Die Kommandantin des Hauptquartiers der Frauenguerilla YJA-Star, Zozan Çewlik, berichtet im zweiten Teil des ANF-Interviews über die militärischen Entwicklungen im Jahr 2020 und gibt einen Ausblick auf das kommende Jahr.

„Hochwirksame professionelle Guerillaaktionen“

Die YJA-Star hat in diesem Jahr viele Aktionen durchgeführt. Wie bewerten Sie diese?

Die Guerilla in Kurdistan und insbesondere die Kämpferinnen ziehen ihre Kraft vor allem aus der Verbundenheit mit ihren Zielen, ihren Gefallenen, der Bevölkerung und Abdullah Öcalan. Überall in Kurdistan verteidigen sich die Frauen selbst. Der Guerillakampf, der vor allem in den Bergen stattfindet, stellt einen bestimmenden Faktor für Willen, Identität und Haltung dar. Die YJA-Star ist in diesem Jahr hinsichtlich der Qualität, der Quantität, der Form und der Taktik ihrer Aktionen in den Vordergrund getreten. Ihre Aktionen waren wirksam und brachten Ergebnisse. Vor allem in Heftanîn hat sich die Professionalität und die Beherrschung der eingesetzten Waffen gezeigt. Aus diesem Grund haben viele erfolgreiche Aktionen stattgefunden. Wichtig ist natürlich auch die Überzeugung von einem Sieg über den Feind. Auch die subtile Intelligenz und die Kreativität von Frauen haben einen hohen Anteil an den Erfolgen.

Ein Novum: Luftverteidigungskräfte der Guerilla

In diesem Jahr hat sich die YJA-Star zu einer Kraft entwickelt, welche die größte Rolle in den Bereichen schwere Waffen, Sabotage, Scharfschützinnen, mittelschwere Waffen und Raketen spielte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Partei sind Luftverteidigungskräfte eingesetzt worden. Die „Şehîd-Delal-Luftverteidigungseinheiten“ haben kontinuierlich ihre Aktionsfrequenz erhöht. Doğa Zîlan war die erste Gefallene, die an einem Gleitschirm kämpfte. Die Luftverteidigungskräfte verleihen unserem Kampf eine neue Dimension. Die Aktion von Doğa Zîlan stellte nicht nur eine neue Aktionsform der Guerilla dar, sie zeigte gleichzeitig den Geist, das Bewusstsein und den Mut, mit dem die YJA-Star im Jahr 2020 den Verlauf des Kriegs beeinflusst hat. Sie hat allen Mut und Kraft gegeben. Damit ist gezeigt worden, dass zwei Freundinnen trotz der Technik des Feindes als professionelle und spezialisierte Guerillakämpferinnen effektive Aktionen durchführen können.

„Vollkommene Veränderung der Kriegsführung“

Im Jahr 2020 wurden große Entwicklungen in Hinsicht auf Form, Taktik und Technik bei Aktionen erreicht. Das hat den Glauben an die YJA-Star in der Guerilla noch mehr gestärkt. Als YJA-Star sind wir die Erbinnen eines großen Erfahrungsschatzes. Es gibt aktuell eine vollkommene Veränderung der Kriegsführung. Unsere Kommandantinnen und Guerillakämpferinnen stützen sich auf ihre Qualitäten und fokussieren sich darauf, Ergebnisse zu erzielen. Dadurch sind viele Operationen des Feindes und seine Taktik gescheitert. Als YJA-Star haben wir professionell agiert und gleichzeitig die Restrukturierung umgesetzt. Auch dadurch haben wir Erfahrungen gemacht. Guerillakämpferinnen haben eine Führungsrolle gespielt und die Aktionen der YJA-Star waren von großer Qualität.

„Jede Gefallene ist eine Perspektive der Freiheit“

Können Sie uns Beispiele nennen?

