sind schwere Einschränkungen für die ländliche Bevölkerung verbunden. Die Dorfbevölkerung lebt von der Weidewirtschaft und klagt, dass sie durch den Krieg aus der Region vertrieben werden soll. Immer wieder berichten die Bewohner der militärisch abgeriegelten Region von Soldaten, die in Häuser einfallen, diese durchsuchen, Personenkontrollen durchführen und sie beleidigen und bedrohen. Außerdem wird versucht, die Bevölkerung durch die Anwendung aller möglichen Druckmittel zum Spitzeldienst für den Staat zu zwingen.

„Das Essen in den Häusern wird beschlagnahmt“

In den abgeriegelten Gebieten rücken immer wieder Mitarbeiter des Stromkonzerns DEDAŞ in Begleitung von Soldaten ein und verlangen Bußgelder wegen „Stromdiebstahls“ in Höhe von 500 bis 10.000 Lira (ca. 83 – 1700 Euro). Die Bevölkerung beschwert sich über die Willkür dieser Geldstrafen. Am Eingang der betroffenen Regionen befinden sich Kontrollpunkte des Militärs, an denen die Bevölkerung systematisch schikaniert wird. Die Nahrungsmitteleinkäufe für die Wintermonate, in denen die Dörfer häufig durch den Schnee vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten sind, werden an den Kontrollpunkten beschlagnahmt. Immer wieder werden Lebensmittel auch aus saisonal bewohnten Häusern beschlagnahmt. Der Staat präsentiert diese Lebensmittel dann als angebliche Funde aus entdeckten Depots der Guerilla. Die Menschen sind sehr beunruhigt über das Vorgehen des Militärs.

„Die Lebensmittel werden vernichtet“

Die Anwohner berichten, dass jedes Fahrzeug, das in die Region einfährt, von der Armee durchsucht wird. Die Weiterfahrt ist genehmigungspflichtig. Wenn größere Mengen Nahrungsmittel im Auto gefunden werden, werden sie beschlagnahmt. „Da nun die Wintermonate begonnen haben, holen wir Nahrungsmittel, die bis zum Frühjahr reichen müssen, aber die Soldaten beschlagnahmen unser Essen aufgrund der Menge“, erklärt ein Betroffener. Insbesondere Mehl, Butter, Zucker, Bulgur und andere trockene Nahrungsmittel sowie Gasflaschen werden beschlagnahmt: „Zum Beispiel transportieren wir vier Säcke Mehl. Dann fragen sie uns ‚Warum transportiert ihr vier Säcke Mehl?‘ Sie erlauben einen oder zwei Säcke, die anderen beschlagnahmen und vernichten sie.“

„Die Region soll entvölkert werden“

In den 1990er Jahren bekamen die Dorfbewohner Laufzettel, auf denen erfasst wurde, dass sie innerhalb von 40 Tagen einen Sack Mehl mitnehmen konnten: „Einer zehnköpfigen Familie wurden 50 Kilogramm Mehl zugestanden. Was jetzt passiert, kündigt eine Wiederkehr der neunziger Jahre an. Wir wollen Lebensmittel holen, die uns bis zum Frühling reichen, aber das wird uns nicht erlaubt. Die aktuelle Lage ist eigentlich sogar schlimmer als in den neunziger Jahren.“

Dorfbewohner berichten außerdem von Lebensmittelrazzien, bei denen ihre Wintervorräte vernichtet worden sind. Die gesamte Operation zielt auf die Entvölkerung der Region ab.