In Deutschland erhalten nach Angaben der europäischen Vereinigung kurdischer Lehrer:innen (YMK) 3.200 Schüler:innen Kurdischunterricht. Im Gespräch mit der Tageszeitung Yeni Özgür Politika äußert sich der Vorsitzende der YMK, Samir Xidir Ebdi, zu den Herausforderungen des Unterrichts und den Projekten der Vereinigung und ruft dazu auf, Kurdisch in allen Lebensbereichen stärker zu verankern.
Die Situation des Kurdischunterrichts in den deutschen Bundesländern kommentiert Ebdi wie folgt: „In diesem Jahr haben wir etwa 3.200 Schüler:innen, das sind 200 Schüler:innen mehr als im vergangenen Jahr. In Nordrhein-Westfalen wurde an drei weiteren Schulen der Unterricht aufgenommen. Insgesamt bieten 44 Schulen in sechs Bundesländern (Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Brandenburg) Kurdischunterricht an, hauptsächlich in den Dialekten Kurmancî, Kirmanckî und Soranî. Das sind die Zahlen, die von den Lehrer:innen, die Mitglied in der YMK sind, angegeben wurden. Die Anzahl der Lehrer:innen, Schulen und Schüler:innen, die nicht in der YMK sind, ist uns leider nicht bekannt."
Unzureichende Anreize
Ebdi verweist darauf, dass die Anzahl an Schüler:innen, die in kurdischer Sprache unterrichtet werden, sehr gering sei, und nannte dafür folgende Gründe: „Nach einer Gesetzesänderung in NRW im vergangenen Jahr wurde der muttersprachliche Unterricht auf den Nachmittag verlegt. Der Schulunterricht endet in der Regel zwischen 13 und 14 Uhr. Der Unterricht in der Muttersprache beginnt um 17 Uhr. Die Familien können oder wollen ihre Kinder nicht zum Kurdischunterricht nach Schulschluss bringen. Wir rufen oft in den Familien an und fragen nach: ,Warum kommt Ihr Kind nicht zum Unterricht?` Die Antwort lautet: ,Die Kinder wollen das nicht`. Die Familien betrachten den Kurdischunterricht nicht als Pflichtfach wie Deutsch, Englisch oder Mathematik. Sie bringen ihren Kindern die Bedeutung der kurdischen Sprache nicht nahe. Wenn sie die Bedeutung des Themas erläutern würden, kämen die Kinder bereitwillig und gerne zum Unterricht. Einige unserer Lehrer:innen sind auch nicht in der Lage, Kinder zur Teilnahme am Unterricht zu bewegen. Sie pflegen teils noch immer überholte, klassische Methoden. Hier gibt es ein neues System, wonach sie sich richten sollten. Der Unterricht sollte nicht nur auf Büchern basieren, sondern auch Techniken, Methoden und Spiele beinhalten, die den Kindern Spaß am Kurdischunterricht vermitteln. Die geringe Beteiligung der Kinder am Unterricht führe ich auf diese genannten Gründe zurück.
Kurdischunterricht nicht in jeder Schule
Allerdings würden sich die Probleme nicht nur darauf beschränken, fährt Ebdi fort: „Nicht jede Schule in jeder Stadt bietet Kurdischunterricht an. Viele Schüler:innen müssen in eine andere Schule gehen, um am Sprachunterricht teilnehmen zu können, und verbringen viel Zeit mit den Wegen. Einige meiner Schüler:innen müssen zum Beispiel 90 Minuten unterwegs sein, um den Unterricht zu besuchen. Wenn es in derselben Schule arabische und türkische Klassen gibt, schicken unsere Familien ihre Kinder dorthin. Daher ist die Beteiligung am Kurdischunterricht gering. An einer der Schulen, an denen ich dieses Jahr unterrichtet habe, gibt es keinen Arabischunterricht, daher stieg die Zahl der Schüler:innen, die am Kurdischunterricht teilnehmen."
