Die Geschichte des Widerstands von Bagok
Am 1. April 1988 leistete eine 20-köpfige ARGK-Einheit am Bagok Widerstand gegen 10.000 türkische Soldaten. Der Kampf dieser Guerillaeinheit ging in die Geschichte ein. Zwei Fotos erzählen sie.
Am 1. April 1988 leistete eine 20-köpfige ARGK-Einheit am Bagok Widerstand gegen 10.000 türkische Soldaten. Der Kampf dieser Guerillaeinheit ging in die Geschichte ein. Zwei Fotos erzählen sie.
Der Bagok in der Provinz Mêrdîn gehört zu einer kleinen Bergkette von etwa 1.250 Metern Höhe, die zwischen Nisêbîn und Midyad beginnt und sich bis Hezex im benachbarten Şirnex erstreckt. Sie ist von strategischer Bedeutung, weil sie in der Nähe der Grenze liegt, die Kurdistan in einen syrisch, irakisch und türkisch besetzten Bereich teilt. Von dem Gipfel des Bagok ist es möglich, die Festung von Mêrdîn, die Lichter von Qamişlo und die Gipfel des Şengal zu sehen.
Vom Zusammenleben der Religionen und Völker geprägt
An den mit Eichen bewachsenen Hängen des Bagok leben seit Tausenden von Jahren die Kulturen und Religionen der Region fest ineinander verwoben. Eines der ältesten Völker Mesopotamiens, die Suryoye, haben dem Berg den Namen Izlo oder Izala gegeben. Am Fuß des Bagok liegt das Kloster Mor Augin, einer der heiligen Orte der Suryoye. Tur Abdin heißt die Bergregion auf Aramäisch, das bedeutet so viel wie „Berg der Diener Gottes“. Im Zentrum der Region liegt die Stadt Midyad, die aus den Dörfern, Städten und Bezirken rund um den Bagok besteht.
Der Bagok – ein Schutzraum für Verfolgte
Abgesehen von christlich geprägten Ortschaften gab es bis vor kurzem viele ezidische Dörfer rund um den Berg Bagok. Auf Druck der Dorfschützer, bezahlte Kollaborateure des türkischen Faschismus, mussten die Ezid:innen das Gebirge ab den 1980er Jahren verlassen. Seit den genozidalen Verfolgungswellen (Ferman) hatte die ezidische Bevölkerung bereits Schutz am Bagok gesucht. Auch während des Sayfo-Genozids an den Suryoye, deren Population auf dem Gebiet der heutigen Türkei 1915 im Zuge des Völkermords an der armenischen Nation fast vollständig vernichtet wurde, war das Gebirge Zufluchtsort vieler Menschen.
Guerillaausbildung am Bagok
Mitte der 1980er Jahre wurde der Bagok zu einem aktiven Zentrun der kurdischen Guerilla. Im März 1988 begannen etwa 30 neu der ARGK* beigetretene Guerillakämpfer:innen mit ihrer politisch-militärischen Ausbildung am Bagok. Die 20-tägige Ausbildungseinheit wurde vom ARGK-Kommandanten Veli Yaşar (Delîl) und Mustafa Kaplan (Kazım) geleitet. Veli Yaşar hatte sich 1983 der Guerilla angeschlossen. Nach seinem Aufenthalt in Botan und Garzan befand er sich nun am Bagok. Mustafa Kaplan war innerhalb der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine treibende Kraft bei der Weiterentwicklung des Guerillakampfes und der Organisierung der Bevölkerung in Midyad und Nisêbîn.
Die Abschlussfeier der Absolvent:innen
Am 1. April 1988 fand in den frühen Morgenstunden eine Abschlussfeier der Absolvent:innen der Ausbildungseinheit statt. Das Archiv der PKK-Zeitung Serxwebûn verfügt über zwei verschiedene Fotografien aus dieser Trainingseinheit und der Vereidigungszeremonie der Kämpfer:innen. Das erste Foto zeigt eine Gruppe, die mit wenigen Mitteln im Schatten von Eichen politische Schulungsarbeiten durchführt.
