Unter der Anwesenheit von knapp 100 Teilnehmer*innen wurde im ehemaligen Rathaus Kreuzberg die Ausstellung „Fotografie im Ausnahmezustand" eröffnet. Die Ausstellung dokumentiert eindrücklich das Leben in Sûr, der historischen Altstadt von Amed (Diyarbakır), vor und nach der Zerstörung durch die türkischen Sicherheitskräfte in den Jahren 2015 und 2016.
Eröffnet wurde die Ausstellung durch die Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, Kristine Jaath. Auf der Eröffnung sprachen außerdem Fatma Şık, die mittlerweile im Exil lebende Ko-Bürgermeisterin von Sûr, die Journalistin und Fotografin Esra Gültekin sowie Dr. H.G. Kleff, der Ko-Kurator der Ausstellung.
Im Anschluss an die Eröffnung fand ebenfalls im ehemaligen Rathaus eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Die Zerstörung von Diyarbakır und das Schweigen der UNESCO" statt, auf der Fatma Şık, die beiden Fotografen der Ausstellung, Esra Gültekin und Refik Tekin, sowie der deutsche Fotojournalist Hinrich Schultze sprachen.
Fatma Şık schilderte die politischen Hintergründe, die zu ihrer Absetzung als Ko-Bürgermeisterin und der Zerstörung von Sûr führten. Sie beschrieb zudem, wie sie in der Stadtverwaltung versuchten, lokale Selbstverwaltungsstrukturen zu etablieren und zum Schutz der historischen Altstadt erfolgreich die Anerkennung von Sûr zum UNSESCO-Weltkulturerbe ermöglichten. Allerdings, so erklärte Şık, haben wenige Monate nach der Anerkennung der Altstadt zum Weltkulturerbe die Angriffe auf Sûr begonnen und weder die UNESCO noch eine andere internationale Organisation habe sich für den Schutz der Altstadt eingesetzt.
Anschließend beschrieben auf der Diskussionsveranstaltung die Journalistin Esra Gültekin und der Fotograf Refik Tekin, unter welchen Umständen sie ihre Arbeit trotz des Kriegszustands in Nordkurdistan fortführten. Gültekin erklärte, dass die Gewalterfahrung in der Region stets präsent war, die Dosis der Gewalt aber in den Zeiten der Ausgangssperre deutlich zugenommen habe. Sie beschrieb, dass der Krieg ein männliches Phänomen ist und sie als Frau unter diesen Bedingungen auch stets mit sexueller Belästigung durch die Sicherheitskräfte rechnen musste.
Refik Tekin hatte Aufnahmen in Cizîr (Cizre) gemacht, bei denen türkische Sicherheitskräfte während der Ausgangssperre auf eine Gruppe schießt, die unter dem Schutz einer weißen Fahne Leichname aus dem Kampfgebiet bergen wollte. Die Aufzeichnung wurde auf der Veranstaltung gezeigt und Tekin, der selbst bei diesem Angriff verletzt wurde, erklärte, dass es sich bei den Opfern in der Szene ausschließlich um Zivilisten gehandelt hat. Nach dem Ende des Videoausschnitts seien die Verletzten zunächst über den Boden geschleift und anschließend in einem militärischen Krankenhaus vor der Behandlung beleidigt, geschlagen und bedroht worden.
Auch der deutsche Fotograf Hinrich Schultze schilderte seine Erfahrungen bei seinen regelmäßigen Reisen nach Nordkurdistan. Schultze erklärte, dass er oft von seinem Umfeld gefragt werde, warum er diese gefährlichen Reisen auf sich nehme. Für ihn sei jedoch klar, dass es als Fotograf und Journalist zu seiner Aufgabe und Verantwortung gehöre, die Erlebnisse und Probleme der Menschen an die Öffentlichkeit zu bringen. Auf der Veranstaltung wurden Bilder Schultzes gezeigt, die er kurz nach der Zerstörung von Sûr aufgezeichnet hatte.
Die Fotoausstellung „Fotografie im Ausnahmezustand" kann noch bis zum 26. Oktober täglich von 8 bis 20 Uhr im ehemaligen Rathaus Kreuzberg (Yorckstraße 4-11, 1. OG., 10965 Berlin) besucht werden. Die Fotografien zur Ausstellung steuerten Mahmut Bozarslan, Hanja Breddermann, Selcuk Ekmekci, Esra Gültekin, H.G. Kleff, Hinrich Schultze, Nevin Soyukaya, Refik Tekin sowie die Plattform „Nein zur Zerstörung von Sûr" bei.