Haki Armanc ist einer der Kommandanten im zentralen Hauptquartier der Volksverteidigungskräfte HPG. In einem Interview mit Stêrk TV spricht er über die aktuellen Entwicklungen nach den Wahlen in der Türkei, das Ende des Waffenstillstands und den Kampf um Demokratisierung und Freiheit.
Die KCK hatte aufgrund der schweren Erdbeben in Nordkurdistan, Rojava, der Türkei und Syrien eine Feuerpause ausgerufen. Hat sich danach etwas an der Kriegspolitik des türkischen Regimes geändert?
Dieses Thema wurde in der Türkei und ihrer Öffentlichkeit kaum diskutiert. Unsere Bewegung ist eine humanistische Bewegung. Sie behält immer im Blick, was in der Türkei, in Kurdistan und in der Region geschieht. Aus diesem Grund hat der Ko-Vorstand des Exekutivrats der KCK nach dem Erdbeben den moralischen und humanitären Ansatz gewählt und beschlossen, eine Feuerpause zu verkünden. Das war eine richtige und menschliche Entscheidung. Der türkische Staat hat sie jedoch auf gegenteilige Weise genutzt, opportunistisch agiert und seine Angriffe auf Nord- und Südkurdistan, Rojava, Mexmûr und Şengal verstärkt. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass der türkische Staat und seine Regierung keinerlei Menschlichkeit besitzen.
Wir befanden uns gerade in einem sehr wichtigen Prozess. Es gab viele Guerillaaktionen, sowohl östlich als auch westlich des Zap-Flusses. Der türkische Staat steckte fest und war nicht in der Lage, voranzukommen. Es war auch eine günstige Jahreszeit für uns, um Aktionen durchzuführen. Die Wetterbedingungen im Februar, März und April waren optimal, daher hatten wir gute Pläne vorbereitet. Als die KCK die Erklärung abgab, bereiteten sich unsere Freund:innen gerade auf Aktionen vor. Nach dieser Entscheidung stoppten wir alle unsere Aktionspläne. Unser Volk hatte sehr unter dem Erdbeben gelitten. Dann begann auch noch der Wahlkampf. Deshalb wurde die Feuerpause verlängert und reichte bis Juni. Dieser Verlauf der Ereignisse zeigt einmal mehr, dass der rassistische türkische Staat auf eine Fortsetzung des Krieges bestand.
Die Angriffe gingen weiter, das ist bekannt. In Nordkurdistan wurde insbesondere auch die Natur weiter zerstört, es wurden tausende Bäume gefällt. Was ist das Ziel des türkischen Staates dabei und was muss dagegen unternommen werden?
Der türkische Staat hat in den letzten Jahren diese Art von Angriffen noch verstärkt. Es gibt massive Angriffe auf die Natur und Kultur in allen Gebieten Kurdistans, insbesondere in Dersim und Botan. Der türkische Staat setzt systematisch die Wälder Kurdistans in Brand und verwüstet sie. In einigen Gebieten werden Staudämme gebaut, in anderen Gebieten werden Straßen errichtet und die Natur Kurdistans wird zerstört. Es gibt bestimmte Personen, die mit dem türkischen Staat kollaborieren, indem sie sich an der Zerstörung der Natur beteiligen. Wir wissen sehr genau, wer sie sind. Sie gewinnen die staatlichen Ausschreibungen, und ihre Verbrechen nehmen von Tag zu Tag zu. Sie werden auf jeden Fall zur Rechenschaft gezogen. Wir wissen, wer diese Leute sind, und sie wissen selbst, was sie tun.
Die Menschen in Kurdistan, insbesondere in Botan, müssen sich gegen die Umweltzerstörung wehren. Die Bevölkerung wird auch ökonomisch vom Feind unter Druck gesetzt. Das ist Teil seiner Politik in Kurdistan. Unser Volk darf sich auf keinen Fall an der staatlichen Umweltzerstörung beteiligen. Natürlich haben die Menschen ökonomische Probleme, aber sie sollten sich dennoch auf keinen Fall zu einem Werkzeug für die Politik des Feindes machen lassen. Vor einigen Tagen haben uns unsere Freund:innen dort darüber informiert, dass der Feind in Besta eine Spezialkriegspolitik betreibt, indem er die Wälder dort vollständig zerstören will. Die Bäume sollen von der Dorfbevölkerung gefällt werden. Einige Menschen aus dem Dorf Osyan beteiligen sich tatsächlich an diesen Zerstörungen. Unsere Kräfte haben sich demgegenüber bisher zurückgehalten, um Gefechte zu vermeiden. Wir kennen die Menschen von Osyan seit langem. Es handelt sich um ein großes Dorf. Der Feind hat viel Druck auf die Menschen ausgeübt, damit sie sich gegen unsere Bewegung stellen. Die Menschen in Osyan haben eine ehrenhafte Haltung eingenommen und das nicht akzeptiert. Sie haben viele solche Versuche des türkischen Staates vereitelt. Wir wissen das genau. Vielleicht gibt es im Dorf ein paar Leute, die für den Feind arbeiten, aber im Allgemeinen haben die Menschen von Osyan eine patriotische Haltung eingenommen und die Politik des türkischen Staates, Geschwister gegeneinander aufzuhetzen, abgelehnt.
