Ich kannte den Freund Egîd seit 1977. Er gehörte zu den Jüngsten innerhalb der Jugendbewegung in Batman (ku. Êlih), und stach besonders deutlich hervor. Maßgeblich für Batman verantwortlich war damals der Freund Mazlum (Doğan). Batman und Amed (tr. Diyarbakir) bildeten gemeinsam eine Region. Dementsprechend gab es enge Beziehungen zwischen den beiden. Egîd stach sowohl aufgrund seiner entschlossenen Haltung als auch mit seiner Kreativität und Flexibilität in der Praxis und damit durch Erfolg besonders hervor. In diesem Rahmen war er im Raum Batman an militärischen Aktionen beteiligt. Als der Siverek-Widerstand ausbrach, ging er dort hin und hielt sich eine Weile in der Gegend auf. Das war im Sommer 1979. Er gehörte zu den 15 Freunden aus der ersten Gruppe, die nach einem Aufruf von Rêber Apo für die militärische Ausbildung in Palästina ausgewählt wurden. Jeder von ihnen war damals militärisch für eine Region verantwortlich. Der Zuständigkeitsbereich des Freundes Egîd war Batman. An den Guerillaaktivitäten während des Siverek-Aufstandes war er persönlich beteiligt. Zusammen mit Kemal Pir gehörte Egîd damit der ersten Gruppe an, die [aus Kurdistan] aufbrach.
Im Mai 1980 kehrten die beiden nach Siirt zurück, um dort die Botan-Kommandantur zu organisieren. Der Vorsitzende hatte Hevalê Egîd die Aufgabe erteilt, sowohl das Quartier für Botan als auch eine allgemeine Zentralkommandantur der Guerilla aufzubauen. Sie bestand aus drei Kommandos: Toros, Dersim und Botan. Letzteres sollte zugleich die beiden anderen Standorte leiten. Es war also das, was wir heute Zentralkommandantur nennen. Noch vor Beginn dieser Arbeiten ist Kemal Pir auf sehr unglückliche Weise in Gefangenschaft geraten. Hevalê Egîd konnte verletzt entkommen. Seine Flucht war spektakulär, vor allem wenn wir bedenken, dass er sich in einer Situation wie dieser mit einem Sprung [aus einem Auto] rettete. Kemal Pir war bei der Festnahme bewusstlos. Sonst wäre es niemals möglich gewesen, ihn gefangen zu nehmen. Dem Freund Egîd hingegen gelang es sich zu retten, obwohl sein Schlüsselbein gebrochen war.
Als sich bald darauf das Militär an die Macht putschte, ging Hevalê Egîd ins Ausland [nach Palästina] und erhielt dort eine sehr intensive Bildung. Nach einer Parteikonferenz gehörte er zur Leitung einer Bildungseinheit, die für die Vorbereitungen für die Rückkehr ins Land [nach Kurdistan] zuständig war. Nach Abschluss der Einheit gab der Vorsitzende ihm im November 1981 die Aufgabe, nach Süd- und Ostkurdistan zu gehen. Die Freunde (Mehmet) Karasungur und Hoca hatten damals dieselbe Aufgabe. Mit ihnen gemeinsam ging Hevalê Egîd ins Land zurück und traf dort praktische und damit erste Vorbereitungen für die Guerilla. Alle Guerillakämpfer, die ab September 1982 ins Land zurückkehrten, wurden dort von den Freunden Karasungur und Egîd in Empfang genommen, von ihnen eingeteilt und ab Winter 1982/83 auf den Kampf vorbereitet. Im darauffolgenden Frühjar war Egîd als Teil der Führung daran beteiligt, die Guerilla für die Arbeiten in Nordkurdistan einzuteilen. Er schickte die Guerillaeinheiten nach Nordkurdistan.
Damals fand eine Militäroperation statt. Als die türkische Armee im Mai 1983 diese [erste grenzüberschreitende] Operation einleitete und den Grenzübergang Habur passierte, ging Hevalê Egîd nach Botan. Er hatte das Ziel, sich an Volksaufständen zu beteiligen, zu denen es eventuell kommen würde. So lernte er das Gebiet Garzan in der Region Botan kennen und leitete die dortigen Guerilla-Einheiten. Auf Basis der damals neu erstellten Planung der Partei übernahm er im Frühling 1984 Aufgaben in Botan, die darauf abzielten, in der Region mit praktischen Aktionen zu beginnen. Das mündete in die Gründung der Kommandantur der „Bewaffneten Propagandaeinheit 14. Juli” und im Angriff von Eruh (Dih). Hevalê Egîd war die Person, die all das organisierte. Er war es, der 1983 in dieser Region mit der Leitung der dortigen Guerilla-Einheiten beauftragt worden war. Hevalê Egîd war der Kommandant der Aktion in Eruh 1984, bei der der erste Schuss der Guerilla fiel. Ab Herbst kämpfte er dann in Botan.
