KJK: Internationalismus mit neuem Geist füllen!

Zum neuen Jahr ruft die Gemeinschaft der Frauen aus Kurdistan dazu auf, den Internationalismus mit neuem Geist und neuen Taten zu füllen. Der Internationalismus des 21. Jahrhundert müsse lokal und universal denken, fühlen und handeln können.

Die Gemeinschaft der Frauen aus Kurdistan (Komalên Jinên Kurdistan, KJK) hat eine Neujahrsbotschaft veröffentlicht. Darin macht die Organisation konkrete Vorschläge zur Überwindung der kapitalistischen Moderne und ruft zum internationalistischen Kampf gegen das alte System auf. „Wir müssen den Bruch mit dem System bei uns selbst, in unserer eigenen Persönlichkeit beginnen, um das System erfolgreich bekämpfen zu können. Wir müssen gegen den Kapitalismus und seine Angebote immun werden. Wenn wir unseren politischen Kampf nicht mit unserer Persönlichkeit, mit unserem Denken, Fühlen und Handeln in Einklang bringen, werden wir - ohne es zu wollen - zu seinen Gunsten agieren. Ein Schwerpunkt unseres Kampfes im kommenden Jahr sollte daher eine ideologische Offensive gegen den Kapitalismus in unseren Persönlichkeiten darstellen”, heißt es. Nachfolgend dokumentieren wir die vollständige Erklärung.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir senden Euch aus den Kampf- und Widerstandsgebieten in den freien Bergen Kurdistans unsere herzlichsten, warmen und solidarischen Grüße. Wir sind entschlossener als je zu vor, den demokratischen Sozialismus in Form des Demokratischen Konföderalismus als Alternative zur Kapitalistischen Moderne aufzubauen. In diesem Sinne gedenken wir allen unseren internationalistischen Genossinnen und Genossen wie Ronahî (Andrea Wolf), Nûdem (Uta Schneiderbanger), Amara (Ekin Ceren Dogruak), Rojvan Kobanî (Emir Kubadi), Bagok Serhed (Ashley Johnston), Kemal (Erik Konstandinos Scurfield), Avaşin Tekoşin Güneş (Ivana Hoffman), Aryel Botan (Mihemed Hisên Kerîm), Gelhat Rûmet (Keith Broomfield), Karker Kobanê (Rifat Horoz), Bagok Serhed (Reece Harding), Dilsoz Bahar (Kevin Jochim), Gabar Rojava (John Robert Gallagher), Rustem Cudî (Günter Hellstern), Kendal Qaraman (Mario Nunes), Gabar Amed (Jamie Bright), Agîr Şervan (Levi Jonathan Shirley), Givara Rojava (Carl Evans), Toprak Çerkez, Rodî Çekdar (Martin Gruben), Firaz Kardo (Badin Abdulhamid Mohammed Al-Imam), Cîwan Firat (Jordan MacTaggert), Amed Kobanê (William Savage), Rojbîn Agirî (Michael Israel), Berxwedan Gîvara (Ryan Lock), Kawa Amed (Paolo Todd), Demhat Goldman (Robert Grodt), Rodî Deysie (Nicholas Alan Warden), Soro Zinar (Luke Rutter), Zafer Qereçox (David Taylor), Orhan Bakırcıyan (Nubar Ozanyan), Şoreş Amanos (Jac Holmes), Canşêr Zagros (Oliver Hall), Delîl Emerîka (Jake Klipsch), Baran Galicia (Samuel Prada Leon), Kendal Breizh (Olivier François Jean Le Clainche), Baran Sason (Sjoerd Heeger), Şevger Ara Makhno, Şahîn Huseyni (Haukur Hilmarsson), Hêlîn Qereçox (Anna Campbell), Lêgerîn Çiya (Alina Sanchez), Şiyar Gabar (Jakob Riemer), Şahîn Qereçox (Farid Medjahed), Giovanni Francesco Asperti (Hîwa Bosco), Bager Nûjiyan/Xelîl Viyan (Michael Panser), Tekoşer Piling (Lorenzo Orsetti), Sara Dorşîn (Sarah Handelmann), Andok Cotkar (Konstantin) und vielen anderen Gefallenen, die bereit waren, ihr individualisiertes Leben für eine kollektive Zukunft zu geben. Die Gefallenen sind unsterblich, weil sie in unserem Kampf und in unseren Errungenschaften weiterleben. Ihnen gegenüber erneuern wir unser Versprechen, unseren gemeinsamen Kampf entschlossen weiterzuführen, bis wir unsere Ziele erreicht haben. Zugleich gedenken wir den Tausenden von Frauen und Männern weltweit, die im Jahre 2019 ihr Leben im Kampf für Freiheit, Frieden und Demokratie verloren haben.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, ein weiteres Jahr voller Kämpfe und Widerstände ist zu Ende und ein weiteres, neues Jahr wartet auf uns. Der dritte Weltkrieg, welchen hegemoniale Mächte mit dem internationalen Komplott gegen unseren Vorsitzenden Abdullah Öcalan vor 21 Jahren im Mittleren Osten begannen, dauert seitdem an und weitet sich zunehmend auf andere Regionen der Welt aus. Die tiefe, strukturelle Krise des herrschenden Systems macht sich überall bemerkbar, wenn auch auf unterschiedlichen Erscheinungsformen. Diese Krise gleicht einem Flächenbrand, der nicht mehr zu stoppen ist. Jeder Versuch der imperialistischen Mächte, die Welt nach ihren Interessen neu zu ordnen, vertieft diese Krise und produziert neue Konfliktherde. Die Probleme und Krisen verstärken einander gegenseitig auf unterschiedlichen Ebenen und äußern sich unter anderem in Kriegen, Armut, Flucht, demografischen Veränderungen bis hin zu Genoziden und Feminiziden, Kolonialismus, Verleugnung, Vernichtung, Gewalt, Militarismus, ökologischer Zerstörung und einem desolaten Zustand der Bildungs- und Gesundheitssysteme. Das wahre Gesicht der kapitalistischen Moderne ist entlarvt. Ihre Verantwortung für Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt, Krieg und Zerstörung ist nicht mehr zu verbergen.

