In Hesekê in Rojava endete die Frauenarbeitstagung unter dem Titel „Mit der Kraft und Einheit der Frauen werden wir die Teilungs- und Völkermordpolitik von Lausanne überwinden“ mit einer Abschlusserklärung der über 60 Delegierten, die aus ganz Nord- und Ostsyrien zusammengekommen waren.
„Nationalstaat facht Rassismus an“
Samira al-Aziz aus dem Generalrat der Zukunftspartei Syriens trug eine Erklärung vor, in der die Multikulturalität des Bevölkerungsmosaiks im Nahen Osten unterstrichen wurde. Historisch habe es eine heute noch lebendige Freundschaft und gute Nachbarschaft zwischen den verschiedenen Identitäten gegeben. Mit dem Nationalstaat sei jedoch auch der Rassismus gewachsen.
Sie führte im Zusammenhang mit der Bedeutung des Teilungsabkommens von Lausanne aus: „Durch die Intervention von Kräften von außen, die die Region nicht kannten, insbesondere aus Europa, wurden die Grenzen der heutigen Nationalstaaten gezogen. Diese Grenzen entsprechen weder der geographischen noch der demografischen Realität in der Region. Als dieses System der Nationalstaaten geschaffen wurde, auf dem die heutigen Grenzen basieren, wurden Wille und Perspektive der Menschen, die dort lebten, missachtet. Mit den Abkommen von Sykes-Picot, Sèvres und schließlich vor hundert Jahren in Lausanne wurden diese Grenzen festgelegt und der Rassismus angefacht. Aufgrund des dem zugrunde liegenden Konzepts einer Nation, einer Sprache, einer Kultur und einer Flagge kam es in Mesopotamien zu zahlreichen Massakern und Völkermorden, von denen die meisten vom Osmanischen Reich und später vom türkischen Staat begangen wurden. Die Menschen wurden nicht nur durch willkürliche Grenzen, sondern auch durch rassistische und trennende Politik auseinandergebracht. Kurd:innen, Ezid:innen, Armenier:innen, Assyrer:innen und andere unterdrückte Völker wurden Opfer dieser Politik.“ Al-Aziz wies darauf hin, dass die internationalen Mächte auf diese Weise die Menschen im Sinne ihrer eigenen Interessen gegeneinander ausgespielt hätten.
„Frauen stehen an der Spitze des Kampfes gegen Teilung und Völkermord“
Die aktuelle Situation im Nahen Osten sei Ausdruck dieser Politik. Das nationalstaatliche System werde den Menschen mit Gewalt aufgezwungen, obwohl es überhaupt nicht zu ihnen passe. Dies führe zu Konflikt und Krieg: „Am meisten werden die Frauen, Kinder und Armen im Libanon, in Syrien, Armenien, Sudan, Irak, der Türkei und anderen Ländern zu Opfern dieser Kriege und Konflikte. Die internationalen Mächte haben versucht, das Schicksal der Menschen in der Region mit ihren Abkommen zu bestimmen, aber die Menschen vor Ort haben das nicht akzeptiert. Es gab immer wieder Aufstände und Widerstand gegen die Unterdrückung und Tyrannei, die diese Situation mit sich bringt. Die Frauen haben ihren Platz an der Spitze des Kampfes gegen Teilung und Völkermord eingenommen.“
„Der demokratische Konföderalismus ist die einzige Lösung“
Die Frauenrevolution in Rojava und Nord- und Ostsyrien stelle eine Alternative zur Politik der Trennung und des Völkermords dar, sagte al-Aziz und wies insbesondere auf die Rolle der verschiedenen Frauenbewegungen hin, die zeigen, wie Frauen mit unterschiedlichen Identitäten selbstorganisiert und gleichzeitig gemeinsam für die Freiheit der Gesellschaft arbeiten. Sie schloss daraus: „Die Idee der demokratischen Nation und des demokratischen Konföderalismus ist für die gesamte Region mit ihrem Reichtum, ihrer Kultur, ihrer Religion und ihren vielfältigen Strukturen die einzige Lösung, um in Frieden und Freiheit Seite an Seite zu leben.“
„Kampf gegen Rassismus und Fundamentalismus ist unsere Pflicht“
Sie erklärte weiter: „Es ist unsere Aufgabe als Frauen im Rahmen der demokratischen Nation, die freundschaftlichen Beziehungen und die gute Nachbarschaft mit den Menschen in der Region wiederherzustellen, die durch das durch die internationalen Mächte aufgezwungene nationalstaatliche System geschädigt wurden. Als Frauen müssen wir den Kampf gegen die kapitalistische Moderne und die ideologischen Säulen des Nationalstaates, Rassismus und Fundamentalismus, aufnehmen und uns für die Errichtung eines demokratischen Systems für die Menschen einsetzen.“
In der von al-Aziz vorgetragenen Abschlusserklärung wurden neun Grundansätze festgelegt:
1. Um den Angriff auf die Identität, der auf der Ausbreitung einer Kultur des Hasses und von Völkermord beruht, zu stoppen, muss die Rolle der Frau in der Führung der Gesellschaft gestärkt werden. Frauen sind mit Zwangsassimilation, Vernichtung und Entfremdung konfrontiert, da sie allein die Verteidigerinnen der historischen, kulturellen und sozialen Identität sind.
2. Um die Folgen des Vertrags von Lausanne zu bewältigen und zu verhindern, dass der Vertrag von Lausanne auf neue Weise wieder aufgelegt wird und die Menschen in der Region erneut missachtet werden, müssen die Menschen in der Region, insbesondere Kurd:innen und Araber:innen, eine Einheit bilden.
3. Es ist nicht möglich, die Identitätskrise, den Völkermord und die Entfremdung zu überwinden, ohne vereinende intellektuelle Projekte zu entwickeln. Die Erfahrungen in der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, die auf der Philosophie einer demokratischen Nation und der Geschwisterlichkeit der Völker und der Freiheit der Frauen beruhen, sind bemerkenswert und sollten ausgeweitet werden.
4. Frauen müssen ihren Platz in den Zentren der Entscheidungsgewalt einnehmen.
5. Es muss auf der Ebene des Nahen Ostens eine Frauenbewegung geschaffen und eine Frauenkonföderation aufgebaut werden.
6. Damit sich die Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ in der ganzen Welt verbreitet, müssen die Errungenschaften der Frauen geschützt und weitergegeben werden.
7. Um sich gegen die Politik gegen die Region stellen zu können, müssen die Frauen ihren Verteidigungsmechanismus an der inneren Front auf allen Ebenen stärken.
8. Die Geschichte der Massakerpolitik an den Menschen hier muss aufgedeckt werden. Die Kultur muss geschützt werden.
9. Um eine Frauenkoalition zu ermöglichen, muss die kurdische Einheit geschaffen werden. In diesem Sinne sollte ein Nationalkongress der kurdischen Frauen aufgebaut werden.