Lehrprogramm auf dem Bagok
Das zweite Foto zeigt die Vereidigungszeremonie, bei der die Kämpfer:innen auf Waffen und die Fahnen der ARGK und ERNK** ihren Schwur ablegen. Die Szene zeigt den Kommandanten Delîl stehend und den Kommandanten Kazim sitzend bei der Vorbereitung der Vereidigungszeremonie.
Es existiert noch ein Video, das die Kämpfe am Bagok und die auf dem Berg zurückbleibende Einheit bei ihrer Verabschiedung zeigt.
Im Moment der Aufnahme dieses Fotos umzingelte die türkische Armee gerade mit mehr als zehntausend Soldaten den Berg Bagok. Dem Militär war schon länger bekannt, dass sich in der Gegend eine große ARGK-Einheit befand. Durch einen Hinweis erfuhr die türkische Armee den genauen Ort des Ausbildungslagers und ging zum Angriff über.
Bagok ist zum Namen des Guerillawiderstands geworden
An dem Angriff nahmen etwa 10.000 Soldaten und zehn Hubschrauber teil. Insgesamt befanden sich in der Region etwa 60 Guerillakämpfer:innen, der Planung entsprechend hielten 20 von ihnen die Stellung, während 40 weitere das eingekesselte Gebiet verließen. Wie Zeitbezeugende berichteten, hatten sich alle dafür ausgesprochen, selbst unter der 20-köpfigen Gruppe, welche die Stellung halten sollte, zu sein. Doch die Mehrheit der Kräfte sollte aufgrund der Größe des Angriffs das Gebiet verlassen. Unter dem Beschuss von Artillerie und Gewehren verabschiedeten sich die Kämpfer:innen.
Die erste Angriffswelle wurde von der Guerilla zerschlagen. Trotz der zahlenmäßigen und technischen Überlegenheit der türkischen Armee wurden nur drei Guerillakämpfer leicht verletzt, während sich die Soldaten wieder zurückziehen musste. Das türkische Militär beschränkte sich nicht darauf, nur Truppen abzusetzen, sondern griff auch aus der Luft an. Kampfhubschrauber ließen etliche Kugeln und Raketen auf das Gebiet regnen. Auf diese Weise wurde versucht, Panik unter der Guerillaeinheit zu verbreiten und ihre Koordination zu stören. Auch gegen diesen zweiten Versuch leistete die ARGK gewaltigen Widerstand.
Als ein Hubschrauber in die Reichweite der Guerilla gelangen, wurde er abgeschossen. Daraufhin schickte die Armee einen zweiten Kampfhubschrauber. Dieser wurde von einer Rakete getroffen, geriet in Brand und stürzte ab. Währenddessen verschärften sich die Kämpfe. So ging es bis zum Abend weiter. Die ARGK-Einheit kämpfte ohne Nahrung und Wasser und schleppte die Verwundeten von einem Ort zum nächsten. Trotz aller Schwierigkeiten ging der Widerstand mit größter Entschlossenheit weiter.
Mit Einbruch der Dunkelheit versuchte die türkische Armee erneut Ergebnisse zu erzielen. Als alle Bemühungen am Boden kein Ergebnis brachten, wurde der dritte Kampfhubschrauber eingesetzt. Doch auch diese Maschine wurde getroffen und stürzte in eine der Schluchten. Die Kommandanten Delil und Kazım kamen beim Abschuss des Hubschraubers ums Leben, als sie vom Feuer von auf der anderen Seite der Schlucht stationierten Soldaten getroffen wurden. Der Widerstand war dennoch nicht gebrochen. Nun griff die türkische Armee zu Chemiewaffen. Dabei fielen 17 ARGK-Mitglieder.
Zum ersten Mal eine Waffe in der Hand
Die Kämpfer:innen, manche von ihnen erfahren, andere hatten zum ersten Mal eine Waffe in der Hand, hatten gar keine Wahl, als der gesamten türkischen Streitmacht der in Sêrt und Mêrdîn stationierten Brigaden in dem von tiefen Schluchten geprägten Gelände entgegenzutreten und gegen sie zu kämpfen. In der Guerillagruppe gab es nur eine einzige Kämpferin. Ihr Name war Ayten Tekin (Rojîn), sie stammte aus Çewlîg. Sie war aus Izmir aufgebrochen und am 8. März 1988 der Guerilla beigetreten. Ihr Widerstand, obwohl sie bei der Guerilla noch recht neu war und gerade erst ihre Ausbildung beendet hatte, sorgte bei der gesamten Gruppe für Kampfgeist. Auch sie war unter denjenigen, die durch den Chemiewaffeneinsatz getötet wurden.
