Sprecherin des Nationalkongress Kurdistan
Der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Abdullah Öcalan hat die von ihm mitbegründete Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zur Auflösung und Beendigung des bewaffneten Widerstands in der Türkei aufgerufen – ein Schritt, der einen historischen Wendepunkt im türkisch-kurdischen Konflikt markiert und den Weg für eine gerechte Lösung der kurdischen Frage und dauerhaften Frieden ebnen könnte. Die PKK reagierte auf den Aufruf mit der Verkündung eines einseitigen Waffenstillstands, stellte für das endgültige Niederlegen der Waffen und ihre Selbstauflösung jedoch politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Auch Öcalans Appell geht über eine reine Einstellung des bewaffneten Kampfes hinaus. Er fordert die Anerkennung demokratischer Prinzipien durch die Türkei. Nur dann könne es einen echten und würdevollen Frieden geben.
Notwendige Schritte jetzt setzen
Die Nahostexpertin Nilüfer Koç hat die Führung in Ankara nach dem Aufruf Öcalans in die Pflicht genommen. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan müsse „politischen Willen“ für eine demokratische Lösung zeigen, betonte Koç, die Mitglied des Exekutivrats des Nationalkongress Kurdistan (KNK) und dessen Sprecherin für Außenbeziehungen ist, in einem von Serkan Demirel für den türkischen Dienst der ANF geführten Interview. Die Schritte des türkischen Staates seien entscheidend für den Erfolg der Initiative Öcalans, betonte sie. „Der türkische Staat muss jetzt die politischen, rechtlichen und moralischen Rahmenbedingungen schaffen, die für die Umsetzung eines Friedensprozesses notwendig sind“, fordert Koç.
Öcalans Aufruf mutig und historisch
„Es gibt eine Kurdistan-Frage und es reicht nicht aus, die Waffen niederzulegen“ – so der Tenor des Gesprächs mit Koç. Sie beschrieb Öcalans Aufruf als einen mutigen und historischen Schritt, der auf dem Widerstand gegen das Foltersystem auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali und dem Befreiungskampf der kurdischen Bewegung basiere. „Sein Appell markiert den Beginn einer neuen Ära, die auf fünf Jahrzehnte Widerstand gegen Unterdrückung folgt“, so Koç. Sie hob hervor, dass die kurdische Bewegung seit 50 Jahren friedliche Lösungen anstrebe, aber die türkische Regierung bisher keine positiven Schritte unternommen habe.
Verständnis für Skepsis
„Das kurdische Volk ist seit einem Jahrhundert in einer Spirale der Gewalt gefangen“, betonte Koç. Sie äußerte Verständnis für Skepsis innerhalb der kurdischen Bevölkerung gegenüber dem Staat und für die aufkommende Frage, ob eine 100-jährige Politik der Unterdrückung und des Genozids sich plötzlich ändern kann. Daher sehe sie es als wesentlich für einen Friedensprozess an, dass der Staat jetzt konkrete Schritte unternimmt, wie etwa verfassungsrechtliche Änderungen und eine demokratische Transformation, die die Rechte der kurdischen Bevölkerung garantieren. Die Freilassung Abdullah Öcalans hob Koç als wesentliche Voraussetzung für den Erfolg eines Friedensprozesses hervor. Sie betonte, dass eine direkte Teilnahme des 75-Jährigen an einem Kongress zur Auflösung der PKK und seine freie Kommunikation mit der Öffentlichkeit entscheidend sei, um den Prozess voranzutreiben. Mit einer umgehenden Niederlegung der Waffen solle aber niemand rechnen. Eine Entwaffnung benötige Zeit und rechtliche Garantien.“
Warnung vor Sabotageversuchen
Koç äußerte auch Bedenken hinsichtlich möglicher Sabotageversuche des Friedensprozesses, ähnlich dem Pariser Massaker von 2013, bei dem die kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes erschossen worden waren. „Auch deshalb ist es notwendig, dass konkrete Schritte schnell gesetzt werden, um den Prozess voranzutreiben und mögliche Rückschläge zu verhindern“, betonte Koç. Sie forderte die internationale Gemeinschaft, insbesondere Europa in dieser Hinsicht auf, eine aktivere Rolle zu spielen. Die Türkei müsse dazu gedrängt werden, sich zu reformieren und den Friedensprozess zu unterstützen. „Darüber hinaus ist die Kriminalisierung der PKK und der kurdischen Bewegung hinfällig, es braucht eine Neubewertung dieser Politik“, so Koç.
Internationale Überwachungsmechanismen für Friedensprozess
Koç hob in dem Interview die Rolle der kurdischen Diplomatie hervor, die in der Lage sei, die Lücke eines neutralen Vermittlers zu füllen. Sie forderte die Einrichtung von internationalen Mechanismen, um einen Friedensprozess zwischen Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat zu überwachen und zu unterstützen. „Die kurdische Diplomatie und die internationale Unterstützung für den historischen Aufruf Öcalans spielen eine Schlüsselrolle für den Erfolg dieser Friedensinitiative.“