Der vergangene Woche vor dem Europarat in Straßburg gestartete Sit-In für die Freiheit von Abdullah Öcalan wird von Aktivistinnen der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) fortgesetzt. Die TJK-E hat am Montag die Verantwortung für die mehrwöchige Protestaktion übernommen.
Die Frauen trafen am Dienstagmorgen erneut mit Transparenten, Schildern und Fotos auf dem Platz zusammen und zogen sich lilafarbene Umhänge mit der Aufschrift „Freiheit für Abdullah Öcalan“ über. Während einige der Frauen sich beim Tanzen aufwärmten, übergaben andere Aktivistinnen Informationsdossiers zur Haftsituation und der Rolle Abdullah Öcalans für einen Friedensprozess an die ständigen Vertretungen der Mitgliedsländer des Europarats. In dem Dossier werden auch die Angriffe des türkischen Staates auf Kurdistan thematisiert.
Für die gesamte Woche sind verschiedene Aktivitäten im Rahmen des Sit-In geplant. Heute referierte die Aktivistin Zîlan Diyar über die Ansichten Öcalans zur Frauenbefreiung. Der Vortrag wurde eingeleitet mit der Feststellung Öcalans: „Die Freiheit von Frauen ist wertvoller als alle anderen Freiheiten.“
Weiter führte Zîlan Diyar aus: „Warum ist Öcalans Freiheit für Frauen wichtig? Zunächst einmal ist Öcalan Vorreiter eines Paradigmas, das auf Frauenbefreiung und einer ökologischen Gesellschaft aufbaut. Diesen Kampf führt Öcalan seit über vierzig Jahren. Er ist gleichzeitig ein Ideologe, der Lösungen für die Probleme unseres Zeitalters entwirft. Und was unterscheidet ihn von anderen Ideologen auf der Welt? Auch andere Ideologen haben Lösungswege aufgezeigt, aber Öcalan hat diese gleichzeitig in die Praxis umgesetzt. Er ist außerdem ein Philosoph, der die bestehenden Probleme in Bezug zu ihrer historischen und philosophischen Verbindung setzt. Ein weiteres Merkmal ist seine Fähigkeit, im Leben von Menschen Veränderungen zu bewirken. Er kann mit allen Menschen von jung bis alt einen Dialog aufbauen.“
Öcalan werde zwar kriminalisiert, das kurdische Volk habe jedoch deutlich gemacht, ihn als Anführer anzuerkennen. Das hätten Millionen Unterschriften bewiesen, mit denen seine Rolle bestätigt worden sei, so Zîlan Diyar. Zur Frage, warum Öcalan einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Befreiung der Gesellschaft über die Frauenbefreiung gelegt habe, führte die Referentin aus: „Er hat seinen Kampf mit einer Analyse der Gesellschaft begonnen, in der er aufgewachsen ist. Davon ausgehend hat er festgestellt, dass die bestehenden Widersprüche gelöst werden müssen, damit es eine freie Gesellschaft und freie Frauen geben kann. Zum Beispiel hat er festgestellt, dass Frauen in der Gesellschaft nicht vertraut wird. Daraufhin hat er den Frauen Vertrauen gegeben und die Grundlagen dafür geschaffen, dass Frauen sich selbst vertrauen können. Bei seinem Kampf gegen reaktionäre Denkweisen hat er gleichzeitig Maßnahmen gegen das Herrschaftssystem getroffen. Die Gründung einer eigenen Frauenarmee und frauenspezifischer Organisationsformen hat somit einen doppelten Charakter. Damit ist die Frauenbewegung gewachsen und konnte angemessen agieren.“
Zu der vielbeachteten Öcalan-These „Den Mann töten“ erklärte Zîlan Diyar: „Damit sollte die herrschende Mentalität verändert werden, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Mit seiner Auffassung von einem Leben in freier Partnerschaft setzt er darauf, das seit Urzeiten falsch laufende Zusammenleben beider Geschlechter auf eine richtige Grundlage zu setzen. Auch nach seiner Gefangennahme hat er sich weiter für die Frauenbefreiung eingesetzt. Er sagte, dass er es vor allem bedauere, dieses Projekt nicht vollendet zu haben. Auf Imrali hat er zwölf Verteidigungsschriften verfasst. In jeder dieser Schriften behandelt er die Befreiung der Gesellschaft über die Befreiung von Frauen. Auch das ist etwas, das ihn von anderen Vordenkern unterscheidet. Es gibt Feministinnen, die die Verbindung zwischen Öcalan und der Frauenbewegung nicht verstehen. Diese Verbundenheit resultiert jedoch aus dem, was ich hier ausgeführt habe. Das ist auch der wesentliche Unterschied zum Marxismus. Die Frauenfrage kann nicht auf einen Zeitpunkt nach der Revolution verschoben werden, die Frauenbefreiung ist die Revolution.“