Die kapitalistische Moderne, die auf einer 5000-jährigen Geschichte von patriarchaler und staatlicher Herrschaft und Ausbeutung beruht, ist die Ursache all dieser Probleme auf unserem Planeten. Es sind keine „Naturkatastrophen“. Das Streben einer kleinen Minderheit nach maximalem Profit, Gewinn und Macht führt zur maximalen Ausbeutung aller materiellen und ideellen Werte. In den Augen der Herrschenden wird alles zum Ausbeutungsobjekt degradiert: Menschen, Tiere, die Natur, Ideen, ja sogar Gefühle. Es ist ein Prozess der Manipulation und der Entfremdung, in dem die Herrschenden ihre Wahrheit allen Menschen aufzwingen, glaubhaft und schmackhaft machen wollen.

Offen vor den Augen der Weltöffentlichkeit wird gegen Regierungen geputscht, die mit imperialistischen oder nationalstaatlichen Interessen nicht konform gehen wie beispielsweise in Bolivien, Venezuela und in Katalonien oder versuchen externe Kräfte die Wut der aufständischen Bevölkerung für eigene Interessen zu instrumentalisieren, wie gerade im Irak, Iran oder im Libanon zu beobachten ist. Währenddessen werden faschistische Regime wie das Erdogan-Regime in der Türkei von internationalen Organisationen und Mächten als „wichtige Partner“ hofiert. Sie können völkerrechtswidrige Besatzungskriege wie beispielsweise in Rojava und Nordsyrien mit internationaler Unterstützung durchführen. Genozide werden an Terrororganisationen wie IS und Boko Haram in Auftrag gegeben, ohne sich selbst offiziell die Hände dreckig machen zu müssen. Tausende von Menschenleben werden geopfert, um Rohstoffe zu beschlagnahmen und auszuplündern. Die Herrschenden betäuben die Menschen mit Nationalismus, religiösem Fundamentalismus, Sexismus und Positivismus, um ihre grenzenlose Habgier zu verdecken. So werden vielerorts große Kreise der Bevölkerung zu Trägern und Mitläufern des Ausbeutungssystems gemacht. Es ist kein Zufall, dass in diesen Krisenzeiten in allen Ländern ein Rechtsruck bis hin zu offen diktatorischen, faschistischen Mobilisierungen und Herrschaftsformen zu beobachten ist. Um das patriarchale, kapitalistische Herrschaftssystem, das die Ursache der Krisen darstellt, aufrecht erhalten zu können, nimmt der Nationalstaat wie schon während der Krisen im 20. Jahrhundert, so auch heute wieder immer mehr seine nationalistisch-faschistische Extremform an. Alle progressiven Errungenschaften und Werte der Menschheit wurden außer Kraft gesetzt oder sind akut bedroht.

Die Systemkrise zeigt sich am deutlichsten in der Zuspitzung von systematischer Gewalt, Morden und Unterdrückung gegen Frauen weltweit. Wir dürfen niemals vergessen, dass die kapitalistische Moderne auf der Grundlage der Unterwerfung von Frauen und der Zerstörung frauenzentrierter, solidarischer Gesellschaftsformen errichtet wurde. Alle ihre Unterdrückungsformen basieren auf dem Modell patriarchaler Gewaltherrschaft. Im Zuge des dritten Weltkrieges hat sich auch der Angriffskrieg gegen uns Frauen verschärft und ist immer tödlicher geworden. Einerseits verstärken staatlichen Institutionen ihre Angriffe auf Frauen und von Frauen erkämpfte Rechte. Andererseits wird der Sexismus innerhalb der Gesellschaft massiv aufgestachelt. Insbesondere werden monotheistische Religionen hierzu eingesetzt. Bereits während ihrer Entstehungszeit definierten diese Religionen den Status von Frauen als potentiell sündig und Dienerin des Mannes. Damit wurde in der Geschichte ein zweiter Bruch zwischen den Geschlechtern vollzogen, der die Unterdrückung von Frauen als ihr „Schicksal“ festschreiben sollte. Auch heute werden wieder religiöse, sexistische und patriarchale Argumentationen bemüht, um Frauen in klassische Rollen zurück zu drängen, ihre Integrität und Identität als Freiheitskämpferinnen zu brechen und ihnen ihre erkämpften Rechte zu entziehen. Je repressiver der Staat gegen die Bevölkerung vorgeht, um so brutaler werden die Angriff auf Frauen. Die Ermordung der kurdischen Politikerin Hevrîn Xelef, der chilenischen Künstlerin Daniela Corrasco oder der Journalistin Martinez Burgos oder die Lynchüberfälle auf Indigena in Bolivien sind nur exemplarische Beispiele für Feminizide durch Staatsgewalt in den letzten Monaten. Männergewalt gegen Frauen wird durch die systematische frauenfeindliche Politiken von Staaten legitimiert und ist tendenziell am Steigen. Nach UN-Berichten wurden im Jahre 2017 insgesamt 87.000 Frauen ermordet, wobei die Dunkelziffer um vielfaches höher ist. Überall wo das kapitalistische System interveniert, verschlechtert sich die Situation von Frauen. Sie werden ihrer Lebensgrundlage, gesellschaftlichen Wirkungskraft und Selbstbestimmung beraubt. Frauen werden vereinzelt, unter gesellschaftliche Zwängen gedrängt, ihnen werden ihre Rechte entzogen und sie werden zunehmend aus allen Lebensbereichen herausgedrängt. Denn der Kapitalismus ist auf allen Ebenen patriarchal.

