Das gilt es zu verteidigen: Neue Ausstellung über die Frauenrevolution

Interview mit den Kuratorinnen der Ausstellung „Jin Jiyan Azadî – die Errungenschaften der Frauenrevolution“.

Jin Jiyan Azadî

Die anhaltenden Angriffe in Aleppo, Şehba und Efrîn markieren eine neue Phase der Angriffe auf die Menschen in Syrien. Diese Angriffe sind nicht nur als Angriffe gegen Syrien und Rojava zu verstehen, sondern gegen die Errungenschaften der Menschheit und aller freiheitsliebenden Menschen in Zeiten des Dritten Weltkriegs. Die Türkei setzt ihre völkermörderische Politik in der Region fort und versucht, die Demokratische Selbstverwaltung der Region Nord- und Ostsyriens zu beseitigen. Damit zielt der türkische Staat auf die Zerstörung der Errungenschaften der Frauenrevolution und des Aufbaus einer freien und demokratischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der Menschen verschiedener ethnischer sowie religiöser Bevölkerungsgruppen und politischer Perspektiven in Frieden zusammenleben. Die neue Ausstellung „Jin Jiyan Azadî – die Errungenschaften der Frauenrevolution“ wirft durch kurze, prägnante Texte und großformatige Fotos einen Blick auf jene Errungenschaften der Frauenrevolution in Nord- und Ostsyrien und erzählt vom Leben und Wirken der Frauen in der Region. In einem Interview mit den Kuratorinnen der Ausstellung erzählen sie über ihre Motivation, Ziele und erste Eindrücke, die die Ausstellung bei Menschen hinterließ.

Wer hat die Ausstellung erarbeitet und wie kam es zu dieser Idee?

Die Ausstellung „Jin Jiyan Azadî – die Errungenschaften der Frauenrevolution“ ist als ein gemeinschaftliches Projekt von Kongra Star (Nord- und Ostsyrien), dem Europakomitee der Stiftung der Freien Frau Syriens (WJAS) und der Kampagne Women Defend Rojava entstanden.

Ausgangspunkt für die Idee dazu war die Inspiration und hoffnungsvolle Kraft, die uns die Frauenrevolution in Nord- und Ostsyrien hier in Deutschland immer wieder gibt. Wir wollten die Errungenschaften der nun schon 12 Jahre andauernden Revolution in Rojava und die damit verbundene Energie versuchen, in Bildern und kurzen Texten einzufangen. Damit wollen wir die 12 Jahre sichtbar machen, in denen die Frauen Nord- und Ostsyriens ihr Leben selbstbestimmt in die Hand genommen haben und in ihrem Kampf für ein freies Leben viele kleine und große Schritte gegangen sind. Denn die vielen Errungenschaften und Entwicklungen gesellschaftlicher Veränderung vor Ort geben uns Inspiration darauf, was Frieden bedeutet. Sie zeigen uns, wie Menschen mit ihrer Vielfalt und ihren verschiedensten religiösen und kulturellen Hintergründen gemeinschaftlich, gleichberechtigt und friedlich zusammen leben können.

Gleichzeitig haben wir uns gefragt, wie wir die Philosophie und Kraft, die sich hinter dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ verbirgt und ihn mit Leben füllt, auch hier spürbarer machen können.

Schlussendlich hat sich aus der jahrelangen Zusammenarbeit zwischen Kongra Star, WJAS und Women Defend Rojava dann die Idee für eine Ausstellung ergeben. Zum Hintergrund dieser lässt sich folgendes sagen: Kongra Star wurde 2005 als Konföderation der Frauenorganisationen Rojavas gegründet und repräsentiert die Stimme der Frauenbewegung.

Die Stiftung der Freien Frau Syriens (WJAS) wurde 2014 aufgebaut als eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, die, basierend auf der Analyse der Situation von Frauen, soziale Projekte umsetzt. Neben Projekten in Syrien sind die Frauen auch aktiv in Deutschland und weiteren Orten Europas, um die Stiftung von hier aus zu unterstützen, ihre Grundsätze und Arbeit hier bekannter zu machen und sich mit anderen zu vernetzen.

