Interview mit Frauen im Lager Waşokanî

Vertriebene kurdische, arabische und êzidische Frauen, die im Lager Waşokanî leben, fordern internationale Menschenrechtsorganisationen auf, Maßnahmen zu ergreifen, um den türkischen Staat für seine Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen.

Kurdische, arabische und êzidische Frauen im Lager Waşokanî

Die anhaltenden Angriffe des türkischen Staates und der von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen auf Nord- und Ostsyrien haben Tausende von kurdischen, arabischen, syrischen, armenischen und êzidischen Menschen vertrieben. Im Camp Waşokanî, einem Lager für Binnenvertriebene in Hesekê (al-Hasakah), halten sie seit sechs Jahren den schwierigen Lebensbedingungen stand und fordern, dass der türkische Staat für seine Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Im Interview mit der Frauennachrichtenagentur JINHA berichteten drei aus Serêkaniyê (Ras al-Ain) vertriebene Frauen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit über ihre Situation – und stellten ihre Forderungen.

„Wir wollen die Rückkehr des Friedens“

Hesîna Mihemed ist Araberin und fand nach ihrer Vertreibung aus Serêkaniyê Zuflucht im Lager Waşokanî: „Der türkische Staat verstößt gegen die Menschenrechte. Wir lebten früher in Serêkaniyê, hatten unser eigenes Geschäft, landwirtschaftliche Flächen und ein Haus. Doch der türkische Staat griff unsere Heimat mit seinen Kampfflugzeugen, schweren und verbotenen Waffen an. Wir mussten unsere Heimat verlassen, um unsere Kinder und uns selbst vor den Gräueltaten des türkischen Staates zu schützen. Wir haben sechs Jahre lang den schwierigen Lebensbedingungen im Lager getrotzt. Unser Eigentum wurde enteignet, unsere Kinder wurden getötet und Tausende von Menschen wurden vertrieben. Wir wollen keinen Krieg, sondern die Rückkehr des Friedens in unserer Stadt. Wir rufen internationale Menschenrechtsorganisationen dazu auf, den türkischen Staat für seine Rechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.“

„Der Präsident des türkischen Staates muss strafrechtlich verfolgt werden“

Fatma Emîn ist Kurdin und musste ebenfalls vor den türkischen Angriffen in das Camp fliehen: „Die Geschichte des türkischen Staates ist voll von Massakern und Vertreibungen. Der türkische Staat hat alle Nationalitäten angegriffen. Wir hatten Eigentum in Serêkaniyê, aber jetzt leben wir in einem Zelt. Wenn es auf diesem Planeten Menschenrechte gibt, muss der Präsident des türkischen Besatzungsstaates strafrechtlich verfolgt werden. Der türkische Staat muss für die Massaker an der Zivilbevölkerung zur Rechenschaft gezogen werden. Wir werden nie vergessen, was wir erlebt haben, und werden bis zum Ende gegen alle schwierigen Lebensbedingungen Widerstand leisten.“

„Das Recht, in unserer Heimat in Frieden zu leben“

Nêvin Xabûr, eine êzidische Frau, die zusammen mit ihrer Familie aus Serêkaniyê vertrieben wurde, erinnerte an den Genozid-Feminizid des selbsternannten Islamischen Staates auf Şengal (Sinjar): „Daesh hat mit Unterstützung des türkischen Besatzungsstaates einen Völkermord an der êzidischen Gemeinschaft verübt. Der türkische Staat griff Efrîn (Afrin), Serêkaniyê und Şehba an. Wir wollen den türkischen Staat zur Rechenschaft ziehen, weil er unsere Rechte verletzt hat. Wir haben das Recht, in unserer Heimat in Frieden zu leben. Unser Recht auf ein Leben in Frieden wurde jedoch vom türkischen Staat verletzt. Wir leben unter schwierigen Bedingungen im Lager. Ich rufe Organisationen, die sich für Kinderrechte einsetzen, dazu auf, den türkischen Staat zur Verantwortung zu ziehen. Alles, was wir wollen, ist, in unsere Heimat zurückzukehren und dort ein friedliches Leben zu führen."

Das Waşokanî-Camp
Das Lager Waşokanî in Hesekê wurde von der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien für die Binnenflüchtlinge aus Serêkaniyê eingerichtet. In dem Lager leben Flüchtlinge aus Serêkaniyê, Til Temir und Zirgan.

Serêkaniyê seit Angriffskrieg von 2019 besetzt

Die Stadt Serêkaniyê befindet sich wie das benachbarte Girê Spî (Tall Abyad) seit Oktober 2019 unter Besatzung der Türkei und deren Proxy-Armee SNA. Der Invasion waren ähnlich wie heute Forderungen der türkischen Führung nach der Einrichtung einer sogenannten Pufferzone im Grenzstreifen vorausgegangen. Im August 2019 hatten die USA und die Türkei sich auf eine „Friedenszone“ geeinigt. Teil des Abkommens war auch die Gründung eines gemeinsamen Operationszentrums an der türkisch-syrischen Grenze. Zwei Monate später begann die Invasion mit dem Einfall in Serêkaniyê, einer der ältesten kurdischen Städte. Der türkische Staat hatte seit 2012 immer wieder versucht, Serêkaniyê mit Hilfe von Al-Qaida und des selbsternannten Islamischen Staates unter seine Kontrolle zu bringen. Mit der Besatzung 2019 begann eine systematische Umstrukturierung der Bevölkerung, die bis heute andauert.

Foto © JINHA