200 türkische Soldaten getötet, drei Hubschrauber abgeschossen
Nach den Kämpfen versuchten die Medien, die Verluste der türkischen Armee, mit Ausnahme des Todes eines Piloten und zweier Offiziere, zu verbergen. Aber der Widerstand der Guerilla fand großen Widerhall in Botan und Mêrdîn und machte es unmöglich, die Verluste zu verschleiern.
Laut der Bilanz der ARGK wurden etwa 200 türkische Soldaten bei diesem Kampf getötet, drei Hubschrauber abgeschossen und ein weiterer getroffen. In der Geschichte des 1984 begonnenen bewaffneten Kampfes der PKK hatte es bis dahin kein Gefecht dieses Ausmaßes gegeben.
Die Namen der Gefallenen
Neunzehn Kämpfer und eine Kämpferin fielen im Bagok-Krieg. Ihre Namen lauten: Veli Yaşar (Delîl), Mustafa Kaplan (Kazim), Ayten Tekin (Rojîn), Yaşar Talay (Hemîd), Faisal Çatıkkaş (Îsa) Mehmet Musbah Yavuz, Cevat Yavuz (Şiyar), Emin Agile (Yasin), Mehmet Kurt (Loqman) Nurişan Ay (Beşîr), Nesim Oral, Mehmet Emin Kaya (Dewran), Cemal Karakaş (Rustem), Veli Kumak (Şoreş), Mehmet Vahaç Dogan (Delîl), Kocero Gülmez (Diyar), Xebat aus Südkurdistan, Nevaf Yıldırım (Celal), Cuma aus Bismîl und Cemal aus Cizîr.
„Die Umsetzung der Widerstandslinie der PKK auf dem Schlachtfeld“
Murat Karayılan, Mitglied des PKK-Exekutivkomitees, beschreibt in seinem Buch „Anatomie eines Krieges - Militärische Linie in Kurdistan“ den Bagok-Widerstand und das schwierige Kampfjahr 1988 mit den Worten: „Während dieser Zeit befand sich ein wichtiger Teil unserer Kräfte in den Provinzen Mêrdîn und Dersim. In der Region Mêrdîn hat der Freund Sabri (Emin Aslan) Großes geleistet. Er hat sich vollkommen der Etablierung der Taktiken und Bewegungsformen des Guerillakriegs gewidmet. Dass diese zwanzig wertvollen Freunde, unter ihnen Battal und Delîl Halfeti (Verantwortlicher der Region Garzan) 1988 gefallen sind, war für unsere Bewegung ein großer Verlust. Ayten Tekin aus Çewlîg hatte sich gerade der Guerilla angeschlossen und fiel im mutigen Kampf gegen den Feind. Nach diesem großen Verlust fiel der Freund Sabri zusammen mit elf weiteren Genossen in Mêrdîn. Ja, es gab diese Verluste in Mêrdîn, aber die Umsetzung des freiheitlichen, fortschrittlichen und widerständigen Paradigmas der PKK in dieser Region war ein Erfolg. Genauso hat der richtige Umgang mit der Bevölkerung in dieser Zeit zu wichtigen Errungenschaften geführt.“
In einem Lied verewigt
Der Bagok-Widerstand war nicht nur ein kritischer Prozess für die Guerilla in Kurdistan, er stellte auch ein Fanal für den Kampf des kurdischen Volkes dar. Mit dem Lied „Li Mêrdînê li Bagokê“ des Künstlers Hozan Dilgeş hat sich dieser Krieg im Gedächtnis des kurdischen Volkes verewigt.
*ARGK: Artêşa Rizgariya Gelê Kurdistan / Volksbefreiungsarmee Kurdistan, war die Vorgängerorganisation der HPG.
** ERNK: Eniya Rizgariya Neteweyî ya Kurdistanê / Nationale Befreiungsfront Kurdistans, wurde 1985 als Frontorganisation zur Organisierung der Gesellschaft gegründet.