Sabri Ok: Wichtig ist die Praxis

Als Abdullah Öcalan nach Imrali gebracht wurde, war eine der Personen, die ihn in Empfang nahmen, eine Vertreterin des Europarats. Die europäische Frau sprach mit einer Gelassenheit, die aus ihrer Beteiligung an dem Komplott resultierte.

Sabri Ok hat sich als Mitglied des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) in einem ausführlichen ANF-Interview zur Isolation Abdullah Öcalans, der beharrlichen Einstufung der PKK als terroristischer Organisation und weiteren Themen geäußert.

Auf die Frage zu seiner Einschätzung des Europarats, dessen Ministerkomitee auf seiner jüngsten Sitzung die Türkei im Fall von Öcalan und anderen politischen Gefangenen zur Einhaltung der vom europäischen Menschenrechtsgerichtshofs festgelegten Standards aufgefordert hat, antwortete Sabri Ok:

Rêber Apo [Abdullah Öcalan] wird seit knapp 23 Jahren auf Imrali gefangen gehalten. Auf Imrali herrscht ein Sondersystem, das von den am internationalen Komplott beteiligten Mächten installiert worden ist und aufrecht erhalten wird. Alles, was dort geschieht, findet sehr bewusst statt und entspricht den Zwecken dieser Mächte. Es handelt sich um ein System der Zermürbung, mit dem Rêber Apo zu Zugeständnissen gezwungen werden sollte. Daher wird einschließlich physischer und psychischer Unterdrückung unter Missachtung der nationalen und internationalen Rechtsprechung alles umgesetzt, was dieses System vorsieht. Als er seine Verteidigungsschriften vorbereitete, wurden ihm manchmal Stift und Papier vorenthalten. Manchmal wurden Essen, Hofgang und Lebensbedingungen eingeschränkt. Es wird eine Politik der vollständigen Abschottung verfolgt, der Kontakt zu Familienangehörigen und dem Rechtsbeistand ist verboten. In den vergangenen acht Monaten haben weder die Anwälte noch die Angehörigen ein Lebenszeichen von Rêber Apo und seinen drei Weggefährten Veysi Aktaş, Ömer Hayri Konar und Hamili Yıldırım erhalten.

Natürlich wird dagegen ununterbrochen Widerstand geleistet. Der faschistische türkische Staat und die AKP/MHP-Regierung haben zwar angesichts des Willens und Widerstands von Rêber Apo bis heute keinen Erfolg erzielt, aber sie geben diese Politik nicht auf und beharren auf ihrem unmoralischen und regellosen Krieg gegen unsere Bewegung, unser Volk und unsere Freundinnen und Freunde. Das faschistische AKP/MHP-Regime verfolgt in diesem Krieg das Konzept, die PKK und das kurdische Volk in die Knie zu zwingen. Dieses Konzept ist zuerst auf Imrali zur Anwendung gekommen, es konnte jedoch durch Rêber Apo und den mit unbeugsamem Willen geführten Kampf unseres Volkes und unserer Bewegung abgewendet werden.

Als Rêber Apo nach Imrali gebracht wurde, war eine der Personen, die ihn in Empfang nahmen, eine Frau, die für den Europarat dort war. Sie teilte ihm mit, dass er dort mit dem Vertrauen in sie selbst festgehalten wird, sie die Situation verfolgen werde und von Zeit zu Zeit Gespräche stattfinden könnten. Die europäische Frau sprach mit einer Gelassenheit, die aus ihrer Beteiligung an dem Komplott resultierte. Ohnehin wurde das Komplott von den USA und Europa geplant und ausgeführt. Diese Kräfte sind für die Bedingungen, unter denen Rêber Apo sich heute befindet, und das Imrali-System verantwortlich. Die Urteile und die Rechtsprechung des europäischen Menschenrechtsgerichtshof werden auf Imrali jeden Tag mit Füßen getreten. Obwohl die Anwältinnen und Anwälte von Rêber Apo sich mehrfach an das CPT [Komitee des Europarats zur Verhinderung von Folter] gewandt haben und das kurdische Volk gemeinsam mit seinen Freundinnen und Freunden in Europa, den vier Teilen Kurdistans und überall auf der Welt ständig auf den Beinen ist, hat der Europarat noch keine einzige Sanktion gegen die Türkei erlassen und steht nicht ein für seine eigene Demokratie und Rechtsnormen. Deshalb ist die Reaktion der Kurden so groß. Etliche Menschen aus Kurdistan haben aus Protest gegen den Europarat und das CPT ihr Leben beendet, für Rêber Apo wurden zehneinhalb Millionen notariell beglaubigte Unterschriften gesammelt und diese Unterschriften wurden dem Europarat ausgehändigt. Der Europarat zeigt jedoch keinen Respekt vor dieser Willensbezeugung von Millionen Menschen und handelt nicht nach den eigenen demokratischen und rechtlichen Prinzipien.

Die Anträge der Anwälte von Rêber Apo und anderer Rechtsinstitutionen hat sich das Ministerkomitee des Europarats erst nach sieben Jahren auf die Agenda gesetzt. Es geht dabei jedoch nicht um Demokratie und Rechtsnormen. Selbst beim Europarat und dem europäischen Gerichtshof treten zumeist keine juristischen, sondern politische Aspekte in den Vordergrund, wenn die Problematik das kurdische Volk und Rêber Apo betrifft. Zweifellos sind von Zeit zu Zeit auch juristische Regeln angewendet worden. Jetzt ist jedoch wichtig, inwieweit der Europarat Druck auf die Türkei ausüben und dabei konsequent sein wird. Das Ministerkomitee des Europarats hat sich hinter die früheren EGMR-Entscheidungen gestellt. Es fordert angesichts des sogenannten Rechts auf Hoffnung eine Änderung des rechtlichen Rahmens für die Verurteilung zu einer erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Das ist natürlich nicht gänzlich unwichtig, aber noch wichtiger ist es, ernsten Druck auf den türkischen Staat auszuüben. Wenn es nur bei einer verbalen Äußerung bleibt, werden keine praktischen Konsequenzen erfolgen. Am allerwichtigsten ist es, dass unser Volk beharrlich auf politischer, diplomatischer, juristischer und gesellschaftlicher Ebene überall für Rêber Apos Freiheit kämpft und eine entsprechende Haltung einfordert.