Aufgrund der starken Polizeirepression der letzten Wochen und Monate führte die Tageszeitung Yeni Özgür Politika ein Interview mit dem Ermittlungsausschuss (EA) Hannover. In dem Interview wird darauf eingegangen, wie sich Menschen auf Demonstrationen, Kundgebungen oder auch auf der Newrozfeier am kommenden Samstag verhalten sollten, wenn sie in einen ungewollten Kontakt mit der Polizei geraten.
Was ist der Ermittlungsausschuss, kurz EA?
Der Ermittlungsausschuss – auch EA genannt – ist eine Antirepressions- und Rechtshilfestruktur für linke Aktivist*innen.
Könnt Ihr Euch und Eure Arbeiten bitte kurz vorstellen?
Wir beraten und unterstützen linke Aktivist*innen vor, während und nach politischen Aktionen. Vor Demonstrationen beraten wir zum Beispiel zum Umgang mit Auflagen oder Aufforderungen zu Kooperationsgesprächen.
Während der Versammlung sind wir dann telefonisch erreichbar und im besten Fall auch mit Anwältin oder Anwalt vor Ort. Wenn es beispielsweise bei einer Demonstration Versuche der Polizei gibt, den Ablauf zu stören, helfen wir dabei, das Demonstrationsrecht durchzusetzen. Denn häufig haben Forderungen der Polizei gar keine juristische Grundlage. Immer wieder kommt es zum Beispiel vor, dass Aktivist*innen bei Demos in Gewahrsam genommen werden. Wir notieren uns dann die Namen der Festgenommenen und kümmern uns darum, dass sie so schnell wie möglich wieder frei kommen. Auf gar keinen Fall soll irgendwer alleine und vergessen auf der Wache oder im Knast sitzen.
Unsere Telefonnummer während Demonstrationen ist immer dieselbe: 0511 161 47 65
Unter dieser Nummer sind wir von Beginn bis Ende der Veranstaltung zu erreichen. Alle Leute, die an der Demonstration teilnehmen, sollten sie sich aufschreiben, zum Beispiel auf dem Innenarm. Wenn eine Person festgenommen wurde, hat sie bei der Polizei das Recht zu telefonieren und kann sich direkt bei uns melden. Aber auch Personen, die beobachtet haben, dass andere festgenommen wurden, können anrufen und die Daten durchgeben.
Um gut helfen zu können, brauchen wir dann folgende Angaben: Namen der Mitgenommenen, aktuelle Meldeadresse, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus fragen wir noch nach Verletzungen und benötigten Medikamenten. Aktivist*innen sollten jedoch niemals am Telefon sagen was sie oder jemand anderes getan hat – nur was der Tatvorwurf ist, denn wahrscheinlich werden diese Gespräche abgehört.
Falls für jemand anderen angerufen wird, wollen wir nie den Namen der anrufenden Person, immer nur den des oder der Festgenommenen wissen. Wir stellen dann Kontakt zu Anwälten*innen her, damit die Ingewahrsamnahme möglichst kurz ist.
Wenn die Personen dann wieder frei gekommen sind, müssen sie auf jeden Fall auch nochmal anrufen, damit wir wissen, dass sie wieder draußen sind und es ihnen gut geht.
Wir sind aber nicht nur während bestimmten Veranstaltungen erreichbar. Auch wenn Leute anderweitig von Repression betroffen sind, unterstützen wir sie. Zu uns kommen zum Beispiel Personen, die per Post Strafbefehle bekommen haben, die aufgefordert werden ihre DNA abzugeben oder die eine Hausdurchsuchung hatten. Wir informieren über die Rechte und überlegen gemeinsam, welche Strategie sich eignet, um sich zur Wehr zu setzen.
Darüber hinaus organisieren wir Diskussions- und Vortragsveranstaltungen, um Repression, ihre Konsequenzen und vor allem auch Gegenstrategien kollektiv zu thematisieren.
Unsere Sprechstunde ist jeden 1. und 3. Montag von 19–20 Uhr im UJZ Kornstraße in Hannover.
Außerdem haben wir einen Blog und eine Mailadresse: eahannover.noblogs.org, [email protected] (PGP-Key ist auf dem Blog).
Es gibt übrigens in vielen Städten EA-Gruppen. Die Rote Hilfe, die auch bundesweit vertreten ist, bietet ebenfalls Beratung und darüber hinaus sogar finanzielle Unterstützung in Auseinandersetzung mit Strafbehörden an.
Was ratet Ihr Menschen im Umgang mit der Polizei?
Hier gilt: Je weniger, desto besser. Die Polizei versucht auf viele Arten und Weisen, an Informationen über Aktivist*innen und über emanzipatorische Bewegungen insgesamt zu kommen. Dazu gehören zum Beispiel Vorladungen als Zeug*innen. Es ist wichtig zu wissen, dass niemand einer Vorladung der Polizei folgen muss. Deswegen empfehlen wir, gar nicht erst hinzugehen.