Während die Angriffe gegen Frauen, Völker und Unterdrückte auf allen Ebenen zunehmen, sagen immer mehr Menschen in allen Teilen der Welt „Ya basta! Êdî bes e!“ und stellen sich diesen Angriffen entgegen. Immer mehr Menschen werden sich bewusst, dass das herrschende System, dass die Ursache der Krisen ist, keine Lösung zu bieten hat. Deshalb sind sie auf der Suche nach kollektiven, solidarischen und ökologischen Alternativen, die das Leben, den Menschen und die Natur wertschätzen und dem Leben einen Sinn geben. Der Demokratische Konföderalismus und das Paradigma einer demokratischen, ökologischen Gesellschaft auf der Grundlage der Frauenbefreiung, welche von unserem Vorsitzenden Abdullah Öcalan entwickelt wurden und seit über 15 Jahren den revolutionären Kampf und gesellschaftliche Aufbauprozesse in Kurdistan vorantreiben, stellen eine solche Alternative dar. Dies hat sich insbesondere an der internationalistischen Beteiligung und der breiten Solidarität zur Verteidigung und dem Aufbau der Rojava-Revolution gezeigt.

Das ist den Herrschenden ein Dorn im Auge. Denn sie wollen der gesamten Menschheit glaubhaft machen, es gebe keine Alternative zu ihrem Herrschaftssystem und wir alle müssten uns ihrem Diktat fügen. Wir haben uns gegen die Wahl zwischen Pest und Cholera entschieden und beharren auf unserem Dritten Weg, mit unserem eigenen Willen unsere demokratische Politik, die gesellschaftliche Organisierung und Selbstverteidigung zu gestalten. Deshalb sind sich alle regionalen und internationalen imperialistischen Kräfte - trotz ihrer Differenzen untereinander – einig bei ihrem Versuch, unseren Freiheitskampf und unser Modell der Demokratischen Autonomie zu zerschlagen. Aus diesem Grund und mit dieser Aufgabe ist die AKP immer noch an der Macht und wird von internationalen Mächten unterstützt.

Die illegitime faschistische AKP-Regierung verstärkte 2019 ihre Angriffe gegen unseren Befreiungskampf um ein weiteres. Am 9. Oktober 2019, genau zum Jahrestag des internationalen Komplotts, begann sie eine weitere Invasion in Nord- und Ostsyrien/Rojava. Die von der türkischen Armee und ihren faschistisch-dschihadistischen Söldnertruppen besetzen Gebiete werden arabisiert, türkisiert und islamisiert. Es findet eine gezielte Entvölkerungspolitik statt. Anstelle der ursprünglichen lokalen Bevölkerung werden sunnitisch-arabische oder turkmenische Familien aus der Türkei, anderen Teilen Syriens und anderen Ländern hier angesiedelt, die zumeist Mitglieder oder Sympathisanten dschihadistischer Gruppierungen sind. Diese erzwungenen demografischen Veränderungen stellen einen kulturellen Genozid dar. Parallel dazu dauern auch im von der Türkei besetzen Afrin drastische Menschenrechtsverletzungen an. Die Menschen in Afrin werden sowohl von den dschihadistischen Kräften als auch vom türkischen Staat angegriffen.

Auch der Ausnahmezustand, der gegen Kurd*innen in Bakûr (Nordkurdistan) und in der Türkei verhängt wurde, dauert weiterhin an. Den Menschen ist es nicht mal mehr erlaubt zu protestieren. Jede öffentliche Aktion ist untersagt. Bloße Meinungsäußerungen in sozialen Medien werden mit langjährigen Gefängnisstrafen sanktioniert. Die Gefängnisse sind erneut mit kurdischen Menschen und oppositionellen Kräften überfüllt. Kurdische Bürgermeister*innen werden willkürlich mittels eines Putsch der AKP gegen die Kommunalverwaltungen abgesetzt und verhaftet. Anstelle der gewählten Bürgermeister*innen werden Zwangsverwalter eingesetzt. Der Wille der Bevölkerung wird für nichtig erklärt. Dies führt dazu, dass Familien gemeinsam Selbstmord begehen, weil sie nicht mehr in der Lage sind, sich zu ernähren, geschweige denn zu artikulieren. Der Bevölkerung wurde regelrecht der Atem entzogen.

