Hamburg: Gewalt an Frauen hat viele Gesichter

In Hamburg findet zurzeit die dritte Konferenz der KARAWANE-Flüchtlingsfrauen statt. Der gestrige Tag war von Workshops geprägt, einer davon hatte das Thema „Gewalt an Frauen“.

„Gemeinsam gegen Isolation! Für ein solidarisches Leben in Freiheit und Selbstbestimmung“ – Unter diesem Motto findet in Hamburg die dritte Konferenz der KARAWANE-Flüchtlingsfrauen statt. Der gestrige Samstag war von Workshops geprägt, einer davon hatte das Thema „Gewalt an Frauen“.

Der Workshop zeigte, wie wichtig es ist, dass Frauen zusammenkommen und sich über Gewalt austauschen. Frauen aus verschiedenen Ländern mit verschiedenem Hintergrund berichteten über Gewalterfahrungen. Oftmals haben die Täter keine persönlichen Motive, sondern handeln im Auftrag des Staates, es handelt sich also um politische Gewalt.

Folter: Bis heute ist mein Kiefer verspannt

Eine Menschenrechtlerin aus der Türkei berichtete über Folter, die sie in Polizeihaft in den 1980er Jahre in der Türkei erfahren hat. Sie berichtet von Elektroschocks an Brustwarzen und Zehen sowie Schlägen. „Man hat mir immer wieder Tonbänder mit Kinderschreien vorgespielt. Als Mutter hat mich das psychisch fertiggemacht. Mein Sohn war damals acht Monate alt“, berichtet sie. Zwei ihrer Kolleginnen wurden zu Tode gefoltert. Ihre Leichen wurden vollkommen verstümmelt am Stadtrand gefunden. „Ich wurde ein zweites Mal verhaftet und saß nach meiner Entlassung vier Jahre im Rollstuhl“, berichtet sie weiter. „Die Gewalt richtet sich nicht nur gegen die Person, sondern gegen das ganze Umfeld, alle sind mit betroffen. Bis heute ist mein Kiefer verspannt, denn ich habe meinen Mund fest verschlossen, um niemanden zu verraten. Wir waren damals in Dersim unterwegs. Der Staat hatte behauptet, die Guerilla habe Häuser angezündet. Wir suchten nach Beweisen, dass die Armee die Häuser angezündet hatte. Man wollte mich dazu zwingen zu sagen, welche Personen ausgesagt hätten, dass der Staat verantwortlich sei, aber ich habe nichts gesagt. Ich hatte keine Angst zu sterben, denn ich war mir sicher, dass ich niemanden verraten werde und dass meine Arbeit wichtig ist.“

Die Polizei kam nachts

Eine Frau aus Kamerun berichtet von einem gewaltsamen Abschiebeversuch. „Die Polizei kam nachts um drei, sie haben mich in meiner Schlafkleidung an Händen und Füßen gefesselt, gewürgt und in ein Polizeiauto gebracht. Sie haben mich sehr brutal geschlagen. Ich habe mich trotzdem gewehrt, denn ich wollte nicht zurück nach Kamerun. Mein Mund wurde verklebt, so dass ich nicht sprechen konnte. Sie haben mich ins Flugzeug gebracht, aber der Pilot hat sich geweigert zu starten.“ Später berichtet mir die Frau, dass sie heute durch eine Ehe mit einer Frau vor Abschiebung sicher ist.

Das System zwingt sie zu heiraten

Sie erklärt weiter, dass viele junge Frauen gezwungen sind, Beziehungen mit Männern einzugehen, um ihrer ausweglosen Asylsituation zu entkommen. „Wir kennen das aus den Lagern. Die Frauen haben keinen sicheren Status, durch das System haben sie keine andere Möglichkeit, um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, denn sie wissen, dass ihr Asyl abgelehnt wird. Viele sind noch gar nicht bereit für eine solche Beziehung und sind dem Mann dann ausgeliefert“, fährt sie fort.

Virtuelle Gewalt

Eine junge Frau berichtet, dass sie bei Facebook und anderen sozialen Medien immer wieder von Männern beschimpft und beleidigt oder mit sexualisierten Angeboten konfrontiert wird. „Männer beschimpfen uns als ‚Huren‘ oder ‚Schlampen‘, damit wir unsere Meinung nicht frei äußern. Sie nehmen uns damit den Raum, unsere Gedanken zu teilen“, erklärt sie.

