Laut einer Meldung von RojNews sind irakische Soldaten im Dorf Werdê bei Til Ezer in der Şengal-Region von Haus zu Haus gegangen und haben nachgefragt, ob die Menschen Waffen besitzen. Die Anwohner reagieren empört darauf, dass die irakische Armee ihre Waffen einziehen will.
Seydo Seyid Reşo aus dem Dorf Werdê bewertete die Maßnahme der irakischen Armee als einen Vorstoß, mit dem die ezidische Gemeinschaft wehrlos gemacht werden soll: „Wir waren noch nicht einmal wach, als die Soldaten ins Dorf kamen und von Haus zu Haus gegangen sind. Sie wollten wissen, ob wir Waffen haben. Das haben sie auch vor dem IS-Angriff auf uns getan. Sie haben unsere Waffen eingesammelt und gesagt, dass sie uns schützen werden. Aber sie haben ihr Wort nicht gehalten und am ezidischen Volk wurde ein Genozid begangen. Wir akzeptieren diese Situation nicht.“
Die versuchte Einziehung der Waffen in Werdê geht zurück auf das im Oktober zwischen der südkurdischen Regierungspartei PDK und der irakischen Regierung geschlossene Abkommen zur Zukunft von Şengal. Die auf Druck der USA und der Türkei zustande gekommene Übereinkunft sieht die Auflösung der nach dem IS-Massaker von 2014 aufgebauten Selbstverwaltung einschließlich der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte vor.
Der südkurdische Ministerpräsident Mesrûr Barzanî hat Şengal Anfang der Woche erneut als Angriffsziel ausgewiesen und ohne die Angabe von Beweisen behauptet, die PKK habe sich niemals aus der Region zurückgezogen und sei präsenter denn je.
Die irakische Armee hat seit dem 24. November Tausende Soldaten in der Region Şengal stationiert.
Die Bevölkerung von Şengal hält seit dem 1. Dezember Wache vor dem Gebäude des Êzîdxan Asayîş, um die Auflösung der Sicherheitskräfte zu verhindern und für Selbstbestimmung zu demonstrieren.
Hintergrund: Die Eziden wurden schutzlos im Stich gelassen
Als der IS 2014 in Şengal einrückte, zogen sich die rund 12.000 in der Region stationierten Peschmerga der südkurdischen Regierungspartei PDK und die irakische Armee ohne Vorwarnung zurück und überließen die dort lebenden Ezid*innen schutzlos dem IS. Für die ezidische Gemeinschaft begann die systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten. Wer fliehen konnte, zog sich ins Gebirge zurück. Dort schützten zunächst weniger als ein Dutzend Guerillakämpfer der HPG den Eingang zum Gebirge und verhinderten das Eindringen der Dschihadisten.
Die PKK hatte bereits am 28. Juni 2014 nach einem Aufruf des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ein zwölfköpfiges Vorabkommando zur Verteidigung von Şengal entsandt. Zwanzig Tage vor dem Massaker nahmen die Peschmerga drei Mitglieder der Gruppe und einen ezidischen Unterstützer fest. Die übrigen Guerillakämpfer zogen auf den Şengal-Berg und begannen mit der Organisierungsarbeit der Jugend. Als am 3. August der IS-Angriff begann, verteidigte eine neunköpfige Guerillagruppe die auf den Şengal-Berg geflohene Bevölkerung.
Die Guerillakämpfer hielten die westlich von Şengal verlaufende Straße von Sinûnê nach Dugirê und verhinderten die Eroberung des Bergs durch den IS. Ezidische Jugendliche schlossen sich der Verteidigung des Berges an. Nachdem die neunköpfige Guerillagruppe mehrere Tage gegen die Angriffe des IS Widerstand geleistet hatte, kamen am 6. August zwei Bataillone der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ aus Rojava den HPG zu Hilfe. Anschließend richteten die YPG/YPJ und die HPG einen Sicherheitskorridor ein, um die zu Hunderttausenden auf den Şengal-Berg geflohenen Ezid*innen nach Rojava zu evakuieren. Über diesen Korridor konnten mit der Zeit mehr als 200.000 Ezid*innen nach Rojava gelangen. So konnte ein noch größeres Massaker verhindert werden. Die YPG/YPJ und HPG kämpften aufopferungsvoll und immer wieder auch unter Verlusten, um diesen „humanitären Korridor“ aufrechtzuerhalten. 100 Kämpfer*innen fielen beim Schutz der Evakuierung der Bevölkerung. Insgesamt wurden beim Şengal-Massaker fast 300 Kämpfer*innen von YPG/YPJ und HPG durch den IS getötet.
Die PKK hat die ezidische Bevölkerung gegen den IS verteidigt und vor dem Genozid gerettet. In den folgenden Jahren hat sie die Ezidinnen und Eziden in die Lage versetzt, sich selbst zu verteidigen und zu verwalten. Im August 2018 sind alle HPG-Einheiten aus Şengal abgezogen worden.