KCK kritisiert Europarat-Entscheidung als unzureichend und verspätet

Die KCK begrüßt die Aufforderung des Europarats an die türkische Regierung, die nationale Gesetzgebung zu erschwerter lebenslanger Haft an europäische Richtlinien anzupassen, kritisiert den Beschluss aber als unzureichend und verspätet.

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) begrüßt die Aufforderung des Ministerkomitees des Europarats an die türkische Regierung, die nationale Gesetzgebung hinsichtlich erschwerter lebenslanger Haft an europäische Richtlinien anzupassen, kritisiert den Beschluss aber als unzureichend und verspätet. Gerade im Hinblick auf bereits ausgesprochene Verwarnungen in Richtung Ankara zeige das große Zeitfenster für Anpassungen des nationalen Rechts deutlich, „dass Europa seine eigene Rechtordnung nicht umsetzt, sobald es um Kurd:innen geht“, heißt es in einer Stellungnahme des KCK-Exekutivrats. Für Europa, das von sich behaupte, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzustehen, sei dies eine deutliche Schwachstelle.

„Lebenslängliche“ dürfen nicht in einem dauerhaft hoffnungslosen Zustand leben

Der Europarat hat die Türkei vergangene Woche aufgerufen, die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu befolgen. Ankara hat bis September 2022 Auskünfte und Informationen über erzielte Fortschritte im Rahmen der geforderten Maßnahmen vorzulegen. Anlass der Entscheidung ist die Weigerung des türkischen Staates, die Urteile hinsichtlich Abdullah Öcalan (2014) und drei weiteren politischen Gefangenen – Emin Gurban (2015), Hayati Kaytan (2015) und Civan Boltan (2019) – umzusetzen. In ihrer Haftsituation sah der EGMR einen Verstoß gegen das in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) statuierte Folterverbot. Zentral war dabei das Argument, dass die Betroffenen in einem dauerhaft hoffnungslosen Zustand leben, wenn die Möglichkeiten einer Entlassung und entsprechenden Haftprüfung nicht bestehen. Die EMRK verbietet es nicht grundsätzlich, einen erwachsenen „Straftäter“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen, vorausgesetzt, sie ist nicht eindeutig unverhältnismäßig. Eine lebenslange Freiheitsstrafe kann aber dann gegen das Folterverbot verstoßen, wenn sie nicht reduzierbar ist. Die Türkei müsste daher einen Kontrollmechanismus einführen, durch den geprüft wird, ob ein Verbleib in Haft nach wie vor gerechtfertigt werden kann. Dies ist bislang nicht geschehen, deshalb gab es die Rüge des Ministerkomitees.

KCK: Entscheidung wird zu positiven Ergebnissen führen

„Auch wenn sie sehr spät kommt, wird die Entscheidung des Europarates doch zu positiven Ergebnissen zu führen. Ähnlich wie es nach dem Urteil gegen Abdullah Öcalan zur Aufhebung der Todesstrafe in der Türkei kam, wird das Ende der verschärften lebenslangen Haft den erfolgreichen Abschluss des Kampfes für seine physische Freiheit markieren. Denn es ist der Kampf des kurdischen Volkes und seiner internationalen Freundinnen und Freunde, der das Ministerkomitee letztendlich zu dieser Entscheidung bewogen hat“, erklärt die KCK. Für Ankara werde es nun noch schwieriger werden, die Isolation auf Imrali weiter aufrechtzuerhalten. In dem Inselgefängnis im Marmarameer, in dem Öcalan seit bald 23 Jahren inhaftiert ist, gilt ein spezielles Sonderrecht jenseits nationaler und internationaler Rechtsnormen. Imrali wird nicht ausschließlich als ein Ort behandelt, an dem sich ein Gefängnis befindet; die Insel steht für ein System, mit dem ein völlig neues Bestrafungsregime umgesetzt wird. Imrali ist eine Rechtsinstitution, die als Prototyp für die tatsächlichen Macht- und Kontrollmethoden in der Türkei dient.