Als YJA-Star hatten wir im Jahr 2020 112 Gefallene. Unter diesen Gefallenen waren führende Kommandantinnen. Wir haben sehr entschlossene Weggefährtinnen verloren. Dass wir jetzt die Pläne des Feindes durchkreuzen können, liegt auch daran, dass wir aus der Opferbereitschaft unserer Gefallenen und ihrem Widerstand Kraft beziehen. Vielleicht gibt es hier nicht genügend Raum, um an alle Gefallenen zu erinnern. Jede Gefallene ist für sich ein Wert und eine Perspektive auf Freiheit. Für uns wog der Verlust unserer Freundin Zîn Avesta durch eine Krankheit schwer. Dass Heval Aryana aus dem gleichen Grund gefallen ist, war für uns sehr traurig. Keine Guerillakämpferin sollte so sterben. Heval Aryana hatte sich am ersten Tag bei der Guerilla den Fedai-Einheiten angeschlossen. Ihr Engagement war immer auf höchstem Niveau. Sie nahm an den Kämpfen um die Städte in Nordkurdistan teil und hat an allen Fronten in Botan, Mêrdîn und ganz Nordkurdistan gekämpft. Sie hat uns große Hoffnung und Selbstvertrauen verliehen. Wir hatten nicht erwartet, dass sie auf diese Weise fällt. Das war für uns sehr schwer.

Zîn Avesta war eine erfahrene Freundin, die in den HPG und der YJA-Star gekämpft hat. Sie hatte von den ersten Tagen des Aufbaus der Frauenarmee an bis zum Zeitpunkt, an dem sie fiel, einen unerbittlichen Kampf geführt. Sie war auch Gebietskommandantin von Dersim. Sie lebte in besonderer Verbundenheit mit ihren Freundinnen und Freunden, mit Abdullah Öcalan, mit dem Kampf und den kurdischen Werten. Sie hat viel zum Kampf im Allgemeinen und zum Aufbau der Frauenarmee beigetragen und war eine sehr alte Freundin. Ihr Verlust war für uns alle schwer. Sie hatte in jeder Hinsicht im militärischen und ideologischen Bereich Verantwortung übernommen. Gleichzeitig war sie eine Weggefährtin, die mit ihrem Freiheitswillen und ihrer Frauenhaltung einen wichtigen Platz eingenommen hatte.

An der Front in Nordkurdistan sind auch Amara, Ronahî und Yıldız gefallen. Sie waren Beispiele für den modernen Guerillakampf und haben den revolutionären Volkskrieg ohne Zögern angeführt. Amara fiel in Amed (Diyarbakır), Ronahî in Garzan, Yıldız und Bêrîtan in Botan. Diese Freundinnen waren Teil unserer Kommandantur. Wenn wir heute von der Entwicklung und Führung der YJA-Star sprechen, dann haben wir das den Bemühungen dieser Freundinnen zu verdanken.

Heval Eylem Dilxwaz fiel in Avaşîn, ihr Bruder Dilxwaz in Mêrdîn. Sie stammten aus einer patriotischen Familie in Mêrdîn. Heval Eylem war mit einer Gruppe Freundinnen zu einer Aktion aufgebrochen, die erfolgreich durchgeführt wurde. Im Anschluss an die Aktion fiel sie in einem Gefecht. Sie zeichnete sich durch ihre Entschlossenheit aus.

Zwei Fedai-Aktionen der YJA-Star

Im Jahr 2020 führte die YJA-Star zwei Aktionen durch, bei denen sich die Kämpferinnen opferten [Fedai-Aktionen]. Eine der Kämpferinnen war Sema Koçer. Sema war eine junge Freundin. Bevor sie zur Aktion aufbrach, beschrieb sie in einem Brief, warum sie eine solche Aktion für nötig hielt. In ihrem Brief begründete sie ihr Selbstopfer mit der Isolation von Abdullah Öcalan und den Massakern am kurdischen Volk. Die Menschen seien nicht mehr bereit, diese hinzunehmen, und sie wolle der Revolution als Kämpferin der YJA-Star vorangehen. In diesem Geiste führte sie in Serhed eine Aktion durch. Die andere solche Aktion wurde von Doğa Zîlan umgesetzt. Doğa hatte in der Cenga-Heftanîn-Offensive gekämpft und ist die erste Gefallene der Luftverteidigungskräfte. Sie war eine Weggefährtin, die sich durch ihre Professionalität, ihren Mut und ihre Verbundenheit mit dem Frauenbefreiungskampf auszeichnete und diesen Kampf anführte.