Die AKP-Diktatur wäre längst Geschichte, würde sie nicht weiterhin durch internationale Mächte unterstützt, die diese zur Zerschlagung des kurdischen Freiheitskampfes funktionalisieren wollen. Die AKP hat kontinuierlich an Zustimmung und Unterstützung verloren. Die AKP hat das Land regelrecht geplündert. Erdogan hat seine Macht dazu benutzt, sich, seine Familie und seine Machtclique zu bereichern. Die Korruption lässt sich nicht mehr vertuschen, daher ringt Erdogan um seine Macht und sein Leben. Dass sein Ende nicht aufzuhalten sein wird, ist auch ihm und seiner Partei bewusst. Deshalb verlassen immer mehr Parteifreunde das sinkende Schiff. Was dieses Schiff letztendlich zum Sinken gebracht hat, ist unser Kampf und unser Beharren auf der Freiheit.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir durchleben durchaus schwere Zeiten. Aber so wie die gesamte Menschheitsgeschichte nicht nur die Geschichte der Herrschenden ist, ist auch die Gegenwart nicht nur die Gegenwart der faschistischen, patriarchalen und kolonialen Mächte. Wir durchleben als Frauen, Völker, Klassen und unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gleichzeitig eine neue Zeit des Erwachens und der Renaissance. Die Politik der Herrschenden stößt allerorts auf massiven Widerstand, die Menschen lassen sich nicht mehr einschüchtern. Massenproteste, die über Monate hinweg andauern, bestimmen den Charakter dieser Widerstände. Gemeinsam werden Barrikaden errichtet, Bündnisse geschmiedet. Die Straßen sind zu Orten der Kreativität, der Politisierung und des Widerstands geworden. Junge Menschen mobilisieren unter dem Slogan „Fridays for Future“ weltweit Millionen von Menschen zu Protestaktionen für mehr Klimaschutz und bieten den Konzernen die Stirn. Menschen gehen auf die Straße, sei es um ihre schlechten Arbeitsverhältnisse anzuprangern, sei es um gegen Krieg und Zerstörung zu protestieren. Sie protestieren und leisten Widerstand gegen Korruption und Diktatur, gegen Patriarchat und Umweltverschmutzung, gegen Rassismus und Faschismus. Was diese Proteste kennzeichnet, ist, dass viele Menschen sowohl ihr Vertrauen in den Staat als auch ihre Angst vor der Staatsmacht verloren haben. Hunderte Menschen haben in den letzten Monaten ihr Leben bei den Massenprotesten in jeweils unterschiedlichen Ländern der Welt wie im Irak, Iran, Chile oder Bolivien verloren. Die Menschen weigern sich dagegen, dass Politik über ihre Köpfe hinweg in ihrem Namen gemacht wird. Sie möchten mitmischen, mitsprechen, mitgestalten.

Der Garant für ein nachhaltiges besseres, gerechtes und selbstbestimmtes Leben für alle Menschen jedoch stellt der Frauenbefreiungskampf dar. Nicht zufällig erklärte der Vorsitzende Apo das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauenbefreiung. Das vorherige Jahrhundert war von Klassenkämpfen und Nationalen Befreiungskämpfen gekennzeichnet. Beiden Ansätzen ist es nicht gelungen, die propagierte Alternative zum System zu entwickeln, denn die patriarchale Mentalität und Machtstrukturen wurden nur unzureichend hinterfragt und angegriffen. Die Hauptdynamik des Lebens bzw. der menschlichen Gesellschaft ist die freie Frau. Eine Gesellschaft, in der Frauen sich nicht mit ihrem freien Willen am Leben in allen Bereichen der Gesellschaft beteiligen, ihre Politik und Ökonomie kommunal und selbstbestimmt gestalten können, ist offen für jede Art von Unterdrückung und Fremdbestimmung.

