Fahrerinnen der YPJ an vorderster Front

In dieser Reportage wenden wir uns den Fahrerinnen der YPJ an der Front zu. Es handelt sich um Frauen, die mit ihrem Mut und unter Einsatz ihres Lebens die Mobilität der YPJ an der Front garantieren.

Die Niederlage des sogenannten Islamischen Staates (IS) und der Aufbau der Revolution von Rojava als eine Revolution aller Völker der Region ist auf den Mühen und der Opfer vieler unbekannter Heldinnen und Helden ermöglicht worden. Eine dieser Heldinnen ist die junge Revolutionärin Xwînda Botan, die sich im Jahr 2015 aus der nordkurdischen Stadt Cizîr (Cizre) der Revolution in Rojava anschloss.

Bisher wurde nur wenig über Fahrerinnen der Frauenverteidigungseinheiten YPJ berichtet, die an der Front in Deir ez-Zor sind. Xwînda ist eine von ihnen. Um ihre Geschichte zu verstehen, ist es wichtig zu erfahren, warum sie sich der Revolution angeschlossen hat.

„Warum habe ich mich der Revolution angeschlossen?“

Xwînda wiederholt die Frage, warum sie sich der Revolution angeschlossen hat, und antwortet darauf: „Wenn der Mensch heranwächst, dann bildet sich ein Bewusstsein heraus. Du siehst, dass du Teil eines Volkes bist. Du weißt, was deine Rechte sind aber auch, dass es einen Staat gibt, der sich diesen Rechten entgegen stellt und dich in keiner Weise akzeptiert. Der Staat sagt dir, dass du hier nicht leben kannst, wie du willst, dass du deine Sprache nicht sprechen kannst und dass du, wenn du Kinder hast, diese nicht aufziehen kannst, wie du willst.

Entweder du akzeptierst den Willen des Staates und gibst dich selbst auf, oder du gehst auf die Suche und kämpfst dagegen. Ich als kurdische Jugendliche habe das nicht akzeptiert. Ich habe gesehen, dass vor meinen Augen ein revolutionärer Prozess stattfindet. Ich habe gesehen, dass ein Teil meines Volkes um die Freiheit kämpft. Ich habe mich entschlossen, mich der Revolution anzuschließen und unter meiner eigenen Flagge zu kämpfen.“

„Es gibt keine bedingte Teilnahme an der Revolution“

Fahrzeuge sind an der Front von existenzieller Bedeutung. Sie sind daher immer auch erstrangige Angriffsziele. Auf die Frage, wie sie mit dem Risiko als Frontfahrerin umgeht, antwortet sie: „Es gibt keine bedingte Teilnahme an der Revolution. Es ist doch klar, dass es keine revolutionäre Haltung ist, wenn jemand sagt, dies tue ich und jenes nicht. Du tust auf die dir bestmögliche Weise das, was notwendig ist. Wenn es nötig ist, wirst du Kämpferin, Scharfschützin oder Fahrerin. Als die Fahrkurse eröffnet wurden, habe ich teilgenommen und übe diese Aufgabe nun bereits seit einigen Jahren aus.“

„Es ist große Disziplin notwendig“

Für ihre Tätigkeit sei große Disziplin und ständige Bereitschaft notwendig, erklärt Xwînda. Immer wieder müsse das Fahrzeug kontrolliert werden und in allen möglichen Situationen an der Front funktionieren, sagt sie und fährt fort: „Man muss alle Möglichkeiten stets einkalkulieren: Minen, Raketenangriffe, Gefechte und die Wetter- und Bodenbedingungen.“

„Manchmal transportiert man Verletzte, manchmal Munition“

Xwînda transportiert manchmal verletzte Kämpfer*innen und manchmal Munition und Waffen. Sie erzählt: „Dies ist ein Krieg, bei dem schwere Technik eingesetzt wird. Aus diesem Grund haben die Fahrzeuge eine noch größere Bedeutung. Man muss immer bereit sein und es ist notwendig in die gefährlichsten Gebiete zu fahren. Manchmal versuchst du einen Verletzten herauszuholen, manchmal einer Gruppe Freund*innen Munition zu bringen. Deshalb ist sehr viel Disziplin notwendig.“

„Du bist Genossin, Krankenschwester und Fahrerin gleichzeitig“

Eine der schwierigsten Aufgaben sei es Verletzte herauszuholen, sagt Xwînda: „Dann bist du sowohl Genossin, als auch diejenige, die erste Hilfe leistet und diejenige, welche die verletzte Person an ihren Bestimmungsort bringt. Man muss da sehr ruhig sein. Wenn du die Verletzten ins Auto bringst, dann denkst du nur daran, dass sie überleben sollen. An etwas anderes denkst du nicht.“

An jeder Front von Efrîn bis Deir ez-Zor

Xwînda war seit 2015 an vielen Fronten, von Şedadê über Raqqa bis nach Efrîn. Jetzt ist sie Teil der Offensive in Deir ez-Zor. Sie sagt, jeder dieser Kämpfe bringe seine eigenen Schwierigkeiten mit sich: „Am schwierigsten war für mich der Efrîn-Krieg. Denn dort gab es keine gleichen Kampfbedingungen. Die Aufklärungs- und Kampfflugzeuge waren immer über uns. In den anderen Kriegen war es notwendig, sich psychisch nur auf die Bedingungen eines Bodenkriegs einzustellen, aber in Efrîn musste man sich auch vor Luftangriffen schützen.“

Ihre schwierigste Situation 

Trotz ihrer jungen Jahre hat Xwînda als Frontfahrerin lebensnotwendige Aufgaben übernommen. Gefragt nach ihrer schwersten Situation antwortet sie: „Unsere Stellung in Efrîn war aufgeflogen und der türkische Staat begann uns mit Haubitzen zu beschießen. Wir waren vier Freund*innen und alle vier wurden wir verletzt. Ich wurde nur leicht verletzt. Am schwersten wurde unser Frontkommandant Artêş Gever verletzt. Ich brachte die drei Freund*innen unter großen Schwierigkeiten ins Auto und fuhr los. Die Verletzung von Artêş war sehr schwer, trotzdem versuchte er mir moralischen Beistand zu leisten. Wir fuhren aus dem Landkreis heraus in Richtung Efrîn. Ich hatte nur den Gedanken im Kopf, diese Freund*innen so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen. Ich habe sie dorthin gebracht, aber der Freund ist gefallen. Sogar jetzt noch kommen mir die Tränen, wenn ich an den Freund denke."