Vorschlag der Einrichtung von Kurdologie-Fakultäten
Ebdi erklärt, dass die Bemühungen um kurdische Lehrkräfte weitergehen, und fügt hinzu, dass Initiativen zur Einrichtung von Kurdologie-Fakultäten an den Universitäten fortgesetzt werden: „Vor zwei Jahren nahmen 64 Studierende an einem Kurs teil, der an der Pariser Inalko-Universität für die Ausbildung von Kurdisch-Sprachlehrer:innen organisiert wurde. Sie alle erhielten ihre Zertifikate. Zudem haben wir Gespräche mit Universitäten in Südkurdistan geführt, um ein Projekt zur Lösung dieses Problems zu entwickeln. Wir hatten ein Treffen mit dem Bildungsminister der Regierung Südkurdistans während seines Besuchs in Deutschland im vergangenen Jahr. Wir stellten unser Projekt vor, und er versprach, einen gemeinsamen Fachbereich für Kurdologie mit einer Universität in Deutschland zu eröffnen. Dann wurde das Projekt aufgrund von Corona abgesagt, sie haben sich immer noch nicht bei uns gemeldet. Im Jahr 2021 reiste ich erneut nach Dihok und traf mich mit Dr. Emin Abdulqarer Omar von der dortigen Universität, der unsere Projekte begrüßte und uns dasselbe versprach. Unmittelbar danach kam Dr. Dawood Atrushi, Präsident der Universität Dihok, nach Deutschland. Wir hatten ein Telefongespräch mit ihm und auch er versprach entsprechende Bemühungen. Wir schlugen ihm vor, eine Fakultät für Kurdologie an einer der Universitäten in Duisburg, Essen, Dortmund, Bielefeld oder Göttingen zu eröffnen. Bis heute haben wir keine Antwort von ihnen erhalten. Aber unsere Bemühungen für dieses Thema gehen weiter."
„Wir sollten in allen Bereichen unsere Muttersprache verwenden“
Ebdi betonte, dass die kurdische Sprache gefördert werden sollte, und machte folgende Vorschläge: „Kurd:innen in der Diaspora sollten an den Orten, an denen sie leben, familiäre Initiativen gründen und die Bildung in ihrer Muttersprache fordern. Kurdische Vereine sollten Aktivitäten durchführen, die ihrer Muttersprache Bedeutung beimessen. Ich glaube, dass die kurdischen politischen Parteien eine große Verantwortung dafür tragen. Wir sollten auch die kurdische Sprache bei unseren Feiern, in den Ankündigungen und Broschüren, die wir veröffentlichen, verwenden. Wir sollten unsere Muttersprache in allen Bereichen des Lebens verwenden. Dies ist nicht nur die Aufgabe der YMK. Ein Großteil der Kritik kommt von politischen Gremien, doch leider messen unsere politischen Parteien der muttersprachlichen Arbeit wenig Bedeutung bei. Wenn alleine die Kinder von Mitgliedern politischer Organisationen am Kurdischunterricht teilnehmen würden, würden Tausende von Kindern den Unterricht besuchen".
Arbeit an drei Lehrbüchern
Ebdi berichtet zuletzt über Projekte und Vorbereitungen, die sie in diesem Jahr für den Kurdischunterricht getroffen haben: „Eine unserer Hauptaufgaben als YMK ist die Arbeit an kurdischen Schulbüchern. Uns fehlen Bücher. Einerseits arbeiten wir an Büchern für Bildungskurse in Deutschland, derzeit sind es drei Stück. Eines für Erwachsene, eines für den Sekundarbereich und eines für Grundschulen. Andererseits sind zwei andere unserer Wörterbücher druckfertig. Eines davon besteht aus 450 Wörtern. Es wird in Deutsch-Kurmancî, Deutsch- Kirmanckî und Deutsch-Soranî angeboten. Das andere Buch ist für weiterführende Schulen gedacht.“