Gewalt gegen Frauen in Nordkurdistan nimmt zu

Die Amed-Sektion des Menschenrechtsvereins IHD hat einen Bericht über Gewalt gegen Frauen in Nordkurdistans veröffentlicht.

In der Großstadt Amed (Diyarbakir) wurde am Freitag ein Bericht des Menschenrechtsvereins IHD über Gewalt gegen Frauen in Nordkurdistan vorgestellt. Die Auswertung des Ortsvereins in Amed zeigt: Zwischen dem 25. November 2017 und dem 23. November 2018 wurden 53 Frauen aufgrund innerfamiliärer Männergewalt und durch Männergewalt im öffentlichen Raum getötet.

Vorgestellt wurde der Bericht auf einer Pressekonferenz in den IHD-Räumlichkeiten. Die Anwältin Derya Yıldırım, die auch Leiterin des IHD-Büros in Amed und Mitglied der Frauenkommission ist, erklärte einleitend, dass Frauen vielen Formen von Gewalt gegenüberstehen. Neben sexualisierter, kultureller, psychologischer und physischer Gewalt erscheine Gewalt gegen Frauen auch in Form von Mobbing. Die Politik des türkischen Staates verhindere diese Gewalt nicht, im Gegenteil; sie fördere und ermögliche diese, stellte Yıldırım fest.

Staatspolitik fördert Gewalt

Anschließend wies die Menschenrechtlerin auf die Schließung vieler Fraueneinrichtungen durch die Regierung hin und fuhr fort: „Die vielen Frauen, die in Konfliktgebieten gestorben sind, sind Ausdruck der Zunahme der Gewalt in der Gesellschaft. Später wurden Treuhänder ernannt und die weiblichen Führungskräfte inhaftiert. Eine andere Form der Gewalt sind die Entlassungen durch Notstandsdekrete. Wir beobachten, dass Gewalt wie Nacktdurchsuchungen in den Gefängnissen und Misshandlungen ebenso wie die Gewalt in allen anderen Bereichen kontinuierlich zunimmt. Das patriarchale Verständnis des Staates wird in seinem Verhalten gegenüber Frauen am deutlichsten.“

Die Menschenrechtlerin Yüksel Aslan Acer wies auf den Anstieg der Fälle von Frauenmorden und Übergriffen hin. Zwischen den Jahren 2012 und 2016 habe es bereits einen Anstieg von verdächtigen Todesfällen von Frauen gegeben. So sei es im genannten Zeitraum zu mindestens 33 Fällen verdächtiger Todesfälle gekommen. Was den Tod und die Verletzung von Frauen durch Gewalt innerhalb der Familie betreffe, so sei auch hier die Zahl angestiegen. Besonders schnell steige diese Zahl seit dem Jahr 2014 an, sagte Acer.

374 Frauenmorde in Nordkurdistan

In den vergangenen sechs Jahren wurden in Nordkurdistan 374 Frauenmorde und 220 Fälle von Verletzungen vom IHD erfasst. Dazu kommen 50 erfasste Fälle von sexualisierter Gewalt. Diese Zahlen dürften allerdings nur die Spitze des Eisbergs umfassen, da sie nur die vom IHD verifizierten Meldungen widerspiegeln.

Erklärungen der Regierung produzieren Gewalt

In dem IHD-Bericht findet sich ein Zitat aus einem Bericht der Expertengruppe des Europarats zur Verhinderung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO).  Derya Yıldırım sagte dazu: „Der Bericht gibt Anlass zu ernster Besorgnis im Hinblick auf das Fortbestehen tiefsitzender, restriktiver und stereotyper Ansichten über die Rollen von Frauen, die weiterhin die türkische Gesellschaft - auch auf höchster politischer und administrativer Ebene - durchdringen und die Gewalt gegen Frauen fördern. Wenn die jüngsten Richtlinien nicht anhand des Gleichstellungskriteriums überprüft werden, besteht die Gefahr, dass die Bemühungen der Türkei, diskriminierenden Klischees in Bezug auf die Rolle und Verantwortung von Frauen und Männern in der Familie und in der Gesellschaft standzuhalten, untergraben werden.“

Türkische Justiz verschleppt Ermittlungen gegen Täter

Die Zunahme der Rechtsverletzungen von Frauen sei auch Ausdruck dessen, dass sie nicht ausreichend geschützt und entsprechende Justizreformen nicht durchgeführt würden: „Die der Justiz übergebenen Fälle von Gewalt gegen Frauen, sexueller Belästigung und sexuellen Angriffen werden nicht wirksam ermittelt, viele der Fälle werden von den Richtern verschleppt und wir erleben immer noch Verfahren zu Gewalt gegen Frauen, in denen Männer Strafminderung wegen angeblich „ungerechtfertigter Provokation“ durch die Frau oder wegen „guter Führung“ erhalten.“

Die von der machtbasierten Staatspolitik getragene patriarchale Gewalt und die systematische Ausbreitung von Gewalt im öffentlichen Raum fördere das Töten von Frauen und verhindere die Abschreckung davor. Angriffe auf Frauen werden von der Justiz ausgezeichnet, so Derya Yıldırım: „Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, die die gegenwärtige Situation verändern, fördern die gängigen Gerichtsurteile Gewalt und neue Fälle von Mord und Vergewaltigung von Frauen.“