Während der Feuerpause sind Kämpfer:innen der Guerilla bei türkischen Angriffen gefallen. Wie werten sie die pausenlosen türkischen Angriffe während dieser Zeit?
Wie ich es bereits eingangs sagte, betrachtete der Feind die Feuerpause als Gelegenheit und verstärkte seine Angriffe. Einige unserer Freund:innen sind bei diesen Angriffen gefallen, aber auch der Feind musste schwere Verluste in Kauf nehmen. In der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) haben unsere Freund:innen 13 Mitglieder der Invasionstruppen bestraft. Vier unserer Freund:innen fielen dabei. Es handelte sich um Dilgeş, Bawer, Masum und Zîn. Sie hatten bereits lange Zeit in der Region gekämpft. Es gab auch Angriffe auf die Region Bagok. Unsere Freund:innen dort töteten acht der Angreifer. Bei den Angriffen ist unser Freund Bahoz gefallen. Auch in Besta in Botan fanden große Militäroperationen statt. Sieben unserer Freundinnen, darunter Hevala Leyla, sind gefallen. Bei den letzten Angriffen kam es an zwei Orten zu Gefechten. Unsere Freunde Rençber und Bawer stellten sich opferbereit dem Feind entgegen, fügten ihm schwere Verluste zu und fielen. Auch Hevale Şerger und Dilşêr sind gefallen. Die Freund:innen verteidigten sich dabei nur selbst gegen die Angriffe. Der türkische Staat verlässt sich auf seine Technik und vor allem auf Luftangriffe. Es werden auch Agenten eingesetzt, um die Orte unserer Stellungen festzustellen. Die Guerilla wird keinen einzigen Angriff des Feindes unbeantwortet lassen.
Die jungen Menschen im Dorf Hêşet in Botan spielten immer eine große Rolle in der Freiheitsbewegung. Bei den jüngsten Angriffen sind auch Kämpfer aus dem Dorf Hêşet gefallen. Möchten Sie etwas zu diesen Gefallenen sagen?
Zuallererst möchte ich unseren Genossen Hevalê Xemgin Hêşetî aus dem Dorf Hêşet und Abbas Herekol aus dem Dorf Ewrex meinen Respekt zollen. Das Dorf Ewrex ist wie Hêşet ein patriotisches Dorf, das seinen Werten treu ist. Hevalê Abbas war ein Genosse, der als Kommandant in den Gebieten Herekol und Kato tätig war. Abbas wurde nach seinem zuvor gefallenen Bruder Isa Ipek benannt. Seine Cousine Hevala Serhildan ist 2020 in Herekol gefallen und sein Cousin Zinar 2015 in Kobanê. Aus diesem Anlass übermittle ich den Menschen in den Dörfern Ewrex und Hêşet unsere Grüße und unseren Respekt. Ich glaube, dass sie stolz auf ihre Gefallenen sind.
Ich kannte zwölf Freund:innen aus dem Dorf Hêşet, die gefallen sind. Nach 2009 ist unsere Kommandantin Hevala Hêvî in der Provinz Mêrdîn gefallen. Sie nahm am Städtekrieg in Nisêbîn teil. Hevala Rozerîn fiel in Rojava, Hevalê Dilsoz in Botan. Er war einer unserer Gebietskommandanten. Hevalê Herekol war Kommandant einer mobilen Einheit. Er führte lange Zeit erfolgreiche Aktionen im Gebiet von Botan durch und fiel in Besta. Hevalê Bawer war ebenfalls ein sehr intelligenter und kämpferischer Genosse. Er fiel in Kato Jîrka. Hevalê Xemgîn ist in der Umgebung von Masîro am Kato gefallen. Hevalê Zerdeşt fiel in Besta. Er war eine Zeit lang mit Hevalê Egîd Civyan zusammen. Heval Tofan fiel in Amanos. Hevalê Tofan hatte sich schon in jungen Jahren der Guerilla angeschlossen und war ebenfalls Kommandant einer mobilen Einheit. Hevalê Brûsk war ein Freund, der sich in jungen Jahren angeschlossen hatte. Zusammen mit Hevalê Doğan kam er bei einem Luftangriff südlich von Mûş ums Leben. Hevalê Mahsum fiel in Amed, er war dort als Arzt eingesetzt. Hevalê Dara hatte sich ebenfalls in jungen Jahren der Partei angeschlossen und fast alle Gebiete von Botan kennengelernt. Er kam in Metîna bei einem Luftangriff ums Leben.
