Als Schneider bei der Guerilla

Şervan Mêrdîn arbeitet auch nach seinem Beitritt zur Guerilla aus einer türkischen Großstadt weiter in seinem Beruf als Schneider.

In den Medya-Verteidigungsgebieten trifft man auf viele Einzelheiten des Kampfes. Die Liste reicht von der Waffenkammer über die Logistik bis zum Krankenhaus. Zu diesen unverzichtbaren Einrichtungen gehört auch die Schneiderei. Wir haben eine Guerilla-Schneiderei besucht und dabei erfahren, wie die maßgeschneiderte Guerillakleidung hergestellt wird.

Şervan Mêrdîn ist 23 Jahre alt. Seit drei Jahren ist er bei den Volksverteidigungskräften HPG. Vorher hat er in einer Näherei in Istanbul gearbeitet. Als er die staatliche Unterdrückung nicht mehr aushielt, ist er in die Berge gegangen. Seine Familie habe ihn dabei unterstützt, erzählt er: „Der türkische Staat will die kurdischen Jugendlichen assimilieren und ihnen einen degenerierten Lebensstil aufzwingen. Meine Familie wollte das verhindern und hat daher meinen Beitritt zur Guerilla befürwortet.“

Was genau ihn aus Istanbul in die Berge geführt habe, möchte ich von Şervan wissen. „Die Unterdrückung des türkischen Staates war unerträglich. Auf der einen Seite machte sie mich traurig, auf der anderen Seite wurde ich immer wütender. Vor allem die Massaker von Roboskî und Şengal sowie der Kampf um Kobanê haben den letzten Ausschlag gegeben. Es war eine Gewissensentscheidung.“

Trotz türkischer Angriffe weiter arbeiten

Der türkische Staat führe barbarische Angriffe durch, um die Guerilla außer Gefecht zu setzen, fährt Şervan fort. „Trotzdem setzen alle ihre Arbeit fort.“ Als er das sagt, fällt mir seine Gelassenheit auf. Er erzählt weiter: „Dieser Ort hier ist sehr sicher. Es ist viel darüber geredet worden, dass die PKK vernichtet wird. Seit vierzig Jahren will der türkische Staat seinen Misserfolg nicht einsehen. Er betrügt sich selbst. Die PKK kann nicht ausgelöscht werden, weil sich die Ideologie und die Philosophie von Serok Apo im Bewusstsein des kurdischen Volkes festgesetzt haben.“

Nähen nach Bedarf

Şervan erzählt von seiner Arbeit als Schneider. Wie jeder andere Beruf habe auch die Schneiderei schwierige Seiten. Alle Schwierigkeiten ließen sich jedoch bewältigen, wenn man mit Leidenschaft an die Arbeit herangehe, sagt er. Zwischen seiner früheren Tätigkeit in Istanbul und der Arbeit als Guerilla-Schneider lägen Welten. Früher habe er für seine Chefs gearbeitet, jetzt arbeite er für die Revolution.

Sein Talent ist ihm anzusehen. Er antwortet auf meine Fragen, während er seine Arbeit fortsetzt und eine neue Garnrolle in der Maschine einfädelt. „Ich nähe alles, was die Guerilla braucht: Kleidung, Taschen, Hüfttücher oder militärische Bedarfsgegenstände. Dazu gehören auch Schutzhüllen für empfindliche technische Geräte wie Funkgeräte oder Laptops.“

Die Besonderheit der Guerillakleidung

Auf meine Frage nach der Besonderheit der Guerillakleidung antwortet Şervan, sie müsse ebenso ästhetisch wie praktisch sein. Das passende Modell für die Guerilla sei im Laufe der Jahre entwickelt worden und stelle in seiner jetzigen Form die idealste Kleidung für das Leben in den Bergen Kurdistans dar. Der Stoff müsse widerstandsfähig, aber leicht sein. „Die Weite der nach unten enger werdenden Hosenbeine erleichtert die Bewegungsfreiheit. Die Westen haben viele Taschen, in denen Guerillautensilien untergebracht werden können. Das Hemd hat einen praktischen Reißverschluss.“

„Unsere eigene Mode“

„Wir schaffen unsere eigene Moderne und entwerfen dabei gleichzeitig unsere eigene Mode“, sagt Şervan. Die Guerillauniform trage auch kulturelle Spuren und sei die moderne Version der traditionellen Kleidung in Botan.

Strapazierfähig und ohne Profit

Im Verlauf des Gesprächs in der Guerilla-Schneiderei frage ich Şervan, wie die Arbeit läuft. Şervan misst ein Stück Stoff mit einem Meterband ab und erklärt: „Wir besorgen das Rohmaterial und beginnen mit der Produktion. Dabei achten wir darauf, dass alles, was wir nähen, strapazierfähig und in Tarnfarben gehalten ist.“

Der Wert der Arbeit bei der Guerilla wird anders gemessen, weil sie nicht profitorientiert ist. Der Lohn für die Arbeit besteht meistens aus dem Bewusstsein, dass ein Wert geschaffen wird und die Arbeit wertgeschätzt wird. Şervan sagt: „Wenn die Freundinnen und Freunde sich bei mir bedanken, weil ich ihren Bedarf erfüllt habe, bedeutet mir das viel. Es ist ein besonderes Gefühl. Mit dieser Moral setzen wir unsere Arbeit fort. Es ist ein Dienst sowohl an den Freunden als auch an der Revolution. Die Freunde und Freundinnen verdienen nur das Beste.“

Die Infrastruktur des Kampfes

Wer weiß, dass Krieg nicht so abläuft wie in Hollywood-Filmen, dem ist auch bewusst, dass die Vorbereitung am wichtigsten ist. Das wird mir zwischen den Stoffbergen und dem Surren der Nähmaschinen klar. Şervan sagt, dass es auf die Ganzheitlichkeit ankomme: „Auch der Kampf erfordert eine Infrastruktur. Was wir hier machen, ist eine Dimension dieser Infrastruktur. Die Freundinnen und Freunde ziehen die von uns genähte Kleidung an und füllen die von uns genähten Taschen mit Munition und Lebensmitteln. Bei Guerillaaktionen sind wir durch die vorher von geleistete Arbeit mit dabei.“