Drei YJA-Star-Kämpferinnen bei Angriff am Bagok gefallen

Die Guerillakommandantin Gulbahar Mercan sowie Eylem Munzur und Dîcle Eylem von der Sondereinheit Hêzên Taybet sind im Zuge einer türkischen Militäroperation in Mêrdîn gefallen. Die HPG sprechen der kurdischen Öffentlichkeit ihr Mitgefühl aus.

Die Guerillakämpferinnen Gulbahar Mercan, Eylem Munzur und Dîcle Eylem sind im Zuge einer Militäroperation der türkischen Armee in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (tr. Mardin) gefallen. Wie das Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) am Montag in Behdînan mitteilte, kamen die drei Kämpferinnen am 4. August bei einem tödlichen Angriff auf das Bagok-Massiv im Kreis Nisêbîn (Nusaybin) ums Leben.

Gulbahar Mercan war Kommandantin der Verbände freier Frauen (YJA Star), Eylem Munzur und Dîcle Eylem gehörten den Hêzên Taybet an, einer Spezialeinheit innerhalb der Guerilla, die besondere Opferbereitschaft und ideologischen Tiefgang voraussetzt. Die HPG würdigen sie als langjährige apoistische Militante, denen es mit ihrer selbstlosen Haltung und einer tiefen Verbundenheit zu dem auf Frauenbefreiung basierenden Paradigma von Abdullah Öcalan gelungen sei, eine Avantgarde im Befreiungskampf zu verkörpern.

„Gulbahar, Eylem und Dîcle verfochten die libertäre Linie der PKK und PAJK; die Ideologie der Frauenbefreiung und die Realität der freien Frau hatten sich in ihrer Persönlichkeit eingeprägt. Jeder Aufgabe begegneten sie mit einem Pioniergeist und machten das Unmögliche selbst unter den schwierigsten Voraussetzungen möglich. Sie gelten uns als Inbegriff des neuzeitlichen Guerilla-Daseins der YJA Star.“ Den Angehörigen der Gefallenen und der kurdischen Öffentlichkeit sprechen die HPG ihr Mitgefühl aus. Zur Identität der Kämpferinnen macht die Organisation folgende Angaben:

                     

Codename: Gulbahar Mercan
Vor- und Nachname: Şekirnaz Kaplan
Geburtsort: Bedlîs
Namen von Mutter und Vater: Miran – Iskan
Todestag und -ort: 4. August 2023 / Mêrdîn
 

 

Codename: Eylem Munzur
Vor- und Nachname: Emine Kaplan
Geburtsort: Êlih
Namen von Mutter und Vater: Dilber – Cengiz
Todestag und -ort: 4. August 2023 / Mêrdîn
 

 

Codename: Dîcle Eylem
Vor- und Nachname: Leyla Gülcü
Geburtsort: Amed
Namen von Mutter und Vater: Ayten – Alaattin
Todestag und -ort: 4. August 2023 / Mêrdîn
 

Gulbahar Mercan

Gulbahar Mercan wurde in Xîzan bei Bedlîs (Bitlis) geboren. Ihre Großfamilie legte viel Wert auf den Erhalt und die Pflege der kurdischen Sprache und Kultur und war aufgrund dessen seit den 1980er Jahren immer wieder staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Sie selbst wuchs im Bewusstsein des Widerstands gegen die Unterdrückung auf. Als junge Frau lernte sie in Amed (Diyarbakır), wo sie ein Studium aufnahm, die „Revolutionäre Jugend“ kennen. Durch ihre aktive Teilnahme am Engagement der kurdischen Jugendbewegung und einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dem Paradigma Abdullah Öcalans überwand sie die von ihr als „Hauptwiderspruch des Lebens“ bezeichnete Ungleichheit zwischen Mann und Frau. 2009 verließ sie im dritten Jahr die Universität und ging zur Guerilla. Ihr Anspruch war es, den Widerstand gegen die mit dem Ziel einer Vernichtung der kurdischen Existenz und für die Befreiung der Frau an einer gemeinsamen Front zu führen.


Der Beitritt Gulbahar Mercans in die Reihen der Guerilla hatte große Auswirkungen auf ihre Familie und insbesondere auf ihre Geschwister, die ebenfalls in die Berge gingen. Sie selbst ging zunächst nach Gare in Südkurdistan, wo sie eine Grundausbildung erhielt. Anschließend wechselte sie ins Qendîl-Gebirge und fokussierte sich auf den Bereich der Selbstverteidigung. Im Rahmen des revolutionären Volkskrieges hielt sie sich unter anderem in Gever (Yüksekova) auf und kämpfte ab 2012 in der Garzan-Region. Hier wirkte sie maßgeblich am Ausbau autonomer Frauenstrukturen in den Bergen mit und machte erste Erfahrungen als Team-Kommandantin. Als solche bildete sie neue Kämpferinnen und Kämpfer aus.


Als die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) 2014 über die Stadt Kobanê herfiel, zog Gulbahar Mercan an die Front gegen die Dschihadisten. Sie galt als taktische Meisterin und wirkte maßgeblich daran mit, dass der vom IS mit Unterstützung des türkischen Staates um Kobanê gezogene Belagerungsring durchbrochen werden konnte. Im Verlauf des Widerstands wurde sie ernsthaft verletzt. Kaum war ihre Verwundung geheilt, zog sie wieder in den Kampf. Erst mit der Befreiung der Stadt 2015 kehrte sie in die Berge zurück. An der Frauenakademie Şehîd Bêrîtan vertiefte sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Anschließend wechselte sie erneut nach Nordkurdistan, wo wie etwa zwei Jahre lang im Bereich des militärischen Nachrichtenwesens aktiv war.


