Die Sonne am Herekol aufgehen sehen

„Als ich in Besta ankam und am Berg Herekol die Sonne aufgehen sah, da war das in einem Wort gesagt wundervoll. Du fühlst dich dort wie neugeboren.“

Wolfgang Struwe ist ein Revolutionär, der sich dem Freiheitskampf Kurdistans verschrieben hat. Wolfgang (63) lebt in Hamburg. Er hat im Jahr 1986 die kurdische Freiheitsbewegung kennengelernt und nimmt seit diesem Tag in verschiedenen Bereichen an ihrem Kampf teil. 1993 hatte Wolfgang seinen Platz im Guerillakampf in den Bergen Kurdistans gefunden. Er sagt über diese Zeit, „Es war für mich wahrhaft unglaublich“. Er arbeitet im Büro der Informationsstelle Kurdistan (ISKU), die Wände stehen voll mit Bücherregalen und an der Wand sieht uns ein altes Bild des in Hannover von deutschen Polizisten 1994 beim Plakatieren erschossenen kurdischen Jugendlichen Halim Dener an.

Wolfgang Struwe kommt aus Gütersloh in der Nähe von Bielefeld und hatte den antifaschistischen Kampf bereits in den 70ern kennen gelernt. Damals verweigerte er den Kriegsdienst. Wolfgang sagt dazu: „Ich stand vor der Entscheidung, mich entweder als Soldat und damit als Hüter an die Seite der herrschenden Ordnung zu stellen oder an der Seite der unterdrückten und ausgebeuteten Menschen zu kämpfen. Natürlich habe ich mich an die Seite der Unterdrückten gestellt. Meine Familie bestand darauf, dass ich heiraten sollte, aber dies habe ich genau wie den Militärdienst verweigert.“

Träume größer als eine Kleinfamilie

Struwe, dessen Träume nicht in eine Kleinfamilie passen, sagt: „Ich habe mich von vornherein gegen ein vorausgeplantes Leben entschieden. Deshalb bin ich nach Hamburg gezogen. Ich habe ernsthafte Entscheidungen selbst getroffen. In Bielefeld hatte ich beim antiimperialistischen Widerstand mitgemacht. In meinem Geist war ich immer auf der Suche. Zu dieser Zeit gab es in Hamburg den Widerstand in der Hafenstraße. Die Polizei wollte die Menschen aus den besetzten Häusern räumen. Ich bin nach Hamburg gezogen, um diesen Widerstand zu unterstützen.“

Struwe lernt den kurdischen Freiheitskampf kennen und entschließt sich, Teil des revolutionären Kampfes zu werden. Struwe kennt den revolutionären Kampf in vielen Regionen weltweit und lernt auf Treffen die Kader des kurdischen Freiheitskampfes kennen. Er erinnert sich: „Ich hatte schon gehört, dass es ein kurdisches Volk gibt, aber ich hatte keine Ahnung auf welcher Ebene sein Kampf stattfand.“ Er erzählt, dass die Grünen damals die PKK als „terroristisch“ und „gewaltbereit“ bezeichneten und eine Schmutzkampagne gegen die kurdische Freiheitsbewegung führten.

Seit dem Widerstand von Amed

Struwe erinnert, dass fast die ganze Linke diesen Diskurs der Grünen gegen die PKK übernommen hatte und sagt: „Ab da begann ich engere Beziehungen zur PKK aufzubauen. Ich nahm an Aktionen und Demonstrationen für die PKK teil. In den deutschen linken Bewegungen haben wir den Kampf der PKK viel diskutiert. Nach dem Hungerstreik für den Widerstand im Gefängnis von Amed habe ich mich entschlossen, engere Beziehungen mit dem kurdischen Freiheitskampf aufzubauen.“

Sein Weg trifft sich mit dem von Engin Sincer

Das von ihm erträumte Leben verkörpert sich in der PKK, sagt Struwe und erzählt: „Die Bescheidenheit, der Respekt und die Form des kollektiven Lebens waren genau die Art zu leben, die ich gesucht hatte. Daraufhin habe ich mein Wort gegeben. Im Kurdistan Komitee kreuzte sich mein Weg mit Engin Sincer. Natürlich war sein Name damals nicht Erdal, sondern Hayri. Er hatte eine stille und reife Art. Er wurde sehr geliebt, er sprach mit allen und hörte zu. Er hatte ein großes Herz, das alle umfing.“