Mit unseren Anstrengungen zur Verteidigung und zur Reaktivierung einer ethisch-politischen Gesellschaftskultur erleben wir als Frauen ein hoffnungsvolles Erwachen. Wir haben erneut begonnen, uns zu bewegen. Und je mehr wir uns bewegen, um so mehr spüren wir unsere Ketten und das wiederum steigert unseren Willen, die Ketten zu durchbrechen und uns zu befreien. Nach mehr als einem halben Jahrhundert gehen Frauen weltweit wieder in Massen auf die Straße. Bei allen Protesten sind Frauen eine treibende Kraft an vorderster Front. „Der Platz der Frauen ist die Revolution“ ist ein Slogan, der den Frauenkampf im Jahr 2019 bestimmte. Die kapitalistische Moderne kann nur mit einer freien und unabhängigen Frauenorganisierung und einem entschlossenen, radikalen Frauenkampf effektiv zurück gedrängt und bekämpft werden.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, gegenwärtig werden wir Zeugen davon, dass der Liberalismus, die Hauptideologie des Kapitalismus, immer mehr zu bröckeln beginnt. Die stark verankerte lähmende Gleichgültigkeit, der Egoismus, die apolitische Haltung der Gesellschaft brechen immer mehr auf. Die Notwendigkeit von Kollektivität, Solidarität und Organisierung gewinnen für die Menschen immer mehr an Bedeutung. Die kapitalistische Lüge vom „Ende der Geschichte“ wird durch den Widerstand der Menschen aufgedeckt und die Wahrheit vom Ende der kapitalistischen Moderne vorbereitet. Immer mehr wird deutlich, dass wir nicht nur den gleichen Feind und Gegner haben, sondern dass wir auch den gleichen Kampf mit gleichen Zielen führen. Unser Kampf, den wir für unsere Träume, Hoffnungen und Visionen von Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit und Demokratie, als Frauen, als Völker, Klassen, unterdrückte Gruppen und Personen führen ist der selbe. Wir können nur dann Erfolg haben, wenn wir uns vernetzen und global organisieren. Die weltweite Solidarität mit dem Befreiungskampf in Kurdistan, welche in dem Slogan „Wir sind eure Berge“ zum Ausdruck kam und die Ausbreitung der Kampagne, Aktionen und Organisierungsansätze im Rahmen der internationalen Kampagne „Women Defend Rojava“ sind sehr wertvoll und Kraft gebend.

Es ist nun an der Zeit, hieran anzuknüpfen den Internationalismus mit neuem Geist und neuen Taten zu füllen. Der Internationalismus des 21. Jahrhundert muss lokal und universal denken, fühlen und handeln können. Der Demokratische Konföderalismus ermöglicht es, Kämpfe lokal bzw. regional zu führen, global zu vernetzen und zu gewinnen. Uns muss es gelingen, unsere alternativen, libertären und kommunalen Gesellschafts- und Lebensformen auf der Grundlage von Demokratie, Ökologie und Frauenbefreiung allerorts weiter zu entwickeln und zu leben. Hierfür brauchen wir eine Mentalität, Organisierung, solidarischen Beziehungen und Strukturen, die frei von Macht, Konkurrenz und Besitzdenken sind.