Diese Freund:innen haben in allen Regionen Kurdistans gekämpft und sind dort gefallen. Sie waren alle sehr wertvolle, ehrenwerte Freund:innen. Unser Volk in Botan und insbesondere die Menschen in Hêşet sollten stolz auf diese mutigen Menschen sein. Auch wir sind stolz auf sie. Wir bekräftigen noch einmal, dass wir sie rächen werden.
In der Türkei und Nordkurdistan haben Wahlen stattgefunden. Wie bewerten Sie diese? Wie groß ist die Gefahr, die von der Weiterherrschaft des AKP/MHP-Regimes ausgeht?
Alle jenseits der faschistischen Volksallianz wissen, dass die Wahlen nicht fair verlaufen sind. Das Regierungsbündnis griff zu schmutzigen Methoden, um die Wahl zu gewinnen. Die permanente Repression gegen das kurdische Volk wurde auch im Wahlprozess fortgesetzt. Unzählige Menschen wurden inhaftiert. Diese verbrecherische Politik ging vor allem von Erdoğan aus. Es ist eine Schande vor der Menschheit, eine solch schmutzige Politik zu betreiben. Mit dieser Politik ist die Regierung wieder an die Macht gekommen. Unser Volk wird sowieso seit Jahren mit Repressalien überzogen und attackiert, aber es gibt seinen Widerstand nicht auf. Es gab keinen Machtwechsel, aber Personen wie Soylu (Innenminister) und Akar (Kriegsminister) wurden ausgetauscht. Süleyman Soylu war mit der Behauptung angetreten, er würde die PKK auslöschen, jetzt ist er weg. Er ist abgehauen. Warum konnte er die PKK nicht auslöschen? In dieser Hinsicht wurde das Regime entlarvt. Die Gesellschaft in der Türkei hat auf viele Weisen unter ihnen gelitten. Hulusi Akar war ebenfalls einer derjenigen, die an der Spitze des Krieges standen, wurde aber am Ende besiegt. Deshalb hat Erdoğan sie ausgetauscht.
Die Angriffe auf Rojava, Mexmûr und Şengal sind verstärkt worden. Erneut gibt es große Repression und Angriffe auf unser Volk in Nordkurdistan. In Gever wurde ein fünfjähriges Kind ermordet. Das wurde nicht einmal an die Presse weitergegeben. Es wird behauptet, es sei ein Unfall gewesen. Dutzende von kurdischen Kindern wurden auf diese Weise von Panzerfahrzeugen umgebracht. Niemand wurde jemals dafür verhaftet oder zur Rechenschaft gezogen. Die meisten dieser Mörder wurden sogar belohnt. In der Politik dieses Staates ist der Mord an kurdischen Kindern offensichtlich legitim. Es ist unverständlich, wie man dazu schweigen kann. Diejenigen, die sich als Intellektuelle bezeichnen, sagen kein Wort über diese Morde. Niemand außer dem kurdischen Volk und seinen Freund:innen spricht über diese Ereignisse. Ein fünfjähriges Kind wird von einem Panzer überfahren, aber niemand wird angeklagt. Der türkische Staat wird mit dieser Politik weitermachen. Das Entscheidende ist jedoch, dass wir den Kampf gegen diese Politik fortsetzen.
Am 13. Juni erklärte die KCK das Ende ihrer Feuerpause. Was sind die Gründe dafür? Wie sollten die Guerilla, das kurdische Volk und auch die türkische Regierung diese Entscheidung betrachten?
Wir haben uns an die Entscheidung unserer Bewegung zu einer Feuerpause gehalten. Wir haben unseren Teil erfüllt, indem wir diesen Beschluss in allen Städten, Dörfern und Guerillagebieten befolgt haben. Obwohl wir angegriffen wurden und Freund:innen gefallen sind, haben wir dennoch diszipliniert die Feuerpause eingehalten. Doch der türkische Staat führte seine Angriffe ununterbrochen fort. Unser Volk wird überall ermordet. In Südkurdistan, Rojava und Mexmûr finden täglich Angriffe statt und es gibt Todesfälle. Mit anderen Worten: Es wird ein Genozidplan umgesetzt. Angesichts dieser Tatsachen hat die Feuerpause jegliche Bedeutung verloren. Das sollten alle verstehen. Unsere Aktionen werden von nun an fortgesetzt. Wir werden Rechenschaft für unsere Gefallenen, die Angriffe auf unser Volk und die ermordeten kurdischen Kinder fordern. Die Guerilla wird überall ihre Rolle im antifaschistischen Kampf spielen.