Die Schönheit und die Schwierigkeiten der Berge

Struwe sagt, sein Traum sei es gewesen, den Guerillakampf in den Bergen Kurdistans zu erleben und blickt zurück: „Auch wenn es unser Wunsch war in Europa zu kämpfen, ging ich 1993 in die Berge Kurdistans. Für mich war das unglaublich. Ich sagte mir ‚Ja, jetzt bin ich wirklich mitten im Kampf‘. Ich hatte erfahren, dass neben mir auch andere Deutsche in den Bergen waren. Ich hatte ziemliche Probleme mit der Sprache. Es gab einige, die Deutsch sprachen. Es gab so viele Schwierigkeiten, wie das Leben in den Bergen schön war. Aber es vergingen auch Tage, an denen ich mit niemandem sprechen konnte.“

Wir umarmten uns voller Sehnsucht

Struwe erinnert sich an eine Pause, als sie gerade von Südkurdistan in den Norden überwechselten: „Einer rief mir von hinten auf Deutsch zu: ‚Hey, was suchst du denn hier?‘ Als ich mich umdrehte stand ich dem Freund Erdal [Engin Sincer] gegenüber. Ich wusste, dass er in der Bergen war, aber ich hätte mir nie erträumt, ihn unter solchen Umständen zu treffen. Wir umarmten uns voller Sehnsucht und Wärme. Er hatte eine schwere Funkbatterie auf dem Rücken. Und wenn man mir die ganze Welt geschenkt hätte, hätte ich mich niemals so gefreut wie in diesem Moment.“

Insbesondere in der Dunkelheit war es schwierig

Struwe fährt fort: „Ich habe die Natur kennengelernt, viele Kräuter und Tiere, deren Namen ich noch nicht einmal gehört hatte. Vor allem habe ich das kollektive Leben und eine Genossenschaft bis in den Tod erfahren. Auch wenn ich Hunderte Bücher gelesen hätte, hätte ich den Kampf nicht so kennenlernen können. Für mich war es am schwierigsten im Dunkeln zu laufen. Die Guerilla ist es gewohnt im Dunkeln zu gehen. Sie haben Augen als wären sie Katzen. Ich erinnere mich, wie ich beim Laufen immer wieder hingefallen bin. Ich habe wie ein kleines Kind das Leben von Neuem gelernt. Es war für mich eine ganz andere Umgebung. Es gab keine Ähnlichkeiten mit dem Kampf, den wir in Deutschland führten. Es war ebenso so schön wie schwierig. Als ich in Besta ankam und die Sonne über dem Berg Herekol aufgehen sah, war das in einem Wort wunderbar. Du fühlst dich dort wir neu geboren …“

Sakine Cansız, Kerzen und Tränen

Während er im Winterlager in Besta war, waren die Militäroperationen zu einem kurzem Halt gekommen: „Man musste das Winterlager einerseits mit dem Krieg und andererseits mit dem Schreiben von Berichten verbringen. Es waren sehr harte Winterbedingungen. In Besta waren zwei andere deutsche Freunde mit mir. Wir saßen in einem Zelt und unterhielten uns darüber, wie unsere Freunde und Freundinnen Neujahr feierten. Ehrlich gesagt, hatten wir Deutschland sehr vermisst. Während wir so sprachen, kamen die Freundin Sakine Cansız (Sara), Medya und eine Freundin aus der Guerilla, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, ins Zelt. Die Freundin Sara hatte selbstgemachtes Helva und eine selbstgemachte Kerze dabei. Als sie sagte, ‚Weil ihr eure Heimat wohl vermisst, haben wir euch Helva gebracht‘, füllten sich unsere Augen mit Tränen. So einen einfühlsamen und warmherzigen Menschen hatte ich noch nicht gesehen.“ Als Struwe das erzählt, füllen sich seine Augen mit Tränen.