Später ging er zum Vorsitzenden [in den Libanon]. Dort wertete er gemeinsam mit Rêber Apo die Ergebnisse der Offensive vom 15. August aus. Es gibt Fotos von Abdullah Öcalan und Hevalê Egîd aus dieser Zeit. Sie wurden in der zentralen Parteischule aufgenommen. Im April 1985 kehrte Egîd zurück ins Land und begab sich nach Botan. Dort leitete er als Teil der Kommandantur den Krieg. Am 28. März 1986 geriet er in Gabar in einen Hinterhalt und fiel. So lässt sich die Geschichte von Hevalê Egîd kurz zusammenfassen. Es ist wichtig, seine Geschichte und die damalige Zeit gut zu kennen. Und es ist wichtig, sich mit seiner Persönlichkeit auseinanderzusetzen. In seinem Leben hat er stets die Rolle eines Kommandanten gespielt. Er hat in Süd-, Ost- und Nordkurdistan praktische Vorbereitungen getroffen, also die allerersten Vorbereitungen für die Stationierung der Guerilla dort. Wenig später leitete er als Kommandant die Angriffe vom 15. August. Und bis zu dem Tag, an dem er sich der Karawane der Gefallenen anschloss, war er als Kommandant einer kämpfenden Einheit aktiv.
Er war zugleich als Kommandant für die Guerilla in ganz Botan verantwortlich. Die Leitung hatte ihn von dort abgezogen, damit er am Parteikongress teilnehmen konnte. Egîd war als Kommandant stets in Nordkurdistan aktiv und ließ dort sein Leben. Seitdem betrachten wir ihn als Kommandanten unseres seit 37 Jahren andauernden Krieges. Zwei Jahre hatte er die Offensive vom 15. August vorbereitet und weitere zwei Jahre als Kommandant den praktischen Krieg geleitet. Seit mittlerweile 37 Jahren entwickeln Menschen also unter seinem Kommando einen speziellen Geist und ihren Mut. Sie entwickeln ihr Bewusstsein, organisieren sich und werden aktiv. Und sie führen Krieg.
Wir haben bereits oft über dieses Thema gesprochen und es wurden auch zahlreiche Bücher darüber geschrieben. Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir noch ausführlicher davon berichten. Es ist wirklich sehr wichtig, Wissen über die Persönlichkeit von Egîd zu besitzen. Er zeichnete sich duch eine Persönlichkeit aus, die alles für die Arbeiten und Vorbereitungen der Guerilla gab und ihren Geist und all ihre Konzentration für die Weiterentwicklung verwendete.
So etwas geschieht nicht durch Befehle oder ähnliches. Diese Eigenschaften basieren auf seinem festen Glauben an die Freiheit, seiner Verbundenheit mit der kurdischen Existenz und der Erde Kurdistans. Sie entstehen aus der tiefen Verbundenheit mit Patriotismus, dem Leben als Revolutionär, dem Streben nach Freiheit und der Linie von Abdullah Öcalan – aus dem festen Glauben an all das. Diese Überzeugung wiederum ist ein Ergebnis von Bewusstsein. Der Freund Egîd repräsentiert eine Persönlichkeit, die von solch einem Bewusstsein und Glauben erfüllt ist.
Hevalê Egîd besaß einige besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihn von anderen unterschieden. Sein Bewusstsein und seine Überzeugung waren sehr stark ausgeprägt. Er tat nichts, woran er nicht tief und fest glaubte. Er handelte stets sehr bewusst. Was er tat, das wollte er auch unbedingt umsetzen. Er arbeitete nicht lediglich auf Anordnung hin, wie es etwa Beamte tun. Er war ein bewusster Militanter mit einer starken Überzeugung. Zudem war er ein Mensch, der seine Zeit sehr gut zu nutzen wusste. Er war niemand, der Zeit verschwendete, belanglose Gespräche führte oder beliebig handelte. Er war von einem enormen Respekt gegenüber allen Menschen erfüllt.
Er dachte ununterbrochen nach, las und recherchierte. Er tat alles stets sehr geplant und organisiert. Was er sagte, wie er lebte und was er tat; alles basierte auf einem Plan. Er war ein Mensch, der auf diese Art und Weise arbeitete. Ein Mensch, der stets mit etwas beschäftigt war. Er verfügte nicht über außergewöhnlich große körperliche Kraft. Ja, er hatte Judo gelernt. Er war ein kampfeslustiger Mensch und interessierte sich für den bewaffneten Kampf. So hatte er auch den Umgang mit Waffen gelernt. Doch war er niemand, der nur auf seine körperliche Kraft vertraute. Er setzte auf die richtige Technik und Taktik. Er war zu jedem Moment ein Guerillakämpfer. Das war seine Art. Jede einzelne Minute setzte er sich intensiv mit dem Leben und dem Krieg auseinander und dachte darüber nach. Er hatte keinerlei individuelle Ansprüche. Egîd war immer genau das, was gerade von ihm gefordert wurde: einfacher Kämpfer oder Kommandant. Er tat immer genau das, was die aktuellen Schwierigkeiten und Aufgaben erforderlich machten. Durch all diese Eigenschaft zeichnete er sich aus.