Als die Türkei 2018 eine Invasion in Heftanîn startete, zog Gulbahar Mercan wieder an die Front und wirkte an der revolutionären Guerillaoffensive „Cenga Heftanîn“ mit. Später durchlief sie eine Kommandantinnen-Ausbildung an der Mahsum-Korkmaz-Akademie, die sie erfolgreich beendete. Bis zu ihrem Tod war sie Mitglied der Regionalkommandantur der Guerilla in Mêrdîn.

Eylem Munzur

Eylem Munzur wurde in Hezo bei Êlih (Batman) geboren. Sie wuchs in einer ländlich geprägten Gegend als Tochter einer Familie auf, für die soziale Moral, gesellschaftliche Werte und das kurdische Nationalbewusstsein von großer Wichtigkeit war. Die Grund- und Mittelschule besuchte sie in ihrem Dorf, die weiterführende Schule verließ sie jedoch nach einem Streit mit einem staatstreuen Lehrer über die männliche Ausbeutung von Frauen.


2007 migrierte die Familie von Eylem Munzur nach Istanbul in den Westen der Türkei. „Sie konnte sich jedoch weder an die Metropole noch an das Leben in der kapitalistischen Moderne gewöhnen. Hevala Eylem wusste, dass sie nicht zu dieser Welt gehörte, und hatte immerzu das Bedürfnis, dorthin zurückzukehren, wo sie herkam. Mit diesem Gefühl und Bewusstsein gelang es ihr, sich vor den Auswirkungen der kapitalistischen Moderne zu schützen, die die Menschen individualisiert, sie von moralisch-politischen Gesellschaftswerten löst und verdirbt. Sie war tief beeindruckt von den Persönlichkeiten, die sich hinter den Namen von Zeynep Kınacı und Sema Yüce verbargen, nachdem sie den Abschiedsbriefen dieser Frauen im Rahmen einer Veranstaltung gelauscht hatte. Fortan widmete sie sich der Ideologie, die Zeynep Kınacı und Sema Yüce vertraten”, schreiben die HPG.


Zwischen 2011 und 2013 war Eylem Munzur bei der „Revolutionären Jugend“ aktiv mit dem Fokus auf autonome Frauenorganisierung. Nach dieser Zeit ging sie zur Guerilla, wo sie relativ schnell Mitglied der Hêzên Taybet wurde.  Lange Jahre war sie als „Fedai“ in den Medya-Verteidigungsgebieten im Einsatz. Nach Mêrdîn wechselte sie im Jahr 2020 mit dem Anspruch, Vergeltung zu üben für die Toten des Widerstands für Selbstverwaltung (auch Städtekrieg genannt) in Nisêbîn.

Dîcle Eylem

Dîcle Eylem wurde in Amed geboren, ihre Familie stammt ursprünglich aus der Provinz Çewlîg (Bingöl). Sie wuchs in einem vom kurdischen Widerstand geprägten Umfeld auf und machte bereits als Kind Bekanntschaft mit der Realität Kurdistans und damit der Unterdrückung des Volkes durch den türkischen Staat und konterrevolutionäre Gruppen. Dem voraus ging die Ermordung ihres Großvaters durch die Hizbullah, die vor allem in den 1990ern ihr Unwesen in Nordkurdistan trieb. In unterirdischen Folterkellern ermordete und verstümmelte die vom Staat kontrollierte islamistische Todesschwadron unzählige Menschen. Seit Mai sitzen sie als HÜDA-PAR im türkischen Parlament – Dank der AKP von Recep Tayyip Erdogan.


Die extralegale Hinrichtung des Großvaters war prägend für Dîcle Eylem und ausschlaggebend für ihre Wut gegen den unterdrückerischen Staat, der seine mörderische Politik in Kurdistan mit jedem Tag vertiefte. Um diese Wut zu kanalisieren, entschied sie sich 2008, „professionelle Revolutionärin“ zu werden. Die ersten Jahre war sie bei der Jugendbewegung, wo sie sich entsprechend dem Paradigma Öcalans mit seinen Grundpfeilern Ökologie, Frauenbefreiung und radikale Demokratie an der Transformation der Gesellschaft arbeitete. 2012 fasste sie den Entschluss, in die Berge zu gehen.


Nach ihrer Grundausbildung war Dîcle Eylem zunächst bei der PAJK in Qendîl, wo sie im Bereich der Guerillapresse im Einsatz war. 2014 wechselte sie auf eigenen Wunsch hin in den militärischen Bereich. Drei Jahre lang kämpfte sie im Zagros-Gebirge und dokumentierte parallel dazu mit ihrer Kamera den Widerstand der Guerilla. 2017 zog sie zunächst an die Metîna-Front und wechselte anschließend nach Nordkurdistan. Sie wünschte sich, in Erzîrom (Erzurum) eingesetzt zu werden, ging am Ende entsprechend den Bedürfnissen der Zeit nach Mêrdîn.