Identitäten der Gefallenen vom Girê Amêdî veröffentlicht

Ciwan Welat, Andok Adil und Botan Raperîn sind bei der großen Guerillaoperation am Girê Amêdî in Südkurdistan ums Leben gekommen. Die HPG haben ihre Biographien veröffentlicht.

Die Volksverteidigungskräfte (HPG) haben die Identitäten von drei Gefallenen veröffentlicht. Ciwan Welat, Andok Adil und Botan Raperîn sind Anfang der Woche bei der revolutionären Operation im Widerstandsgebiet Girê Amêdî in Südkurdistan ums Leben gekommen. Bei der Operation in der westlichen Zap-Region am 20. November wurden nach HPG-Angaben 49 Soldaten der türkischen Besatzungstruppen getötet. Das Pressezentrum der HPG hatte bereits mitgeteilt, dass die Kämpfer Ciwan und Andok im opferbereiten Kampf gefallen sind. Laut der Mitteilung von heute wurde der Guerillakämpfer Botan bei den Gefechten schwer verwundet und konnte nicht gerettet werden.

„Unsere Weggefährten Ciwan, Andok und Botan waren wertvolle apoistische Militante und tapfere Krieger auf der Linie der Opferbereitschaft. Mit der von ihnen erfolgreich durchgeführten revolutionären Operation haben sie der türkischen Besatzungsarmee einen der schwersten Schläge versetzt und einen Platz in der Freiheitsgeschichte unseres Volkes eingenommen. Sie machten die Opferbereitschaft zu ihrer Lebensform und widmeten jeden Moment ihres Kampfes dem Sieg. Mit der letzten revolutionären Operation haben sie Freund und Feind die Stärke der Guerilla gezeigt und ihren Kampf auf einem Gipfelpunkt abgeschlossen. Ciwan, Andok und Botan sind für uns als Hinterbliebene der Befehl, noch mehr zu kämpfen“, erklären die HPG in ihrem Nachruf. Den Angehörigen der Gefallenen und dem Volk Kurdistans sprechen die HPG ihr Mitgefühl aus.

Zur Biographie der Gefallenen machen die HPG folgende Angaben:

                         

Codename: Ciwan Welat
Vor- und Nachname: Fatih Bulut
Geburtsort: Mêrdîn
Namen von Mutter und Vater: Medine – Ali
Todestag und -ort: 20. November 2023 / Zap

 

Codename: Andok Adil
Vor- und Nachname: Ramazan Bilal
Geburtsort: Efrîn
Namen von Mutter und Vater: Esmahan – Fevzi
Todestag und -ort: 20. November 2023 / Zap

 

Codename: Botan Raperîn
Vor- und Nachname: Sait Songülalp
Geburtsort: Istanbul
Namen von Mutter und Vater: Halise – Emrullah
Todestag und -ort: 20. November 2023 / Zap


Ciwan Welat


Ciwan Welat ist in Mêrdîn-Qoser in Nordkurdistan geboren und in einem der kurdischen Freiheitsbewegung nahestehenden Umfeld aufgewachsen. Aus seinem familiären Umfeld schlossen sich viele Menschen dem Freiheitskampf an, darunter seine Schwester, ein Onkel und ein Cousin. Ciwan ging elf Jahre zur Schule und verdiente anschließend seinen Lebensunterhalt als Arbeiter. Als der IS 2014 Westkurdistan angriff, beteiligte er sich an der Verteidigung der Revolution von Rojava und kämpfte bewaffnet gegen die Islamisten. Mit seiner jugendlichen Energie und der Liebe zu seinem Land und Volk nahm er mit großem Mut vorbehaltlos an unzähligen Befreiungsoffensiven teil. In der Praxis des heißen Krieges wurde er zu einem apoistischen Militanten, der sich keine Atempause gönnte. Er wurde zweimal im Kampf verletzt und kehrte nach seiner Genesung schnell zurück auf seinen Posten. Mit seiner taktischen Intelligenz und seinem Interesse an der Kriegskunst erwarb er Schritt für Schritt die für die Kommandoebene notwendigen Fertigkeiten. Er professionalisierte sich in Sabotagetaktiken und verursachte mit seinen Aktionen schwere Verluste der Islamisten.