Für ihn war es immer am wichtigsten, sein Ziel zu erreichen. Schwierigkeiten überwand er durch seine Willenskraft, Bildung, sein Bewusstsein und seine taktische Kreativität. Er war sowohl ein Kommandant als auch ein einfacher Kämpfer. Sein Handeln als Kommandant basierte auf einer klaren Linie. Diese Linie wurde später verfälscht. Das Bandenwesen [in Reihen der PKK] verfälschte sie. Abdullah Öcalan setzte sich sehr intensiv mit dieser Problematik auseinander. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Diese Verzerrung war wirklich gefährlich. Es wurde versucht, die von Hevalê Egîd repräsentierten Eigenschaften eines Kommandanten zu zerstören. Denn mit diesen Eigenschaften war die Guerilla unbesiegbar. Vom 15. August 1984 bis zum März 1986 nahm Egîd aktiv am Guerillakrieg teil. Er starb nicht in seiner eigenen Einheit, sondern befand sich mit einigen anderen Freunden auf dem Weg zu einer Sitzung, als er fiel. In seiner Einheit, die er für den Krieg ausgebildet hatte, wäre er nicht auf diese Art und Weise ums Leben gekommen. Unmöglich wäre er in solch einen Hinterhalt geraten.
Er achtete stets auf alles. Er orientiere sich sehr stark an den bestehenden Regeln. Dabei war er nicht dogmatisch und engstirnig, sondern auf eine sehr kreative Art und Weise auf Disziplin, Ordnung und insbesondere militärische Aspekte bedacht. Er selbst hatte keinen einzigen Gefallenen in seiner Einheit zu beklagen. Dazu kam es in der Einheit von Hevalê Egîd einfach nicht. Er war der Kommandant, der innerhalb von zwei Jahren die meisten Aktionen organisierte und am intensivsten Krieg führte. Er hat den Krieg sozusagen selbst geschultert. Natürlich führte nicht nur er Krieg. Die Guerilla fasste damals in allen Teil Kurdistans Fuß – von Zagros, Amed und Dersim bis nach Toros. Doch die von Hevalê Egîd geleitete Kommandantur stemmte die Hauptlast des Krieges. Das ist ein wichtiger Aspekt. Später verfälschte das Bandenwesen diese Art und Weise der Guerilla und reduzierte sie auf eine rein physische Stärke. Das war eine sehr gefährliche Entwicklung. Der Freund Egîd war ein ruhiger Mensch. Er geriet nie sofort in Rage, sondern dachte stets nach, versuchte zu verstehen und reagierte erst dann entsprechend. Er bildete, organisierte und leistete praktische Hilfe, denn er hatte ja die Position eines Kommandanten inne. Ein Kommandant zu sein bedeutet, eine große Zahl von Kämpfenden auszubilden und sie alle zu erreichen. Da er all das tat, wurde er natürlich von allen sehr geliebt. Alle wollten in seiner Einheit kämpfen.
Er unternahm stets große Anstrengungen und probierte Neues in der Praxis aus. In seinem Tagebuch berichtet er selbst davon. Die alltäglichen Schwierigkeiten und Hindernisse auf geistiger, gedanklicher oder praktischer Ebene – über all das zerbrach er sich ununterbrochen den Kopf und suchte nach Lösungen. Er lebte jede Sekunde seines Lebens sehr intensiv. Egîd war beispielsweise einer unserer Freunde, denen das Laufen schwer fiel. Er hatte wohl Plattfüße. Damals wussten wir das nicht. Im Winter 1982/83 traf er sehr intensive Vorbereitungen. Dafür unternahm er große Anstrengungen. Man spricht ja im Allgemeinen von der Theorie der Gewalt. Abdullah Öcalan hat in diesem Zusammenhang stets gesagt: „Der Nagel treibt den Nagel.” Sinngemäß bedeutet dies, dass revolutionäre Gewalt die faschistisch-genozidale Gewalt bezwingt. Über dieses Thema diskutierten wir damals viel. Hevalê Egîd war während dieser Zeit einmal damit beschäftigt, Holz zu hacken. Er tat sich schwer, denn das Holzstück war wirklich groß. Ich sagte zu ihm, dass es bei uns ein Sprichwort gibt: „Holz eignet sich für Holz. Nur ein Schwachkopf macht sich umsonst Mühe.” Und ich sagte ihm, dass er das Holz nicht mit der Axt, sondern mit einem anderen Stück Holz spalten könnte. Nachdem ich ihm beschrieben hatte, wie das geht, tat er genau das. Als er sah, dass es funktionierte, sagte er: „Das heißt, dass revolutionäre Gewalt auch genau so vorgehen muss, um den Feind zu zerstören.” Er gelangte direkt zu dieser Erkenntnis.
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