Jineolojî-Wochenende in Berlin: Gemeinsam auf die Suche nach uns selbst gehen
In Berlin haben sich Frauen und Menschen weiterer widerständiger Geschlechter zusammengefunden und sich mit den Grundlagen der Jineolojî vertraut gemacht.
In Berlin haben sich Frauen und Menschen weiterer widerständiger Geschlechter zusammengefunden und sich mit den Grundlagen der Jineolojî vertraut gemacht.
Frauen und Menschen weiterer widerständiger Geschlechter haben sich für ein Wochenende in Berlin zusammengefunden, um sich mit den Grundlagen der Jineolojî vertraut zu machen. Gewidmet haben sie das kollektive Zusammensein der marxistisch-feministische Denkerin und Aktivistin Maria Mies, die im Mai im Alter von 92 Jahren gestorben ist. Zu ihrem Treffen schreiben die Teilnehmenden:
„Der Tag wird kommen, wo die Berge sich bewegen, sie schlafen nur für eine kurze Zeit. In der Vergangenheit haben sie sich erhoben, und man sah sie brennen viele Meilen weit.
Doch vielleicht wird daran noch niemand glauben, doch es gibt ein’s, woran sie glauben sollten, die Frauen, die jetzt schlafen, werden bald erwachen und dahin gehen, wohin sie immer wollten.“ (Liedtext von „Der Tag wird kommen“)
Über ein Wochenende haben wir uns in Berlin einen Ort des kollektiven Zusammenseins und des Austauschs geschaffen. Wir sind mit Frauen und Menschen weiterer widerständiger Geschlechter von verschiedenen Orten, unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen politischen Kämpfen zusammengekommen. Gemeinsam haben wir uns auf die Suche begeben nach dem Wissen, das wir für ein freies und gemeinschaftliches Leben brauchen.
Gewidmet haben wir das Wochenende Maria Mies, die am 16. Mai 2023 im Alter von 92 Jahren in Köln von uns gegangen ist. Mit ihren Thesen zum Ökofeminismus hat sie einen wichtigen Beitrag zur Perspektive der Frauenkämpfe in der ganzen Welt geleistet, war eine Quelle der Inspiration sowohl für die feministische Bewegung in Deutschland als auch für die Frauenbefreiungsbewegung in Kurdistan.
An diesem Wochenende haben wir uns mit den Grundlagen der Jineolojî vertraut gemacht, um schließlich selbst zu der Frage zu forschen: „Was bedeutet es, eine Frau1 zu sein?“. Darüber kamen wir zu folgenden Fragen: Was haben die Frauen vor uns, unsere Vorfahrinnen, erlebt und wie beeinflussen diese Erfahrungen uns? Was haben wir in unseren patriarchal geprägten Gesellschaften gelernt, was es bedeutet eine Frau zu sein? Wie sieht das Leben in matriarchalen Gesellschaften aus? Was bedeutete es eine freie Frau zu sein? Was heißt es für uns persönlich? Wie werden wir zu freien Frauen?
Dafür haben wir uns auch damit beschäftigt, welche Rolle Geschichte auf dem Weg zur Befreiung spielt und wie wir sie betrachten können, um Frauen und widerständiges Leben sichtbar zu machen.
„Ich finde das Schöne an Jineolojî, zu merken, dass Revolution nicht etwas zerstörerisches ist, dass Veränderung nicht aus einer Anti-Haltung passiert, sondern dass Beziehungen und solche Momente Fäden der Revolution sein können“, so eine Teilnehmerin.
Ein weiteres Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben, war Selbstverteidigung. Dazu haben wir uns die Fragen gestellt: Was bedeutet Selbst? Was ist Teil unseres Selbst? Was heißt Verteidigung? Was kann alles Verteidigung sein? Was ist Selbstverteidigung? Was oder wen wollen wir schützen und verteidigen? Gegen wen oder was müssen wir uns verteidigen? Und wie tun wir es?
Aus Perspektive der Jineolojî umfasst Selbstverteidigung sehr viel mehr als körperliche Abwehr. Es geht vielmehr darum, zu verstehen, auf wie vielen Ebenen das patriarchale, kapitalistische System uns angreift, in unserem Sein als Frauen und widerständige Menschen, wie die Werte angegriffen werden, die ein freies, gemeinschaftliches Leben ermöglichen und wie wir all das verteidigen und aufbauen können. Daraus ergaben sich Fragen wie: Wie können wir uns gegen die Abwertung unserer Identitäten verteidigen? Wie können wir gegen die Vereinzelung ankämpfen? Wie können wir miteinander auf der Basis von freiheitlichen Werten leben?
In einem zweiten Teil hat eine Teilnehmerin mit uns Techniken aus dem WENDO geteilt, um unsere eigenen Grenzen und die der anderen zu spüren und praktisch verteidigen zu können. Alle gingen freudig und mit einem Gefühl der Stärke aus diesem Vormittag.
Eine Freundin sagte: „Das Treffen gibt mir wieder den Glauben an die Kraft, an meine Kraft, für die autonome Organisierung. Weil wir hier schon eine gelebte Utopie haben.“
Über die gesamte Zeit haben wir verschiedene Methoden und Formen des Austauschs ausprobiert. Wir haben geschrieben, zugehört, gemalt, gelesen, getanzt, Theater gemacht, Musik gespielt und dabei der Frauen gedacht, die mit uns auf dem Weg zu einer befreite Gesellschaft gekämpft haben.
„Wir hatten hier auch Kinder dabei. Die Kinder haben verstanden wo sie sind und was wir machen. Und wenn ein Kind versteht, was es bedeutet unterdrückt zu sein, und vor allem aber auch wie man emanzipiert sein kann, dann denke ich, sind wir auf dem richtigen Weg“, betonte eine weitere Teilnehmerin.
Wir bleiben verbunden und werden nun an anderen Orten und mit anderen Menschen die Suche nach dem Wissen für ein befreites Leben fortsetzen. Wir werden die Ideen der Jineolojî weitertragen und ihren Geist und ihre Kraft viele Frauen, viele Menschen spüren lassen.
1 Wir verwenden den Begriff Frau und meinen damit das soziale Geschlecht, welches durch die Erfahrungen und die Sozialisation geformt wird, die weiblich gelesene Menschen im Patriarchat erleben.