Murat Karayilan hat am 1. Mai als Kommandant des Volksverteidigungszentrums (Navenda Parastina Gel, NPG) über Funk eine Ansprache an alle Guerillaeinheiten in den Regionen Metîna, Avaşîn und Zap gehalten. In seiner Rede bezeichnete er den Widerstand gegen die am 23. April gestartete Invasion der türkischen Armee in Südkurdistan als einen Kampf von historischer Bedeutung in einer strategisch wichtigen Etappe. Das Ziel der Invasion sei die Vertreibung der Guerilla aus den Medya-Verteidigungsgebieten. Der türkische Staat wolle dort eine Pufferzone einrichten und mit der Besatzung die Kontrolle über die Errungenschaften des kurdischen Volkes gewinnen. Das stelle auch für das arabische und die anderen Völker der Region eine große Gefahr und Bedrohung dar.
„Der Krieg findet im Moment in den Bergen statt, aber sein Ausgang wird die Türkei und die gesamte Region beeinflussen. Für die AKP/MHP-Regierung steht ihre Existenz und Zukunft auf dem Spiel. Deshalb ist der Krieg in Metîna, Avaşîn und Zap auch ein Kampf für Demokratie in der Türkei. Auch die Zukunft der für Freiheit und Demokratie kämpfenden Kräfte hängt von diesem Krieg ab. Unsere Freundinnen und Freunde sind sich dessen bewusst. Sie wissen, dass es nicht nur darum geht, ein Gebiet zu verteidigen. Es geht um die Zukunft und Existenz unseres Volkes. Deshalb wollen wir diesen Kampf gewinnen. Als Bewegung müssen wir Risiken eingehen und opferbereit sein. Alle Freundinnen und Freunde müssen wissen, dass wir das beschlossen haben. Dieser Krieg erfordert keine taktische Herangehensweise, sondern eine strategische. Da der Feind zurzeit schwach ist, bieten sich uns Gelegenheiten, die wir nutzen können“, erklärte Karayilan in seiner Ansprache an die Guerilla.
Zum Verlauf des Widerstands der vergangenen acht Tage erklärte der NPG-Kommandant, dass bisher wichtige Ergebnisse erzielt worden seien: „Dieser Widerstand ist mit großem Mut und Einsatz und einer hohen Opferbereitschaft erschaffen worden. Dieser Geist prägt im Moment die Freundinnen und Freunde in allen Stellungen, Tunneln und unter jedem Baum. Das wissen und fühlen wir. Wir wissen, dass großer Einsatz gezeigt wird. Daher hat der Feind trotz seiner technischen Möglichkeiten seit acht Tagen kein Ergebnis erzielt. Er brüstet sich damit, die zweitgrößte NATO-Armee zu sein. Es sind nicht nur die eigenen Soldaten im Einsatz, sondern auch Dschihadisten aus Syrien. Der Feind setzt alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein. Trotzdem haben wir gesehen, wie die Guerilla geantwortet und verhindert hat, dass der türkische Staat sein Ziel erreicht.
Laut den vorliegenden Berichten sind bisher vier unserer heldenhaften Freundinnen und Freunde gefallen: Heval Çiyager, Dilşêr, Ekin und Asya. Ich gedenke ihrer voller Respekt. Die Guerilla hat alle Luft- und Bodenangriffe des Feindes ins Leere laufen lassen. Wie aus den Berichten hervorgeht, sind bisher über 120 feindliche Soldaten getötet worden, außerdem wurden zwei Hubschrauber angeschossen. Das ist ein immenses Ergebnis. Jetzt geht es darum, unsere eigenen Schlüsse aus dem Widerstand der vergangenen acht Tage zu ziehen. Was waren unsere Schwächen dabei? Wir müssen sie erkennen und uns dementsprechend bewegen.
Aus unserer Sicht ist der bisherige Widerstand ein Erfolg, aber niemand sollte jetzt in Siegestrunkenheit verfallen. Das war erst der Anfang. Auch der Feind geht damit nicht gewöhnlich um. Daher müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Wir dürfen den Feind nicht unterschätzen, aber auch nicht größer machen als er ist. Er trifft seit Tagen in jeder Stunde und jeder Minute auf den Widerstand der Guerilla. Auf diese Weise werden wir ihm eine Niederlage zufügen. Ihm darf nirgendwo eine Gelegenheit für billige Erfolge geboten werden.
In Kurdistan findet heute ein moderner Guerillakampf statt, der weltweit zum Vorbild werden kann. Die Şehîd-Delal-Luftverteidigungskräfte haben dem türkischen Staat in Kanî Masî zwei Mal Schläge versetzt. Außerdem hat die Einheit ,Bedran Gundikremo“ zwei Mal die türkischen Kräfte in Şîladizê getroffen, dabei wurden zwei Panzer zerstört und mehrere Soldaten getötet. Bei diesen beiden Aktionen handelt es sich um eine Warnung. Diese bereits früher in Südkurdistan stationierten Besatzungstruppen sind davor gewarnt worden, sich nicht an dem momentanen Krieg zu beteiligen. Sollten sie es trotzdem tun, werden sie überall im Visier unserer Einheiten sein. Die Möglichkeiten dafür haben wir. Wir gehen davon aus, dass unsere Botschaft angekommen ist.
Wir sind davon überzeugt, dass allen unseren Freundinnen und Freunden die Bedeutung der momentanen Zeit bewusst ist. Sie kennen ihre Verantwortung und wissen, wo sie wie vorgehen und die Initiative ergreifen müssen. Als Kommandantur des Volksverteidigungszentrums gratulieren wir allen, die an der Offensive für ein freies Leben mit Rêber Apo [Abdullah Öcalan] in einem freien Kurdistan teilnehmen. Sie alle müssen sich selbst und ihre Weggefährten verteidigen und dürfen dem Feind keine Gelegenheit bieten. Im Zagros-Gebirge wird Geschichte geschrieben, die Geschichte Kurdistans wird neu geschrieben. Wir glauben an den Sieg und wünschen allen Freundinnen und Freunden Erfolg in diesem historischen Kampf.“