Leyla Sorxwîn (Hamiyet Yalçınkaya), Mitglied des Kommandorats der YJA Star und HPG, ist im vergangenen Januar bei einem Angriff des türkischen Staates gefallen. Wie wird die kurdische Guerilla nun Vergeltung üben?
Durch Hevala Leyla ehren wir alle Gefallenen der Revolution. Wir wiederholen unser Versprechen, dass wir mit ihrem Andenken verbunden bleiben werden. Es ist nicht möglich, Hevala Leyla in ein paar Sätzen zu beschreiben. Wir haben lange Zeit zusammen gekämpft, daher ist es nicht einfach, kurz über sie zu sprechen. Sie hat 30 Jahre im Kampf für die Freiheit gelebt. Es ist wichtig zu verstehen, unter welchen schwierigen Bedingungen sie in diesen 30 Jahren gekämpft hat. Wenn das nicht verstanden wird, kann man Hevala Leyla nicht begreifen. Das zeigt sich schon, wenn man über ihren Anschluss an die Bewegung spricht. Sie suchte in Amed-Bismîl überall nach den Freund:innen und konnte sie schließlich finden. Sie war damals 12 oder 13 Jahre alt. In diesem Alter hatte sie bereits eine solche Leidenschaft für die Freiheit.
Sie begann ihren Guerillakampf im Jahr 1993 in Botan am Höhepunkt des Krieges. Der Feind griff von allen Seiten an. Hevala Leyla spielte sowohl im Krieg als auch im organisierten Leben eine Führungsrolle. Von 1993 bis 2000 blieb sie in Botan. Sie führte sehr große Aktionen an und wurde mehrfach verwundet. Hevala Leyla wurde von ihren Genoss:innen sehr geliebt. Sie zeigte große Entschlossenheit in allen ideologischen, organisatorischen und militärischen Bereichen.
Während der Offensive vom 1. Juni 2004 ging sie von Südkurdistan wieder nach Botan. Sie kämpfte in der Juni-Offensive als Gebietskommandantin von Gabar und blieb drei Jahre lang dort. Hevala Leyla hat dort auf höchster Ebene in der Offensive gekämpft und sie angeführt. 2006 kehrte sie nach Südkurdistan zurück. Sie war eine sehr bescheidene und ehrliche Freundin und hat ihr ganzes Leben auf der Linie der PKK und der PAJK aufgebaut. Sie hat sich immer in diesem Sinne positioniert und wurde deshalb von ihren Genoss:innen innig geliebt. Im Jahr 2018 wurde sie erneut als Gebietskommandantin von Botan eingesetzt und nahm diesen Auftrag mit großer Begeisterung an. Hevala Leylas jugendhafte Begeisterung und ihr Schwung kamen nie zum Erliegen. Sie führte die Racheoffensive Şehîd Medya Mawa und Şehîd Rizgar Gever an. Im Rahmen dieser Offensive plante sie viele Aktionen, die 2019 in vielen verschiedenen Gebieten in Botan umgesetzt wurden. Sie nahm ohne Furcht und Zögern an den Aktionen teil.
Diese Haltung durchzog alle Bereiche ihres Lebens. Sie leistete Großes. Wir dürfen die Errungenschaften dieser großen Kommandantin niemals vergessen. Als diejenigen, die an ihrer Seite gekämpft haben, werden wir uns immer ein Beispiel an ihr nehmen. Hevala Leylas Kämpfer:innen führen heute große Aktionen in Botan gegen den Feind durch. Alle unsere Regionen üben mit effektiven Aktionen Rache für Hevala Leyla und damit Vergeltung für alle gefallenen Freund:innen. Denn alle unserer Gefallenen haben für uns einen Wert geschaffen. Bei jedem Schritt, den wir gehen, denken wir sie. Ohne an sie zu denken, ohne ihrer zu gedenken, können wir nicht leben. Wir bauen auf ihnen auf und führen den Kampf weiter. Das bedeutet auch, Aktionen durchzuführen. Ich bin davon überzeugt, dass die Freund:innen in Nordkurdistan voller Kampfgeist ihre Aufgaben fortsetzen werden.