Sie lebt im Herzen aller Revolutionärinnen und Revolutionäre“

Wann immer Sakine Cansız in Hamburg war, hatte sie das Büro der ISKU besucht. Struwe weiter: „In Hamburg war sie einen Monat im Gefängnis. Alle, sogar die Wächter, respektierten sie sehr. Als ich hörte, dass sie gefallen war, hat mich das schwer getroffen. Ich erinnere mich, wir konnten unsere Tränen nicht zurückhalten. Die Freundin Sara kämpfte, damit die ihr zugefügte Folter niemand anderes erfahren muss. Ihr Tod hat bei allen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Auch wenn sie körperlich nicht mehr unter uns weilt, so lebt sie in den Herzen aller Revolutionärinnen und Revolutionäre weiter. Für uns ist es natürlich wichtig, verbunden mit ihren Idealen und ihrem Kampf weiterzumachen. “

Die Türkei und Deutschland gemeinsam

Als Struwe nach mehr als einem Jahr in den kurdischen Bergen nach Deutschland zurückkehrte, war die PKK verboten worden. Es gab eine extreme Repression gegen die kurdische Bevölkerung und wie Struwe es beschreibt, war ihnen sogar das Luftholen verboten: „Alle Vereine, in den Kurdinnen und Kurden zusammenkommen und Informationen erhalten konnten, waren geschlossen worden. Während der türkische Staat versuchte, die Guerilla in den Bergen zu vernichten, wollte der deutsche Staat parallel dazu hier den Freiheitskampf ersticken. Er wollte eine kontrollierbare und unter dem eigenen Machteinfluss stehende PKK. Aber der Einfluss der PKK stieg trotzdem jeden Tag weiter“, sagt Struwe und erklärt, der deutsche Staat zielte darauf ab, die Sympathien für die kurdische Freiheitsbewegung zu zerschlagen.

Das PKK-Verbot brachte die ISKU hervor

Verschiedene Solidaritätsgruppen bauten gemeinsam die Informationsstelle Kurdistan (ISKU) auf. Struwe beschreibt die ISKU als Reaktion auf das PKK-Verbot: „Wir fingen an, all die Nachrichten aus Kurdistan auf diese Weise zu veröffentlichen. Damals gab es wenige deutschsprachige Informationen. Das war für uns eine große Mission. Die deutschen Medien brachten sowieso keine Informationen über den kurdischen Freiheitskampf. Und wenn sie welche brachten, dann waren es Negativmeldungen. Wir versuchten auf diese Weise diese Lücke zu schließen.“

Rojava – die Brücke der Revolution

Struwe hebt hervor, dass der Beitrag linker Kreise in Deutschland zum kurdischen Freiheitskampf nicht ausreichend sei und fügt hinzu, dass aber mit der Revolution von Rojava ein größeres Interesse und Solidarität aufgekommen sei: „Die Revolution von Rojava hat bei vielen eine Menge verändert. Sie hat etliche Vorurteile zerstört. So wie die Revolution die Pläne der Herrschenden umgeworfen hat, hat sie bei den revolutionären Gruppen das Gefühl von ‚Wenn man will, dann kann man es schaffen‘, aufkommen lassen. Heute sehen viele revolutionäre Gruppen ihre Zukunft in dieser Revolution. Viele Dinge, die sie machen wollten, von denen sie geträumt haben, werden in der Revolution von Rojava umgesetzt. Die suchenden Menschen haben sich heute dieser Revolution zugewandt. Das macht natürlich die Herrschenden nervös und raubt ihnen den Schlaf. Auch wenn die Solidarität mit Rojava nicht ausreichend ist, so wächst sie doch jeden Tag weiter. Aber der Prozess sollte nicht auf Solidarität beschränkt sein. Die Revolutionärinnen und Revolutionäre in Deutschland und weltweit können vieles von den Kurdinnen und Kurden lernen. Es ist eine sehr schöne Sache, wenn Menschen an die Revolution glauben. Es liegt in unseren Händen, diese Brücke zu festigen.“