Opportunistische Haltung Europas

„Auf Imrali wird Rache an Abdullah Öcalan genommen, weil er der kurdischen Gesellschaft ein Bewusstsein für Freiheit geschenkt hat. Dies ist der Grund für das dort praktizierte und weltweit einmalige Haftregime. Dies hat die Türkei zu verantworten, die selbst Mitglied des Europarats ist. Sie hält die verschärfte lebenslange Haft auf Imrali und darüber hinaus aufrecht, obwohl eindeutig ist, dass eine derartige Strafe im Widerspruch zu den rechtlichen Normen Europas steht. Doch ohne Zweifel ist der türkische Staat zu dieser Praxis nur in der Lage, da Europa seine politischen und wirtschaftlichen Interessen über jegliche Normen stellt“, so die KCK.

Damit gehöre der Europarat zu den Hauptverantwortlichen für das verschärfte Isolationssystem auf Imrali. Seit jeher wisse das Gremium von den unrechtmäßigen Verhältnissen dort. Denn das Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) – eine Institution des Europarats – erkannte bereits vor drei Jahren offiziell an, dass die Isolation auf Imrali Folter darstellt und forderte deren sofortiges Ende. „Doch hat sich die Türkei bisher geweigert, diesen Zustand zu beenden, da sie nur zu gut die opportunistische Haltung Europas kennt. Trotzdem wurde dieses Thema erst jetzt vom Europarat wieder aufgegriffen und zu allem Überfluss völlig unzureichend beschieden. Obwohl die Isolation auf Imrali aus der verschärften lebenslangen Haft resultiert, hat das Entscheidungsgremium Europas keine eindeutige Haltung in dieser Frage eingenommen“, heißt es weiter. Daher sei es umso nötiger darauf hinzuwirken, dass die Entscheidung in die Praxis umgesetzt wird und der Europarat „seiner Verantwortung dafür gerecht wird, die verschärfte lebenslange Haftstrafe umgehend aufzuheben“, fordert die KCK.

Die Zeit ist reif für die Freiheit von Abdullah Öcalan

Der Kampf des kurdischen Volkes lege den faschistischen und undemokratischen Charakter des türkischen Staates derart offen, dass heute alle „Spezialkriegsmasken“ des Regimes eine nach der anderen fallen. „Unser Freiheitskampf führt im In- und Ausland zur Schwächung und Entblößung des türkischen Staates und hat somit erreicht, dass dessen Ende kurz bevorsteht“, lautet es in einer abschließenden Botschaft an die Öffentlichkeit. Weiter heißt es: „Der Kampf gegen die Isolation und für die physische Freiheit von Rêber Apo hat im Verlauf des Jahres 2021 eine neue Dimension erreicht. Seine Befreiung ist ein wichtiger Punkt auf der Agenda der weltweiten demokratischen Kräfte. Wenn wir den Widerstand hierfür und die dadurch hervorgerufenen Entwicklungen in Verbindung mit der jüngsten Entscheidung des Ministerkomitees des Europarats betrachten, zeigt sich, dass es im 24. Jahr des internationalen Komplotts zu wichtigen Entwicklungen kommen und die physische Freiheit von Rêber Apo Realität werden wird. Durch unseren vielfältigen Kampf steht der völkermörderische und kolonialistische türkische Staat heute kurz vor seinem Zusammenbruch. Es ist klar, dass es sich um einen Staat handelt, der nicht das Geringste mit Gerechtigkeit und Recht zu tun hat. Sein damit einhergehender vollständiger Legitimitätsverlust wird zum Zusammenbruch dieses Staates führen. Unser Volk, dessen internationale Freund:innen und demokratische Kräfte dieser Welt warten bereits ungeduldig darauf, Rêber Apo endlich zu begegnen. Daher sagen wir es noch einmal deutlich: Die Zeit ist reif für die Freiheit von Abdullah Öcalan.“