Soziale Kontrolle durch die Familie

Eine junge Frau aus Afghanistan berichtet davon, dass sie ständig sozialer Kontrolle durch die Verwandten ausgesetzt ist. „Als ich eine junge Braut war, durfte ich das Haus nicht verlassen, denn in unserer Gesellschaft gilt dies als unangemessen. Gehst du trotzdem raus, wird schlecht über dich geredet. Obwohl ich mein Bestes als Frau und Mutter gegeben habe und gekocht und geputzt habe. Kaum gehe ich raus, heißt es, ich sei eine schlechte Mutter, ‚wo sind deine Kinder, weiß dein Mann, dass du draußen bist?‘. Auch dass ich hier zur Konferenz ohne die Kinder kommen wollte, ist wieder Gesprächsthema, obwohl mein Mann einverstanden ist.“

Nicht nur der IS hat uns ausgenutzt.

Eine junge ezidische Frau berichtet von ihrer Flucht vor dem Islamischen Staat (IS). Sie sagt, auch jenseits des IS hätten die ezidischen Frauen viel Gewalt erlebt, als sie auf der Flucht immer wieder in Gefahr geraten seien. „Als der IS am 3. August 2014 Şengal angegriffen hat, sind wir in die Türkei geflohen, mein Vater war von uns getrennt worden. So war meine Mutter allein mit acht Kindern auf der Flucht, mit fünf Brüdern und drei Schwestern. Wir sind in die kurdischen Gebiete der Türkei geflohen. Wir dachten, dort wären wir in Sicherheit, um uns herum leben ja Kurden. Aber wir wurden sehr unter Druck gesetzt. Man wollte uns jungen Frauen verheiraten, und uns wurde gesagt, wir sollten Muslime werden. Meine Mutter hat gesagt: ‚Hier können wir nicht bleiben‘. Also sind wir weiter nach Istanbul geflohen. Wir hatten aber nicht genug Geld, um die Schlepper nach Europa zu bezahlen. Wiederum wollten uns Schlepper überreden, eine von uns Mädchen dazulassen, sozusagen als Bezahlung. ‚Verkauf eine Tochter, dann kannst du mit den anderen Kindern gehen‘, hieß es. Aber es gab einen Schlepper, der uns dann geholfen hat. Er wollte uns helfen, weil wir Ezidinnen sind. ‚Gebt mir das Geld zurück, wenn es euch eines Tages gut geht‘, sagte er.“

Die Familie schaffte es bis Bulgarien. Dort geriet sie erneut an Schlepper, die der Mutter vorschlugen, alle Kinder nach Deutschland zu bringen, aber sie selbst müsse dann als Bezahlung dableiben. Mitten in der Nacht floh die Familie vor den Männern, die sehr bedrohlich waren.

Da die Familie keine Papiere hatte, hatte sie keinen Zugang zu einem Flüchtlingscamp. Die Mutter und die acht Kinder mussten auf der Straße übernachten. Zum Glück half eine bulgarische Frau der Familie. Ein Bruder verdiente Geld, so dass die Familie am Schluss nach Deutschland kommen konnte. „Wir sind jetzt alle zusammen und alle sind gesund angekommen. Aber was mich wirklich geschockt hat nach allem was wir erlebt haben, war eine Frau von der Ausländerbehörde, als sie zu uns sagte: ‚Wenn ihr nicht richtig deutsch lernt, werdet ihr abgeschoben.‘ Nach allem was wir auf der Flucht erlebt haben.“

Später berichtet sie noch, dass sie vor dem Angriff des IS in Mosul studiert habe. „Ich habe damals nur die Universität gesehen, nie bin ich rausgegangen, denn ich wollte kein Kopftuch tragen. Daher war ich in großer Gefahr. Mein Studium wurde hier nicht anerkannt. Nach vier Jahren in Deutschland beginne ich jetzt wieder zu studieren. Ich studiere soziale Arbeit, denn ich will anderen Frauen helfen, die ähnliches erlebt haben wie wir. Ich habe meine Geschichte noch nie zuvor erzählt, und das war auch nur ein Bruchteil von dem, was ich erlebt habe, aber eines Tages, wenn es mir psychisch besser geht, möchte ich alles aufschreiben.“

Am Ende des Workshops wird zusammengetragen, was die Frauen an Ressourcen erleben, um Gewalt zu überwinden. Vor allem Solidarität ist wichtig, wie sie der Pilot gezeigt hat, der die Abschiebung verhindert hat, der Schlepper, der die Familie mit wenig Geld nach Europa in Sicherheit brachte, die Frau, die die Familie aufnahm. Die eigene Überzeugung und Stärke, sogar Folter auszuhalten, wenn eine Frau weiß wofür, ist eine Ressource. Die Frauenorganisierung und der Kampf der Frauen in Rojava wurden genannt. Bildung, um sich für die eigenen Rechte einsetzten zu können.

Heute, am letzten Tag der Konferenz, werden die Ergebnisse der Workshops präsentiert und diskutiert.

Einige Frauen haben ihre Geschichten schon veröffentlicht, sie sind hier nachzulesen: https://iwspace.de/in-unseren-eigenen-worten/