Nach dem Territorialsieg über den IS in Syrien ging Ciwan in die Medya-Verteidigungsgebiete und schloss sich der Guerilla an. In den Bergen vermittelte er seine jahrelangen Kampferfahrungen aus Rojava an seine Mitkämpfer:innen und bildete sich selbst hinsichtlich der modernen Guerillataktiken weiter. Der genossenschaftliche Umgang innerhalb der PKK stellte für ihn den höchsten Wert dar. Er sagte immer, was die PKK ausmache, sei das richtige Verhältnis zu Abdullah Öcalan und den Gefallenen und die kollektive Lebensweise. Vor dem Hintergrund der apoistischen Ideologie hinterfragte er seine eigene Persönlichkeit und Praxis. Zentrales Thema war für ihn die Frauenbefreiung. Er setzte sich selbstkritisch mit den reaktionären Einflüssen des patriarchalen Herrschaftssystems auseinander, um selbst ein freier Mann zu werden, den richtigen Umgang mit freien Frauen zu finden und ein freies Leben aufzubauen. Seine Selbstkritik setzte er in die Praxis um. Ciwan Welat wurde von seinen Weggefährt:innen geliebt und geachtet.

Er war sich der großen Gefahr für sein Volk und die Bewegung bewusst und leistete mit ebenso großer Opferbereitschaft Widerstand gegen die türkischen Besatzungsangriffe. Am Girê Amêdî nahm er mit dem später gefallenen Kommandanten Delil Zagros an Dutzenden erfolgreichen Aktionen gegen den Feind teil. Er war einer der mutigen Kämpfer, die sich den Besatzern mit taktischem Geschick und dem festen Glauben an den Sieg entgegenstellten. Mit dieser Einstellung beteiligte er sich als Kommandant einer Angriffsgruppe am 20. November an der revolutionären Operation am Girê Amêdî. Er drang in die türkischen Stellungen ein und ging im Nahkampf gegen den Feind vor. Nachdem er Dutzende Besatzer tötete, schloss er sich im Gefecht der Karawane der Gefallenen an.

Andok Adil


Andok Adil ist in Efrîn in Westkurdistan geboren und unter dem Einfluss der kurdischen Freiheitsbewegung aufgewachsen. Die PKK war ihm bereits als Kind ein Begriff. Während seiner Schulzeit las er heimlich ein vom syrischen Regime verbotenes Buch über den Gefängniswiderstand in Amed, das ihn sehr beeindruckte. Als Heranwachsender wurde er in der revolutionären Jugendbewegung aktiv. Im Zuge der Revolution von Rojava verstärkte er sein Engagement. Nach einem Einsatz in der Pressearbeit wurde er Teil einer Verteidigungseinheit gegen die beginnenden Angriffe islamistischer Gruppierungen. Mit seiner jugendlichen Energie und Begeisterung für die Revolution eignete er sich schnell militärische Fähigkeiten an und kämpfte zunächst in Efrîn und später in der Verteidigung von Aleppo. In den lange andauernden Kämpfen gelang es Andok und seinen Weggefährt:innen, die Angriffe Zehntausender von der Türkei unterstützter Islamisten abzuwehren. Der Kampf in Aleppo war der erste große Erfolg im Städtekrieg. Andok Adil verlor viele seiner Mitkämpfer:innen in diesem Krieg und wurde selbst dreimal verwundet, einmal sehr schwer. Die Front wollte er trotzdem nie verlassen. Bei der Bevölkerung und seinen Mitkämpfer:innen war er für seinen Mut, seine Selbstlosigkeit und sein militärisches Geschick bekannt.