Selbst wenn Personen doch bei der Polizei gelandet sind, haben sie in jedem Fall das Recht die Aussage zu verweigern, egal ob als Zeug*in oder als Beschuldigte*r. Das ist die beste Idee, denn das Schweigen kann niemandem zur Last gelegt werden und niemand kann zu einer Aussage gezwungen werden –, wenn aber eine Aussage gemacht wird, besteht die Gefahr, damit sich selbst oder andere zu belasten. Die Aussage zu verweigern ist eine starke offensive Haltung und lässt Verhöre der Polizei ins Leere laufen.
Es muss übrigens auch nichts unterschrieben werden, was die Polizei einer Person vorlegt, auch kein Protokoll oder Ähnliches.
Alle Aktivist*innen sollten ihre Rechte kennen, denn es kann zu ihrem Nachteil sein, wenn sie von der Polizei ausgetrickst werden. Wenn eine Person festgenommen wurde, hat sie zum Beispiel das Recht auf zwei erfolgreiche Anrufe zum Zwecke ihrer Verteidigung. Auf diesem Recht sollte unbedingt bestanden werden.
Wenn Du festgenommen wirst, bestehe auf einem Telefonat zum Zwecke deiner Verteidigung und rufe den EA oder direkt bei deiner Anwältin oder Anwalt an.
Welche Erfahrungen gibt es mit Versammlungen, bei denen ein EA aktiv war? Was sind die Vorteile?
Als EA tragen wir dazu bei, den Demonstrierenden ein Gefühl von Sicherheit zu geben, damit sie nicht allein und ohnmächtig staatlichen Repressionsorganen gegenüberstehen. Wir können Repressionsmaßnahmen dadurch nicht vollständig abwenden, aber wenigstens versuchen, ihre Wirkung auf Betroffene abzumildern. Damit schaffen wir es der Vereinzelung der von Repression Betroffenen entgegenzuwirken, die oft folgt nach ursprünglich gemeinschaftlichen Aktionen und Demonstrationen der willkürlichen Schikane der Staatsmacht ausgeliefert sind.
Rechtliche Unterstützung von Aktivist*innen vor Ort kann einen aktiven Kampf auf der Straße nicht ersetzen, aber manchmal überhaupt erst oder kraftvoller ermöglichen.
Die Anwesenheit unserer Anwält*innen vor Ort hat es schon geschafft, dass
* Ingewahrsahmnamen und Kessel noch vor Ort für rechtswidrig erklärt und frühzeitig beendet oder aufgelöst wurden,
* Personalien- und Taschenkontrollen während der Anreise und während Versammlungen unterbunden wurden,
* Anreiseverbote und Verhinderungen zu Demonstrationen rechtlich erkämpft wurden,
* Versuche, Aktivist*innen über Nacht einzusperren, verhindert wurden.
Solidarität ist eine Waffe und wir nutzen sie.
Warum unterstützt Ihr die Newroz-Feier am 17. März 2018 in Hannover? Was ist Eure politische Motivation?
Wir wollen emanzipatorische Kämpfe und Bewegungen und deren Inhalte sichtbarer machen und unterstützen. Die kurdische Bewegung und der kurdische Befreiungskampf sind für uns ein solcher emanzipatorischer Kampf.
Einerseits sind Strukturen wie die in Rojava ein beeindruckendes Beispiel der Verwirklichung von Selbstverwaltung. Andererseits hat die kurdische Bewegung mit besonders viel Repression zu kämpfen. Umso besser, dass die Bewegung trotzdem so gut vernetzt ist und so große Veranstaltungen organisiert und umso wichtiger, sie dabei zu unterstützen.
Unser Ziel ist es, strömungsübergreifend Demonstrationsfreiheit durchzusetzen und zu verhindern, dass sich Menschen aus Angst vor Folgen staatlicher Repression davon abhalten lassen, ihren Protest und Widerstand zum Ausdruck zu bringen. Repression trifft oft einzelne, gemeint sind wir aber alle als kämpfende Bewegung. Deswegen ist es uns ein Anliegen ihr auch kollektiv, gemeinsam und gut organisiert entgegenzutreten.
Wir wollen etwas dazu beitragen, dass weder Repression schweigend hingenommen wird noch Paranoia oder Resignation einsetzen. Stattdessen wollen wir dazu aufrufen, kollektive Umgangsformen zu entwickeln, um Betroffenen von Repression solidarisch zur Seite zu stehen.
Deswegen begleiten wir die Newroz-Veranstaltungen und sind im Fall von Festnahmen unter 0511 16 14 765 erreichbar. Während der Demonstration werden auch Personen am EA-Telefon sitzen, die türkisch und kurdisch sprechen.
Was wünscht Ihr Euch von diesem Tag?
Viel lauten, kraftvollen und kämpferischen Protest auf der Straße und wenig Repression. Und dann natürlich auch ein schönes, buntes Fest.
YENI ÖZGÜR POLITIKA