Die Gefallenen von Heftanîn

Auch wenn wir tagelang erzählten, die Worte würden nicht ausreichen, um von den mutigen Taten in der Offensive Cenga Heftanîn zu berichten. Einige möchte ich aber dennoch stellvertretend für die vielen anderen erwähnen. Heval Zelal hatte sich in jungen Jahren angeschlossen, sie nahm an verschiedenen Arbeiten teil und spielte in der Heftanîn-Offensive eine führende Rolle. Esmer arbeitete vor ihrem Anschluss an die Guerilla im gesellschaftlichen Bereich. 2015/2016 nahm sie am Widerstand für Selbstverwaltung in Şirnex (Şırnak) teil. Sie war von den Gefallenen dort tief bewegt und hatte geschworen, sie zu rächen. Sie war noch nicht sehr lange bei der YJA-Star, aber auf emotionaler, gedanklicher und Bewusstseinsebene war sie eine beispielhafte Freundin.

Nûcan war lange Zeit in der Jugendarbeit tätig gewesen. Obwohl sie erst in den letzten Jahren zur YJA-Star gekommen war, nahm sie mit genau der zur aktuellen Phase passenden Geisteshaltung teil. Sie war eine opferbereite, professionelle, moderne Guerillakämpferin.

Jede Freundin, die in der Cenga-Heftanîn-Offensive gefallen ist, ist eine Legende. So auch unsere Freundin Mizgîn, die im zweijährigen Krieg um die Region Heftanîn größte Arbeit geleistet hat. Heval Mizgîn hat sowohl bei den Aktionen der HPG als auch der YJA-Star eine große Rolle gespielt und war eine Spezialistin an ihrer Waffe. Sie war auf den Einsatz von Raketen spezialisiert und setzte ihre Fähigkeiten so effektiv ein, dass nicht eine Aktion ihr Ziel verfehlte. Auch Zeryan, Evîn und Warşîn legten eine beispielhafte Haltung an den Tag.

112 gefallene Kämpferinnen

In diesem Jahr haben wir 112 Gefallene zu verzeichnen. Jeder dieser Weggefährtinnen hat eine starke freiheitliche Haltung gegenüber dem Feind bewiesen. Gleichzeitig stellt jede Einzelne eine Quelle der Überzeugung und der Siegesgewissheit für ihre Weggefährtinnen dar. Wenn wir heute von entscheidenden Entwicklungen im Frauenfreiheitskampf sprechen, dann ist dies das Ergebnis der Arbeit dieser Freundinnen.

„Es gibt nichts mehr, worauf sich das Regime stützen kann“

Inwiefern hat sich die YJA-Star auch an den Kampagnen der KCK und KJK beteiligt?

Der aktuelle Prozess ist für uns wichtig. In diesem Jahr wurden unter der Führung von Frauen und der Jugend deutliche Fortschritte errungen. Ja, die faschistische Praxis gegen Abdullah Öcalan und die Frauen dauern an. Das AKP/MHP-Regime agiert vor allem gegen Abdullah Öcalan, das kurdische Volk und die Guerilla faschistisch. Der Faschismus ist im Jahr 2020 mit dem Ziel der Vernichtung unserer Führung und unserer Freiheitsbewegung angetreten. Wir befinden uns nun am Ende des Jahres und wenn wir die Kraft, die uns gegenübersteht, betrachten, dann befinden wir uns massiv im Vorteil. Es bestehen große Chancen, dem Faschismus ein Ende zu setzen. Warum sage ich das? Dem AKP/MHP-Faschismus ist keine Unterdrückungsmethode mehr geblieben, die sie nicht bereits angewendet hätte. Rückblickend können wir feststellen, dass die AKP nicht stärker geworden ist, sondern sich in der schwächsten Position in ihrer Geschichte befindet. Dies wurde zum Ende des Jahres hin besonders deutlich. Viele Kräfte, an die das Regime geglaubt hatte, wurden getroffen. Es gibt nichts mehr, worauf sich die Regierung stützen kann. Es stimmt allerdings, dass Bündnisse mit Kollaborateuren geschlossen wurden, die ihre mörderische Politik unterstützen.

„Niemand macht sich noch Illusionen hinsichtlich der AKP“

2020 ist das Jahr, in dem die Kurdinnen und Kurden die Politik der AKP am besten erkannt haben. In seiner Politik gegenüber den Frauen und der Jugend hat das Regime seine Maske fallen lassen. Niemand hat noch irgendeine Illusion hinsichtlich der AKP und MHP. Die Türkei befindet sich außerdem mitten in einer Wirtschaftskrise. Im Gesundheitsbereich existiert das gleiche Problem. Innerhalb der AKP hat es mehrere Rücktritte gegeben. Jetzt sind angebliche Reformen auf die Tagesordnung gesetzt worden. Keine Reform wird sie retten können. Wir treten ins neue Jahr ein und dem AKP-Faschismus ist nichts mehr als seine Kriegstreiberei geblieben.