2019 war ein Jahr des Widerstandes und ein Jahr mit revolutionärem Potential. Alle Anzeichen deuten darauf, dass das neue Jahr noch bewegender, noch kämpferischer, noch revolutionärer sein wird. Wir haben uns als Bewegung auf die neuen Herausforderungen vorbereitet und gewappnet. Der gemeinsame Kampf der Völker weltweit wird den Ausgang dieses Kampfes der Systeme bestimmen: Entweder demokratische Moderne oder kapitalistische Zerstörung, entweder demokratischer Sozialismus oder Barbarei, entweder Frauenbefreiung oder Feminizide... Wir müssen auf eine Zunahme der Angriffe, des Faschismus, der Kriege vorbereitet sein. Die kapitalistische Moderne, die immer mehr in die Enge gedrängt wird, wird mit allen Mitteln – mit Gewalt und Restauration versuchen, ihre Existenz zu verlängern. Sie wird sowohl auf harte als auch auf „weiche“ Methoden zugreifen. Sie wird versuchen, die Menschen zu spalten, die Kämpfe gegeneinander aufzuspielen, die Degenerierung und Bedeutungslosigkeit des Lebens und der Werten zu vertiefen. Wir müssen daher sehr achtsam sein und uns auf unseren Kampf und unsere Organisierung konzentrieren. Je mehr wir im neuen Jahr unsere Kämpfe miteinander verknüpfen und verbreiten, um so mehr können wir die Angriffe des Systems erfolgreich abwenden und ins Leere laufen lassen. Kein Kampf darf unorganisiert und ohne Solidarität bleiben.

Im Jahre 2020 müssen wir unsere Aktionen noch effektiver und wirkungsvoller gestalten und die Bereiche unseres Kampfes noch mehr ausweiten. Zudem müssen wir uns bewusst sein, dass wir die kapitalistische Moderne nur dann erfolgreich besiegen können, wenn wir all ihre Eigenschaften auch in unserer eigenen Persönlichkeit überwinden. Wir müssen den Bruch mit dem System bei uns selbst, in unserer eigenen Persönlichkeit beginnen, um das System erfolgreich bekämpfen zu können. Wir müssen gegen den Kapitalismus und seine Angebote immun werden. Wenn wir unseren politischen Kampf nicht mit unserer Persönlichkeit, mit unserem Denken, Fühlen und Handeln in Einklang bringen, werden wir - ohne es zu wollen - zu seinen Gunsten agieren. Ein Schwerpunkt unseres Kampfes im kommenden Jahr sollte daher eine ideologische Offensive gegen den Kapitalismus in unseren Persönlichkeiten darstellen. Das bedeutet, dass wir patriarchale, nationalistische, positivistische und liberale Einstellungen, Lebensformen und Angewohnheiten hinterfragen, bekämpfen und überwinden. Wir können nicht glaubhaft für die Freiheit kämpfen, wenn wir selbst in Machtverhältnissen leben und Hierarchien reproduzieren. Revolution ist nicht etwas, was wir vielleicht am Ende unseres Kampfes erreichen werden. Eine Revolution bedeutet, in jeder Sekunde, in jedem Augenblick des Lebens grundlegende, befreiende, stärkende Veränderungen zu vollziehen, in der eigenen Persönlichkeit, in der eigenen Organisation, in den eignen Kollektiven, in der Gesellschaft.

Wir sehen, wie sich unter den Herrschenden die Angst und unter uns Unterdrückten der Widerstand immer mehr ausbreitet und ansteckend wirkt. die Herrschenden haben Angst vor organisierten Frauen und Männern, vor Menschen die selbstbestimmt, frei und kollektiv leben wollen. Der Funke der Freiheit und die Flamme des Widerstandes breiten sich überall auf der Welt aus. Wir dürfen nicht zögern und uns nicht in kleine Berechnungen verstricken. Wir haben eine historische Verantwortung. Diese gilt nicht nur für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir hätten tun müssen, aber nicht getan haben. Wir haben große Ziele vor uns und vertrauen darauf, dass wir uns gemeinsam das freie Leben und eine freie Gesellschaft zurück erkämpfen werden.

Mit großer Entschlossenheit, Motivation und Tatendrang wünschen wir Euch allen ein erfolgreiches, kämpferisches und kraftvolles neues Jahr.

Jin Jiyan Azadî! Bijî Serok Apo! Es lebe die Internationale Solidarität!