Women Defend Rojava ist eine Kampagne, die 2019 ins Leben gerufen wurde und weltweit Aktivistinnen vereint, die die Ideen der Frauenrevolution verteidigen und verbreiten. Die Kampagne wurde in Rojava selbst gestartet zu einer Zeit, als der türkische Staat seine Drohung, Teile Nord- und Ostsyriens zu annektieren, durch eine Kriegsoffensive in die Tat umsetzte.

Warum habt Ihr die Ausstellung gemacht?

Das neue politische System in Nord- und Ostsyrien stellt für uns eine Hoffnung für Frieden auch über den Mittleren Osten hinaus dar. Es basiert auf radikal demokratischen Ansätzen, auf dessen Grundlage die Menschen über die Jahre ein basisdemokratisches Rätesystem aufbauten. Als zentrale Säulen für den Aufbau eines alternativen Lebens spielen die Befreiung der Frau und ein ökologisches Leben eine zentrale Rolle. Wir sehen darin ein Vorbild und Wegweiser für eine revolutionäre Praxis, überall dort, wo Menschen nach Freiheit und einem anderen Zusammenleben streben. Es ist eine gelebte Wirklichkeit und Prozess für Frieden. Seit den Aufständen in Ostkurdistan (Iran) nach dem Tod der Kurdin Jîna Amini 2022 verbreitet sich die „Jin Jiyan Azadî“-Philosophie, angeführt durch die Frauen, in der ganzen Welt. Mit der Ausstellung wollen wir einen Teil der Geschichte und der Realität dieser Philosophie sichtbar machen. Wir zeigen, wie sich „Jin Jiyan Azadî“ in einen lebendigen und tagtäglichen Kampf für Veränderung, Frieden und ein freies Leben entwickelt hat und heute in Nord- und Ostsyrien trotz aller Widrigkeiten in die Praxis umgesetzt wird. Mit der autonomen Organisation von Frauen wurden Strukturen wie Einrichtungen, Verbände, Akademien und vieles mehr geschaffen, welche die Errungenschaften der Revolution auf eine breitere Basis stellen, Frauen ermöglichen eine eigene Stärke zu entwickeln und aus der Mentalität des patriarchalen Systems herauszukommen.

Die Ausstellung soll die bis hierhin gemachten Schritte im Wandel des Lebens der Frauen vor Ort zeigen und ihre Arbeit in allen Lebensbereichen sichtbar machen. Gleichzeitig wollen wir auch sichtbar machen, was angegriffen wird, wenn wir wieder einmal von Angriffen auf die Gebiete Nord- und Ostsyriens / Rojavas hören. Denn bis heute finden fast täglich Angriffe auf die Region der Demokratischen Selbstverwaltung statt. Dabei werden insbesondere politisch aktive Frauen der Frauenbewegung und der Selbstverwaltungsstrukturen gezielt durch Drohnenangriffe ermordet und vor allem Selbstverteidigungsstrukturen sowie zivile Infrastruktur bombardiert. Damit sollen auch die Mühen und Errungenschaften der Frauenrevolution vernichtet werden, die sich erkämpft wurden und das Leben der Frauen in Nord- und Ostsyrien grundlegend verändert haben. In Zeiten von weltweiten Kriegen und Krisen wollen wir einen Blick darauf richten, wie wir eine bessere Welt möglich machen können und dabei von weltweiten Kämpfen lernen.

Was wollt Ihr mit Eurer Ausstellung anstoßen? Welche Ziele verfolgt Ihr damit?

Die Ausstellung soll die bis hierhin erreichten Schritte im Wandel des Lebens der Frauen in Nord- und Ostsyrien zeigen. Wir wollen ein Interesse bei den Menschen wecken und sie dazu einladen, gemeinsam über gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren. Gerade in Anbetracht der aktuellen Krisen, Kriege und tagtäglichen Gewalt weltweit wollen wir Räume schaffen, um voneinander zu lernen, weiterzudenken und gemeinsam Alternativen in die Praxis umzusetzen. Uns ist es wichtig, die Errungenschaften der Frauenrevolution bekannter zu machen und neue Verbindungen wachsen zu lassen. Auch in Zukunft wird es darauf ankommen, zusammenzustehen, zu diskutieren und gemeinsam eine Idee für ein freies Leben zu bekommen und es zu verteidigen.

