Erdbeben: Zahl der Toten steigt auf mehr als 24.000

Fünf Tage nach den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien steigt die Zahl der Todesopfer unaufhörlich weiter. Allein in der Türkei wurden bis zuletzt über 20.000 Tote gezählt. Vielerorts glänzt der Staat aber nach wie vor durch Abwesenheit.

Fünf Tage nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien steigt die Zahl der Todesopfer und Verletzten unaufhörlich weiter. In beiden Ländern zählten die Behörden bis zur Nacht auf Samstag mehr als 24.000 Tote und 85.000 Verletzte. Überlebende dürfte es unter den tonnenschweren Trümmerhaufen eingestürzter Gebäude nur noch wenige geben. Konnten anfangs noch zahllose Verschüttete aus den Schuttbergen eingestürzter Gebäude gerettet werden, bergen Rettungskräfte inzwischen fast nur noch Leichen: Laut Vize-Präsident Fuat Oktay wurden in den vergangenen 24 Stunden landesweit nur noch 67 Menschen lebend aus dem Schutt gezogen.

Am frühen Montagmorgen hatte ein Beben der Stärke 7,7 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Alleine in der Türkei wurden bis zuletzt 20.665 Tote und 80.052 Verletzte gezählt. Aus Syrien wurden 3.500 Tote gemeldet. Da Menschen im Regelfall kaum länger als drei Tage ohne Wasser überleben können und die Vermisstenzahlen noch immer sehr hoch sind, ist zu befürchten, dass die Opferzahlen noch drastisch steigen werden.

Staat in den Dörfern weiter abwesend

Mehr als 100 Stunden nach der Erdbeben-Katastrophe gibt die Rettung einzelner Überlebender den Menschen in der Türkei zwar noch Hoffnung. So konnten Helfer in der City der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) eine 55 Jahre alte Frau nach 122 Stunden aus der Ruine eines achtstöckigen Wohnhauses ziehen. In vielen betroffenen Orten ist der Staat aber weiter abwesend. So berichten die HDP-Abgeordneten Imam Taşçıer und Hasan Özgüneş aus der Provinz Meletî (Malatya), dass staatliche und kommunale Behörden nach wie vor durch Absenz glänzten.

Bestandsaufnahme in einem Dorf in Wêranşar

„Wir haben den Eindruck, dass die Katastrophe verschlimmert werden soll“

„Allein im Landkreis Doğanşehir [ku. Wêranşar] sind bis zu 90 Prozent aller Gebäude nicht mehr bewohnbar. Auch Akçadağ [Argan] wurde schwer getroffen“, sagte Özgüneş. „In den vergangenen 48 Stunden haben wir 32 Dörfer in beiden Kreisen aufgesucht,  um vor Ort einen Eindruck der Schäden zu bekommen, eine Bestandsaufnahme durchzuführen und Hilfsgüter zu verteilen. Dabei mussten wir feststellen: Der Staat ist vollkommen abwesend, Katastrophenhilfe findet nicht statt. Uns war zwar von Beginn an klar, dass die AKP-geführte Regierung die kurdischen Gebiete bei der Hilfe vernachlässigen wird. Inzwischen haben wir aber den Eindruck, dass die Herrschenden hier ganz gezielt vorgehen, um die Katastrophe noch zu verschlimmern. Während einerseits offensichtlich weiterhin kein Interesse daran besteht, Nothilfe durch staatliche Stellen zu leisten, werden noch immer zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien daran gehindert, zu helfen.“

Ein Beispiel für erdbebensicheres Bauen: Im gemeinsamen Dorfhaus eines Weilers in Wêranşar gab es nur ein paar zersprungene Fensterscheiben.


Kein Wasser, kein Strom, keine Heizmöglichkeiten, keine Zelte

Taşçıer beklagt, dass es in Wêranşar und Argan kein fließendes Wasser und keinen Strom gibt und Menschen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt weiterhin auf Zelte warten müssten. Wichtige Zufahrtsstraßen würden trotz zahlreicher Appelle nicht geräumt, die Menschen seien damit faktisch von der Außenwelt abgeschnitten. „Es fehlt nicht nur an Rettungskräften und Geräten, Schuttberge abzutragen und Verschüttete zu bergen. Es gibt auch keine Möglichkeiten zum Heizen. Wir leisten Hilfe über unsere Krisenkoordinierungsstellen und versuchen alle Orte zu erreichen, die Unterstützung brauchen.“

Die Hoffnung, Menschen noch lebend zu finden, schwindet mit jeder Minute

Die Provinzhauptstadt Meletî wurde durch das Erdbeben ebenfalls großflächig zerstört und gleicht in vielen Teilen einer Geisterstadt. Hunderte Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht, nur noch wenige Häuser sind bewohnbar. Nach Angaben von Imam Taşçıer und Hasan Özgüneş seien hier zwar noch vereinzelt Such- und Rettungskräfte im Einsatz. „Doch die Hoffnung, Menschen noch lebend zu finden, schwindet mit jeder Minute.“