Treffen mit Öcalan in Damaskus

Struwe betont, dass man gegen die ganze Schmutzigkeit des Krieges den Frieden verteidigen müsse und dass die kurdische Freiheitsbewegung einen Kampf für den Frieden führt. Er berichtet von seinem ersten Zusammentreffen mit dem PKK-Gründer Abdullah Öcalan: „Ich werde das erste Treffen niemals vergessen. Wir waren in einem Haus in Damaskus. Plötzlich kam Bewegung auf. Alle fingen an aufzuräumen. Sie räumten die Aschenbecher weg. Es herrschte plötzlich eine ernsthafte Stimmung im Haus. Als ich neugierig wurde und fragte, sagte mir niemand etwas. Als die Tür aufging und Öcalan vor mir stand, war ich sehr überrascht. Er umarmte mich, als würden wir uns schon Jahre kennen. Es war so, als würde er mir mehr Bedeutung beimessen, weil ich aus Deutschland kam. Er strahlte eine große Herzlichkeit aus. Vor mir stand ein Mensch, der so viele Menschen für ein Ziel zusammengebracht hat. Wir sprachen über die Politik in Deutschland. Er meinte, es sei leichter eine Revolution in Deutschland zu machen. Als ich nach dem Grund fragte, erklärte er, dass ja alle in Deutschland gebildet seien.“

In sein Herz passte die ganze Welt

Das zweite Mal traf Struwe den PKK-Vorsitzenden in der Akademie: „Alle sprachen Türkisch und ich hatte große Schwierigkeiten. Die PKK steckte in einer schweren Phase. Öcalans Last war ziemlich schwer. Er betonte immer wieder die Notwendigkeit des Frauenkampfs. Er hatte eine bescheidene Haltung und ein Herz so groß, dass die ganze Welt hineinpassen könnte. Einmal sagte er: ‚Während der revolutionäre Kampf in Europa im Niedergang ist, geben wir ihm eine größere neue Intensität.‘“ Struwe sagt, er werde die beiden Gelegenheiten, bei denen er Öcalan traf, niemals vergessen.

Wir haben es nicht erreicht, das Verbot aufheben zu lassen“

Struwe verfolgt seit 25 Jahren das PKK-Verbot. Er berichtet über seine Erfahrungen: „In so vielen Jahren haben wir es nicht geschafft, die Aufhebung des Verbots zu erreichen. Es wurden viele Kampagnen gegen das Verbot organisiert. Aber keine von ihnen hatte die Kraft und Kontinuität, eine Aufhebung des Verbots durchzusetzen. Aber ich muss hinzufügen, dass Deutschland es mit dem PKK-Verbot nicht geschafft hat, die PKK zu schwächen oder in die Enge zu treiben. Wir akzeptieren die Haltung des deutschen Staats gegenüber der kurdischen Freiheitsbewegung nicht und schließen uns dagegen zusammen.“

PKK-Verbot betrifft die demokratischen Kräfte

Struwe weist auf die Demonstration am 1. Dezember unter dem Motto „Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten – Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus “ hin und sagt: „Mit dem PKK-Verbot wird hier die demokratische Opposition bekämpft. Um dies nicht zuzulassen, ist es die Verantwortung aller demokratischen Kräfte, sich dieser Demonstration anzuschließen und alle Menschen zu mobilisieren.“

Wenn mein Leben dafür reichte…

Struwe kritisierte die Kampagnen für die Freiheit Öcalans als nicht ausreichend und sagt, Öcalan sei nicht nur für das kurdische Volk, sondern für alle revolutionären Gruppen weltweit eine Chance. Deshalb dürften nicht nur Kurdinnen und Kurden sich für ihn einsetzen, sondern alle revolutionären Kräfte weltweit müssten sich aktiv an der Kampagne beteiligen.

Wir schließen unsere Begegnung dort, wo sie begann, vor dem Bild von Halim Dener. Struwe erklärt: „Wenn mein Leben ausreichen würde, dann wollte ich nach Kurdistan gehen und noch einmal die Sonne am Berg Herekol aufgehen sehen. Mit dem Herzen und der ganzen Freiheitsliebe …“

*Quelle: YENI ÖZGÜR POLITIKA