„Effektivere Beteiligung an Kampagne notwendig“

Wir beginnen das neue Jahr mit der Kampagne der KCK und KJK „Schluss mit Isolation und Faschismus, Zeit für Freiheit“. Die Frauenbewegung hat sich an dieser Kampagne unter der Parole „Zeit für die Verteidigung der Freiheit der Frau und der Gesellschaft gegen den Femizid“ beteiligt. Die Beteiligung von Frauen, Jugendlichen und demokratischen Kräften an der Kampagne stellt einen Schritt dar, ist aber nicht ausreichend, eine effektivere Beteiligung ist erforderlich.

„Es geht um die Vernichtung des Faschismus“

Als YJA-Star nehmen wir auch an der Kampagne teil. Dabei geht es nicht um eine befristete Teilnahme. Es geht um einen Prozess, die faschistische Mentalität und Politik zu vernichten. Wir nehmen mit all unserer Kraft am Kampf teil, um die Isolation von Rêber Apo zu durchbrechen. Mit großer Entschlossenheit werden wir uns diese Kampagne überall zu eigen machen. Wie die HBDH, KBDH, YPS-JIN, YPS werden auch wir unsere Verantwortung als YJA-Star wahrnehmen, um im Guerillakampf einen Sieg zu erringen.

110 autonome Aktionen der Frauenguerilla

Würden Sie uns die Bilanz der YJA-Star für das Jahr 2020 vorstellen?

Uns liegt noch keine Bilanz für Dezember vor. Daher kann ich nur die ersten elf Monate des Jahres bilanzieren. In diesen elf Monaten hat die YJA-Star 110 autonome Aktionen durchgeführt, davon allein 68 in Heftanîn. Bei den Aktionen handelte es sich um 19 Sabotageaktionen, 41 Scharfschützenaktionen, 13 Aktionen unter Einsatz von speziellen Waffen und neun Aktionen mit mittleren automatischen Waffen. Es haben Überfälle auf Militärstellungen, Infiltrationen und Angriffe auf Hubschrauber stattgefunden. Es gibt natürlich viele Einzelheiten zu den Aktionen, aber in der Kürze kann ich nur dies mitteilen. Außerdem kam es zu drei direkten Gefechten zwischen dem Feind und der YJA-Star. Bei den Aktionen wurden 316 Feinde getötet, drei von ihnen waren Kontras. Außerdem wurden 28 feindliche Soldaten verletzt.

Trotz Pandemie schließen sich Frauen der Guerilla an

Obwohl wir aufgrund der Pandemie die Aufnahme neuer Kämpferinnen eingestellt hatten, schlossen sich 160 Frauen der YJA-Star an. Die Propaganda des türkischen Staates, die Beteiligung an der Guerilla würde versiegen, entspricht nicht der Wahrheit und stellt nichts weiter als Antipropaganda dar. Vor allem die Beteiligung von Frauen ist hoch. Viele Menschen konnten uns nicht erreichen.

„Den Kampf auf aktivste Weise führen“

Wie sehen Sie die Perspektive für das Jahr 2021?

Es sieht so aus, als würde der türkische Staat sein aktuelles Konzept fortsetzen. Die Isolation von Rêber Apo und der Krieg werden weitergehen. Gleichzeitig wird die Vernichtungspolitik gegen die Frauen, die Politik der Vergewaltigung und der Übergriffe fortgesetzt werden. 2021 werden der Freiheitskampf und der Krieg mit den Kräften des Faschismus im Mittleren Osten und in Kurdistan weitergehen. Als YJA-Star ist uns das vollkommen klar. Wir werden diesen Kampf auf aktive Weise führen. Im Jahr 2021 wird der Plan zur Besetzung der Medya-Verteidigungsgebiete mit Unterstützung der USA und der Kollaboration der PDK weitergehen. Auf diese Weise soll unsere Bewegung vernichtet werden. Als YJA-Star und als Befreiungsguerilla Kurdistans sind wir auf jede Form des Kriegs und der Vernichtung sowie auf den Kampf gegen Verleugnung und Herrschaftsmentalität vorbereitet. Wir werden unsere Offensive gegen die Isolation von Rêber Apo und den revolutionären Volkskrieg als YJA-Star in einen Sieg umwandeln. Mit dieser Überzeugung und Perspektive gehen wir in das Jahr 2021.