Şirnex: Neue Stufe im politischen Vernichtungsfeldzug

Die türkische Justiz dreht die Repressionsschraube gegen die Kurdinnen und Kurden weiter an. In Şirnex sind binnen einer Woche über vierzig Personen festgenommen worden. Die Hintergründe sind wegen eines Geheimhaltungsbeschlusses unbekannt.

In der Provinz Şirnex (tr. Şırnak) zeichnet sich eine neue Stufe der antikurdischen Repression ab. Binnen einer Woche sind über vierzig Personen festgenommen worden. Unter den Betroffenen befinden sich mehrere Minderjährige sowie Mitglieder der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Es scheint, als sei eine die gesamte Provinz umfassende Säuberungsaktion in Gang gesetzt worden. Die Razzien fanden in nahezu allen größeren Kreisen und Gemeinden von Şirnex statt.

Grundlage des politischen Vernichtungsfeldzugs ist ein von der Generalstaatsanwaltschaft Şırnak geführtes Ermittlungsverfahren. Die Hintergründe sind unklar, da über die Akte ein Geheimhaltungsbeschluss verhängt worden ist. Zur Begründung der Verfügung heißt es, ein persönlicher Kontakt zwischen „der Verdächtigen und juristischen Personen sowie die Berechtigung, den Inhalt der Akte zu prüfen oder Kopien der Dokumente anzufertigen“, könne den Zweck der Ermittlungen gefährden. Diese Praxis wird bei Verfahren nach der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung standartmäßig angewendet. Es handelt sich um eine beliebte Methode der Justizbehörden, die Verteidigung zu torpedieren.

Im Kreis Cizîr ist es am Morgen des 7. Mai zu Razzien gekommen. Eine Antiterroreinheit der türkischen Polizei hatte im Stadtteil Yafes mehrere Wohnungen überfallartig gestürmt und zahlreiche Festnahmen durchgeführt. Neben Yahya U. (16), Yusuf Y. (15), Abdullah B. (20) und Mahsum B. (21), die beschuldigt werden, Polizisten mit Steinen beworfen zu haben, waren auch sechs weitere (namentlich nicht bekannte) Personen in Gewahrsam genommen worden. In fünf Fällen wurden inzwischen Haftbefehle ausgestellt, eine Person kam gegen polizeiliche Meldeauflagen auf freien Fuß. Vier der Betroffenen befinden sich nach wie vor in Polizeihaft. Bisher ist nicht bekannt, ob es sich bei ihnen um die vermeintlichen „Steinewerfer“ handelt.

Festnahmen in Dêrgûl und Ereban

In der zur Provinzhauptstadt Şirnex gehörenden Gemeinde Dêrgûl sind am 10. Mai die Aktivistinnen Zeynep Unat und Zozan Aksu festgenommen worden. Aus Ereban im Kreis Hezex (Idil) befinden sich die Ko-Vorsitzende des HDP-Gemeindeverbands Müzeyyen Inan und ihr Sohn Osman Inan in Gewahrsam. Sofern die Polizeihaft an diesem Samstag nicht verlängert wird, sollten sie im Laufe Tages freigelassen oder an ein Gericht überstellt werden.

25 Festnahmen in Yafes und Cûdî

Zu weiteren Festnahmen in Cizîr kam es am 12. Mai. Die türkische Polizei stürmte zahlreiche Wohnungen in Yafes und Cûdî und nahm insgesamt 25 Personen fest. Das Wohnviertel Yafes wurde von polizeilichen Panzerwagen belagert, die Durchsuchungen dauerten stundenlang an. Bisher sind nur die Namen von elf Betroffenen bekannt: Zeynep Ecer, Çimen Ecer, Azat Bayram, Sadık Bayar, Ferhat Sirkeci, Sedin Bozkurt, Sait Yaşar, Taybet Aşikar, Şükrü Elçi, Harun Akdoğan und Diyar Belten. Sie werden weiterhin in der Polizeidirektion der Provinzhauptstadt Şirnex festgehalten. Für kommenden Montag ist die staatsanwaltliche Vernehmung angesetzt.

Zwei Festnahmen in Hezex

Weitere Razzien fanden in Hezex statt. Dort wurden Tarik Ul und Dilgeş Rüstemoğlu festgenommen. Auch sie wurden in das Präsidium in Şirnex gebracht.

Politischer Vernichtungsfeldzug seit 2015

Seit dem einseitigen Abbruch der Friedensgespräche zwischen der türkischen Regierung und dem PKK-Gründer Abdullah Öcalan durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im Sommer 2015 dreht die AKP unermüdlich an der Repressionsschraube gegen die kurdische Bevölkerung und die demokratische Opposition. Der seitdem in voller Fahrt laufende Vernichtungsfeldzug hat den Dialog, politische Diskussionen, Pluralismus und Grundrechte de facto abgeschafft. Nahezu täglich kommt es zu willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen. Zehntausende Menschen, darunter tausende HDP-Mitglieder, sitzen aus politischen Gründen im Gefängnis.