Trotz seiner militärischen Erfolge war Andok mit sich selbst nicht zufrieden und wollte sich ideologisch weiterbilden. Zu diesem Zweck ging er 2017 in die Berge und schloss sich der Guerilla an. Die Umstellung in sein neues Leben fiel ihm nicht schwer und er stürzte sich mit unbändiger Energie in die Arbeit. Während er sich mit Hilfe seiner Genoss:innen weiterbildete, gab er seine eigenen Erfahrungen und sein Wissen an andere weiter. Ihm waren die Einflüsse des männlichen Herrschaftssystems auf seine Persönlichkeit bewusst und er konzentrierte sich darauf, diese Eigenschaften zu überwinden und ein freier Mensch zu werden. Bildung war für ihn nicht an bestimmte Zeiten oder Orte gebunden, sondern eine ständige Lebensaufgabe. Als die türkischen Besatzungsangriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiet intensiver wurden, nahm er an den Arbeiten zur Neustrukturierung der Guerilla teil und bildete viele Kämpfer:innen für den Tunnelkrieg und die mobilen Einheiten im Gelände aus. Er hielt sich lange Zeit am Girê Amêdî auf und trug mit unvergleichbarem Einsatz dazu bei, das Gebiet in eine Widerstandsfestung zu verwandelt. Mit den später gefallenen Kommandant:innen Delil Zagros und Güven Doza kämpfte er Schulter an Schulter gegen die türkische Besatzung. Andok machte keine Unterschied zwischen kleinen und großen Aufgaben und widmete sich jeder anfallenden Arbeit mit großem Enthusiasmus. Für ihn war jede Arbeit eine Freiheitsaktion. Mit seinem Mut und seinen Fähigkeiten in den neuen Guerillataktiken nahm er von der Planung und Koordinierung bis zur Durchführung vieler erfolgreicher Aktionen auf allen Ebenen am Kampf teil. Auch bei der revolutionären Operation am 20. November trug er maßgeblich zum Erfolg bei.

Botan Raperîn


Botan Raperîn ist in Istanbul geboren und aufgewachsen. Seine Familie stammt aus Sêrt und musste Kurdistan als Resultat der Kriegspolitik aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Botan wuchs fern der kurdischen Realität auf und lernte die PKK erst als Gymnasialschüler kennen. Fasziniert von seinen neuen Erkenntnissen wurde er in der Jugendbewegung aktiv und sammelte erste ideologische und organisatorische Erfahrungen. Mit seiner lebhaften Persönlichkeit und seiner entschlossenen Haltung gelang es ihm, Kontakte zu jungen Kurdinnen und Kurden aufzubauen, die wie er in einer türkischen Großstadt lebten. Nach den IS-Angriffen auf Kurdistan im Jahr 2014 wollte er mehr Verantwortung für die Verteidigung seines Volkes übernehmen und schloss sich 2015 in Amed der Guerilla an. Dass sein Guerillaleben im Norden Kurdistans begann, empfand er schnell als Vorteil. Er war von Dutzenden erfahrenen Genoss:innen umgeben, von denen er wichtige Lektionen erhielt. Die Freiheitsphilosophie von Abdullah Öcalan lernte er in allen Facetten des täglichen Lebens kennen. Er selbst war zwar noch neu bei der Guerilla, aber er konnte von jahrzehntelangen Erfahrungen profitieren. Sein vordringlicher Wunsch war der Kampf gegen die Islamisten, die in Rojava und Şengal Massaker an der Bevölkerung begangen. Im selben Jahr ging er von Amed nach Rojava und nahm an Befreiungsoffensiven gegen den IS teil. Er erlernte den Gebrauch verschiedener Waffen und entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem versierten Kämpfer.

2017 kehrte er zurück in die Berge und kam in die Medya-Verteidigungsgebiete, wo er an einem Bildungslehrgang teilnahm und dabei gleichzeitig seine militärischen Erfahrungen weitergab und seine ideologischen Erkenntnisse vertiefte. In dieser Zeit kam er zu der Überzeugung, dass nur ein opferbereiter Kampf zum Sieg führen kann. Seine Vorbilder waren die Lebensweise von Abdullah Öcalan und die Opferbereitschaft von Kommandant Egîd (Mahsum Korkmaz) und Zîlan (Zeynep Kınacı). „Was uns unsterblich macht, sind die Werte, die wir im Leben geschaffen haben“, sagte er einmal. Seine Haltung färbte auf sein jeweiliges Umfeld ab und er hinterließ mit seiner Herzlichkeit und seiner aufrichtigen Beteiligung unvergessliche Spuren. Er bildete sich unentwegt weiter und bereitete sich ständig darauf vor, auf die Massaker des türkischen Staates an seinem Volk zu reagieren und seine gefallenen Genoss:innen zu rächen. Als die Angriffe der türkischen Armee auf die Regionen Metîna, Zap und Avaşîn zunahmen, kam er in das Gebiet Girê Amêdî und nahm am Tunnelkrieg teil. Er beteiligte sich an zahlreichen Aktionen gegen die Invasionstruppen und fiel dabei durch seinen Mut, seine Flexibilität und seinen taktischen Reichtum auf. Bei der Operation am 20. November erlitt er eine schwere Verletzung, der er trotz intensiver Bemühungen seiner Mitkämpfer:innen erlag.