Das versteckte Kreuz: Doku über Armenier in Amed

In Amed ist ein Dokumentarfilm über Überlebende des armenischen Genozids gedreht worden, die zum Islam konvertieren mussten. Wir haben mit den Regisseuren gesprochen.

Der Dokumentarfilm „Das versteckte Kreuz“ (Saklı Haç) erzählt die Geschichte von Armeniern in der nordkurdischen Provinz Amed, die nach dem Genozid zum Islam konvertiert sind. Die Regisseure betrachten ihren Film als eine Aufarbeitung in Form einer Konfrontation mit dem, was alle wussten, über das jedoch nicht gesprochen wurde.

Dem Genozid an den Armeniern im Jahr 1915 im Osmanischen Reich sind ungefähr anderthalb Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Ein nicht unerheblicher Teil der Überlebenden ist zum Islam konvertiert. Seit über einem Jahrhundert halten sie ihre Identität, ihre Kultur und ihren Glauben verborgen. Vor allem in ländlichen Gebieten mit einer überwiegend sunnitischen Bevölkerung änderten Armenier ihre Namen und begannen, muslimische Rituale auszuführen. Viele verspürten das Bedürfnis, muslimischer als die Moslems aufzutreten. Im Kreis Egil in Amed leben Armenierinnen und Armenier, die sich und ihre Identität verstecken mussten. Altan Sancar und Serhat Temel haben einen Dokumentarfilm über sie gedreht. ANF haben sie erzählt, was sie zu dieser Dokumentation motiviert hat.

Eine verborgene Geschichte

„Der armenische Genozid hat viele Facetten, eine davon sind die zum Islam konvertierten Armenier. Sie können sich nicht wirklich zum Ausdruck bringen und nicht sprechen. Wir haben gedacht, wenn wir den Stimmen dieser Menschen Gehör verleihen, sind wir einer Aufarbeitung von 1915 einen Schritt weiter gekommen. Der Titel unseres Dokumentarfilms fasst das Leben der zum Islam konvertierten Armenier zusammen. Er ist auf interessante Weise entstanden. In der ersten Woche der Dreharbeiten haben wir eine Frau besucht. Sie sagte, dass sie uns etwas zeigen möchte, und holte ein Kreuz aus einer Truhe. Es war das Kreuz ihrer Großmutter, die es ihrer Mutter weitergegeben hat und diese schließlich ihr. Sie selbst wird es einer ihrer Töchter weitergeben. So ist uns die Idee zu dem Titel „Das versteckte Kreuz“ gekommen. Es geht dabei nicht nur um das Kreuz, sondern um Identität, Kultur und Glauben, die verborgen werden. Versteckt wird nicht nur ein Symbol, sondern gleichzeitig ein Teil der Geschichte“, sagt Altan Sancar.

Gala in Amed

Die Gala des Dokumentarfilms hat am 16. Juni in Amed stattgefunden. Weitere Vorführungen sind laut Sancar in Istanbul und anderen Städten geplant: „Unser größter Traum wäre eine Gala in Armenien. Auch in Europa wird es Vorführungen geben. Gleichzeitig erwarten uns Vorführungen auf Filmfestivals. Anschließend wird der Film im Internet frei zugänglich sein. Unser Ziel ist, dass ihn jeder sieht und weiß, was den Armeniern, den Kurden und anderen diskriminierten Völkern in dieser Gegend angetan worden ist. Wir werden auch weiterhin zu diesem Thema arbeiten.“

Wichtig ist die Konfrontation

Serhat Temel, der zweite Regisseur, erzählt dass er mit vielen der Kinder und Enkel der Hauptpersonen des Dokumentarfilms früher gespielt hat: „Wir sind mit ihnen aufgewachsen. Uns ist bewusst, wie sehr wir sie als Kinder verletzt haben. Es handelt sich um eine Geschichte, die wir kannten. Wir fanden es notwendig, dass sie aufgearbeitet wird und eine Konfrontation damit stattfindet. Es sind viele Themen zur Sprache gekommen, die eine Entschuldigung erfordern. Es geht uns jedoch nicht um eine oberflächliche Entschuldigung, sondern um eine Konfrontation mit der Realität. Was uns weiterhilft, ist eine Aufarbeitung dessen, was wir getan und mitgemacht haben. Wir wussten bereits in unserer Kindheit, um was es geht, wie diese Kinder aufgewachsen sind und wie die Menschen gelitten haben, die im Film zur Sprache kommen. Und wir wollten, dass es alle sehen. Es soll eine Konfrontation für alle sein, die dort gelebt und bis heute geschwiegen haben.“

Generationsübergreifendes Trauma

Obwohl über ein Jahrhundert seit dem Genozid vergangen ist, sind die Menschen, um die es in dem Film geht, immer noch traumatisiert, sagt Temel: „Eigentlich haben wir nicht mit der ersten Generation gesprochen, sondern mit der zweiten und dritten Generation, die den Genozid selbst nicht miterlebt haben. Bei ihren Erzählungen wird deutlich, dass das Trauma nicht überwunden ist. Eigentlich handelt es sich um die Geschichte unserer Scham. Wir wollten das Thema zuerst schriftlich verarbeiten, aber dann dachten wir, dass es als Dokumentarfilm größere Verbreitung findet. Uns geht es vor allem darum, dass die Geschichten dieser Menschen bekannt werden. An dem Film haben wir ungefähr ein Jahr gearbeitet, davon haben wir drei Monate mit Dreharbeiten verbracht.“

Altan Sancar, der selbst ein Enkel konvertierter Armenier ist, ergänzt: „Vielleicht ist die Grundlage für das, was die Türkei heute erlebt, bereits 1915 gelegt worden. Wenn wir uns mit der Wahrheit von 1915 auseinandersetzen können, kann sich vielleicht heute etwas ändern.“