Wir möchten auch dazu einladen, die Ausstellung vielfach zu präsentieren, sie zu nutzen, um z.B. eine Veranstaltungswoche zu den Themen der Ausstellung zu organisieren oder sie bei Dorf- sowie Stadtteilfesten, bei politischen Aktionswochen oder Konferenzen zu zeigen. Durch ihre zugänglichen Texte und aussagekräftigen Bilder ist sie wunderbar geeignet, um die Frauenrevolution in ihren vielen Farben und mit ihrer Philosophie kennenzulernen und darüber in einen gemeinsamen Austausch zu kommen.

Was zeigt die Ausstellung?

Die Ausstellung wirft einen Blick auf 13 verschiedene Lebensbereiche, in denen die Frauen der Region ihre selbstverwalteten Strukturen aufgebaut haben. Unter den Schlagwörtern Organisierung, Selbstverteidigung, Basisdemokratie, Frauenökonomie, Frauenmedien, Bildung & Wissenschaft, Einheit in Vielfalt, Gerechtigkeit, Gesundheit, Kunst & Kultur, Ökologie und Jinwar werden die vielfältigen Frauenverbände, -räte, -verteidigungseinheiten, -akademien und Organisationen wie WJAS oder SARA vorgestellt. Auf 26 großformatigen Stoffbannern wird durch kurze einleitende Texte, Zitate und großformatige Bilder vom Wirken und Leben der Frauen erzählt. Die 26 Stoffbanner haben ein Maß von 75 × 200 cm und können sowohl an der Wand als im Raum von der Decke hängend aufgehängt werden. Sie sind wetterfest und können daher auch für OpenAir-Veranstaltungen genutzt werden. Begleitend zu der Ausstellung stehen die Ausstellungstexte auch als Audio zum Anhören in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung. Weitere Übersetzungen und Audioaufnahmen sind für die Zukunft geplant.

Die Ausstellung wurde bisher schon im Rahmen der Frauenkonferenz für Frieden in Berlin und anlässlich der Feier zum 10. Welt-Kobanê-Tag in Frankfurt am Main gezeigt. Was für Eindrücke hat die Ausstellung bei den Menschen hinterlassen?

Wir haben bisher viele begeisterte Rückmeldungen zu der Ausstellung bekommen. Im Anschluss an die Frauenkonferenz für Frieden Anfang Oktober schrieb uns eine Frau, die bei ihrem Besuch die Ausstellung gesehen hatte: „In den Fotos wird die ganze Kraft und Schönheit spürbar, die die Frauenbefreiung in Nord- und Ostsyrien freisetzt. Die Kreativität, Energie und Freude der Frauen sind ansteckend und ermutigend – unbedingt anschauen!“

Aus Frankfurt am Main wurde uns von einem großen Interesse bei den Besucher:innen für die Ausstellung berichtet. Viele von ihnen hätten sich Zeit genommen, Tafel für Tafel intensiv anzusehen. Die Reaktion sei durchgehend: beeindruckend und begeisternd gewesen. Eine Frau erzählte uns: „Die großformatigen Fotos fangen auf wunderbare Weise die Stärke und Vielfalt der Frauen Nordostsyriens ein. Davor stehend spürt frau die Energie, die dieser Aufbruch in eine neue Gesellschaft ausgelöst hat. Zu 13 Schlagworten kommen die Akteurinnen selbst zu Wort, Grundsätzliches wird kurz und prägnant erklärt und macht dann auch neugierig auf mehr.“

Wir hoffen, dass die Ausstellung noch viele weitere Menschen begeistern und inspirieren wird. Sie kann unter folgender E-Mail-Adresse angefragt werden: [email protected]