Frauenveranstaltung zu Efrîn in Hamburg

Am Sonntag fand im Rahmen der feministischen Kampagne „Gemeinsam Kämpfen“ in Hamburg eine Informationsveranstaltung zur aktuellen Lage in Efrîn und zur Frauenbewegung in Rojava/Nordsyrien statt.

Im Rahmen der Kampagne „Gemeinsam Kämpfen“, die sich als autonome feministische Organisierung mit einem Schwerpunkt auf internationalistischer Vernetzung versteht, hat im Hamburger Curio-Haus eine Veranstaltung zur Frauenorganisierung in Rojava stattgefunden.

Für die Veranstaltung waren Gülistan Kalo und Lydia Gottschalk eingeladen. Lydia Gottschalk hat mehrere Jahre in Rojava/Nordsyrien gelebt und in verschiedenen Frauenprojekten gearbeitet, von denen sie berichtete. Gülistan Kalo sprach über die aktuelle Situation in Efrîn. Gemeinsam mit ihrem Mann ist sie nach Hamburg geflohen, während sich ein Teil ihrer Familie weiterhin in Efrîn befindet.

Die Kurdin Gülistan Kalo schilderte viele Aspekte der zurzeit kritischen Lage Efrîns. Noch immer finden zahlreiche Angriffe durch den türkischen Staat und seine dschihadistischen Hilfstruppen statt, welche verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung haben. Allein im Kanton Efrîn wurden über 300 Dörfer geplündert, viele sind komplett leergeräumt. Zivilisten und Zivilistinnen sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, während die Familien von Dschihadisten bereits in den besetzten Gebieten angesiedelt werden. Dabei entwickelt sich die Infrastruktur für die kurdischen Bürgerinnen und Bürger, wie Gülistan Kalo treffend ausdrückte, zu Einbahnstraßen, da eine Rückkehr aufgrund von Minen und Patrouillen unmöglich gemacht wird. Gülistan erzählte beispielhaft von ihrem Bruder, der seit über drei Monaten versucht, nach Efrîn zurückzukehren und es aufgrund solcher Bedingungen nicht schafft. Zudem häufen sich die Fälle von Verschleppungen durch die Besatzungstruppen. So berichtete Gülistan von aktuell 56 Menschen, die schlicht verschwunden sind. Von ihrer eigenen Familie in Efrîn erhält sie seit über zwei Wochen keine Nachricht mehr. Über 3000 Menschen sind bisher im Kampf gefallen oder durch Angriffe getötet worden. Nicht selten kommt es vor, dass eine ordentliche Bestattung nicht möglich ist, da die Zivilistinnen und Zivilisten aus den Gebieten fliehen und die Leichen ihrer Angehörigen zurücklassen müssen.

Auf Nachfrage aus dem Publikum ging Gülistan vertiefend auf die Lage der Flüchtenden ein. Seit den Angriffen sind über 250 000 Menschen aus den betroffenen Gebieten geflohen. Es haben sich einige wenige Camps gebildet, in denen jedoch unzureichende hygienische Zustände herrschen, Medikamente fehlen und Epidemien drohen. Erst kürzlich seien Meldungen über akute Hautkrankheiten in der Region Şehba erschienen. Abseits dieser Camps schlafen Menschen teilweise unter freiem Himmel. Kurdische Hilfsorganisationen kommen aufgrund gesperrter Straßen kaum durch.

Gülistan Kalo stellte schließlich die wichtige Frage, wo denn die Menschheit und vor allem die Menschlichkeit bleiben. Sie betonte die Notwendigkeit jeglicher Solidarität mit der Bevölkerung Efrîns und teilte mit, dass der Widerstandsgeist der Bevölkerung und der Kämpferinnen und Kämpfer ungebrochen sei. „Efrîn wird wieder aufblühen“, so Gülistan.

Nach einer Einschätzung zur aktuellen Lage in Efrîn sprach Lydia Gottschalk zur kurdischen Frauenbewegung in Rojava, in der sie sich vor Ort viele Jahre engagierte. Sie begann mit der Frage, wieso die autonome Selbstverwaltung Nordsyriens überhaupt angegriffen wird. Dabei ging Lydia auf das Konzept des Demokratischen Konföderalismus ein und führte aus, wie dieser es schafft, Nationalstaatlichkeit und Patriarchat zu überwinden. Frauen organisieren sich selbstständig in Räten, Kommunen übernehmen die Versorgung in allen Lebensbereichen und werden stets durch eine Doppelspitze mit Mann und Frau vertreten. Die Revolution wird von Akteuren wie der Türkei als eine Bedrohung wahrgenommen und angegriffen, da sie zeigt, dass eine reale Alternative zum patriarchalen Kapitalismus möglich ist. Wie auch Gülistan Kalo betonte Lydia Gottschalk jedoch die Kraft der Bevölkerung und berichtete beispielsweise von ihrem ersten Besuch in Kobanê nach der Befreiung vom sogenannten IS, als sie eine blühende Stadt vorfand, die aus den Trümmern wieder aufgebaut wurde.

Lydia stellte einige Projekte und Strukturen vor, die die Menschen und vor allem Frauen in Rojava aufgebaut haben. Neben den militärischen Einheiten der YPG und YPJ sind auch die innerorts eingerichteten polizeilichen Sicherheitseinheiten des Asayish zur Hälfte autonom von Frauen organisiert. Bei dem Aufbau eines neuen muttersprachigen Bildungssystems sind Fakultäten für Jineoloji eingerichtet worden, die jenseits herrschaftlicher Hegemonien ein neues, feministisches Paradigma in der Wissenschaft bieten. Auch vom Frauendorf Jinwar wurde berichtet. Dieses wird von Frauen, die ihre Ehemänner im Krieg verloren haben oder autonom leben möchten, aufgebaut und ermöglicht einen Alltag jenseits herkömmlicher familiärer Strukturen.

Lydia Gottschalk betonte mehrfach, dass eine der Besonderheiten Rojavas der Aufbau demokratischer Strukturen sei, der nicht nur in, sondern vor allem mit der gesamten Gesellschaft erfolgt. Dabei funktioniere eine solche Demokratie nur, wenn sich alle beteiligen, miteinander sprechen und partizipieren. Das dies nicht ohne Schwierigkeiten funktioniere, sei selbstverständlich, so gebe es beispielsweise Konflikte, was das Überwinden von Rollenbildern angeht. Dennoch bemüht sich eine Selbstorganisation wie die in Rojava darum, die gesamte Gesellschaft in die Prozesse mit einzubeziehen, ob mit monatlichen Hausbesuchen aller Familien, täglichen Plena oder Räteversammlungen, aber vor allem mit Offenheit und Kritik.

Zu einer Frage aus dem Publikum nach ihren persönlichen Beweggründe, in Rojava zu leben, antwortete Lydia Gottschalk, es sei vor allem die Idee einer andere Welt, die sie motiviert habe. Ihre Erfahrungen seien ein Stück ihres Lebens, die sie mit Menschen teilen wolle.