„Sara, Rojbîn, Ronahî – Jin, Jiyan, Azadî!“
Das Kurdische Frauenbüro für Frieden – Cênî erinnert zum 12. Jahrestag der Morde in Paris an das Erbe der ermordeten Revolutionärin Sakine Cansız mit deren eigenen Worten: „Wir sind etwas, das ihr nicht töten könnt. Wir sind Hoffnung.“ Die Frauen sehen in der feminizidialen Vorgehensweise des türkischen Staates dessen globale Strategie gegen das kurdische Volk. In der Erklärung heißt es:
„Am 09. Januar 2013 ermordete der türkische Geheimdienst MIT gezielt die Revolutionär:innen Sara, Rojbîn und Ronahî und verübte somit einen dreifachen staatlichen Feminizid mitten in Europa. Der türkische Staat führt einen speziellen Krieg gegen revolutionäre Frauen, die entschlossen gegen das Patriarchat und den Kapitalismus kämpfen. Durch diesen Feminizid wurden nicht nur die Errungenschaften und Erfolge der kurdischen Frauenbewegung angegriffen, sondern die gesamte kurdische Gesellschaft sowie alle kämpfenden Frauen der Welt mit dem Ziel, ihren Widerstand auszulöschen. Doch auch nach zwölf Jahren dieser kaltblütigen Ermordung gedenken, erinnern und kämpfen wir noch immer für unsere Freundinnen und alle Frauen weltweit.
Türkische Interessen in Europa und Rojava
Nach den geplanten Morden in Paris war der türkische Staat sehr bedacht darin seine Strukturen des tiefen Staates sowie die Verbindungen und Zusammenarbeiten der internationalen Geheimdienste zu verschleiern. Wegen des mysteriösen Tods des Täters, hat es letztlich noch immer keinen Prozess gegen die Verantwortlichen gegeben. Stattdessen erleben Kurdinnen und Kurden sowohl in Nordkurdistan als auch in Europa immer härter, was diese internationale Zusammenarbeit für sie bedeutet: Haft und Folter in der Türkei sowie Repressionen, Kriminalisierung und Fortführung der faschistisch-genozidialen Vernichtungsideologie des türkischen Staates in Europa. Auch am 23. Dezember 2022 kam es in Paris zu einem zweiten Massaker. Dabei wurden die Frauenrevolutionärin Evîn Goyî, Abdurrahman Kızıl und der Künstler Mîr Perwer vor dem Kurdischen Kulturzentrum Ahmet Kaya in Paris getötet.
Doch nicht nur in Europa hat der türkische Staat mit der Ermordung kurdischer Revolutionär:innen und der Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung seine Finger im Spiel. Der seit Jahren andauernde und sich aktuell zuspitzende Angriffskrieg gegen Rojava und Nord- und Ostsyrien ist ein weiteres Beispiel für den Versuch der Türkei, die kurdische Freiheitsbewegung, insbesondere den Befreiungskampf der Frauen, mit allen möglichen Mitteln zu brechen. Seit Jahren verfolgt die Türkei als Ziel nicht nur die Zerstörung der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, sondern auch eine demografische Veränderung der Region. Durch Drohnenangriffe, die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung sowie gezielte Angriffe auf Führungspersonen, Besatzung und Ansiedlung ihrer Söldnertruppen führt die Türkei ethnische Säuberungen und Feminizide in der Region durch. Seit dem Fall Assads und der Machtübernahme dschihadistischer Milizen am 08. Dezember 2024 erreichen uns nun fast täglich Nachrichten von ermordeten Zivilist:innen und Revolutionär:innen aus Rojava und weiteren Teilen Syriens.
Staatlicher Feminizid als Kriegswaffe – in Rojava und Europa
Die Angriffskriege in Rojava, die Militäroperationen des türkischen Staates und auch die Morde in Paris haben eines gemeinsam: sie richten sich speziell an führende Figuren der kurdischen Frauenbewegung. Gerade Sara (Sakine Cansız) war mit ihrer Entschlossenheit und ihrem Mut eine Schlüsselfigur, die den Weg des Widerstandskampfes der Frauen in Kurdistan und Europa ebnete und noch heute beeinflusst: „Wir sind etwas, das ihr nicht töten könnt. Wir sind Hoffnung.“ Diese Definition der Frauenrevolution von Rojava ist ebenfalls das Erbe von Sakine Cansız. Ihre Analysen, ihre Kompromisslosigkeit sowie die Liebe und der Respekt für ihre Genossinnen prägen noch immer den Kampf kurdischer Frauen und ihre Ideologie. Der verübte Feminizid an ihr gilt als Versuch, ihren andauernden Einfluss und den Kampfgeist kurdischer Frauen zu brechen.
Wie in allen Kriegs- und Konfliktregionen sind auch Frauen in Rojava täglich mit Gewalt konfrontiert. Feminizide und geschlechtsspezifische Gewalt sind eine der wichtigsten Säulen der Handlungsstrategie und dienen als Kriegswaffe in der Region. Zuletzt ermordeten der türkische Staat und seine Söldnertruppen die Journalistin Cîhan Bilgin und drei Mitglieder der Frauenorganisation Zenobiya. Allen Feminiziden zum Trotz leisten die Frauen in Rojava und Nord- und Ostsyrien, ganz im Sinne unserer Freundinnen Sara, Rojbîn und Ronahî, einen unerbittlichen Widerstand.
Selbstverteidigung und Organisierung für die Befreiung der Frau
Hinter diesen gezielten Feminiziden und Angriffen steckt die gleiche patriarchale Mentalität, die untrennbar mit den Interessen imperialer Großmächte in der Region verbunden ist. Der türkische Staat will demnach nicht nur in Rojava, sondern auch in Europa den Willen und Widerstand der kurdischen Bevölkerung, insbesondere kurdischer revolutionärer Frauen, zerschlagen. Die aktuellen Krisen und Kriege zeigen uns einmal mehr, dass wir uns als Frauen entschlossener denn je organisieren und Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen müssen. Unser Kampf gegen Kapitalismus und das Patriarchat muss international sein, damit alle in Frieden leben können. Sakine Cansız (Sara), Leyla Şaylemez (Ronahî) und Fidan Doğan (Rojbîn) waren nicht nur Vorreiterinnen und Aktivistinnen des kurdischen Frauenbefreiungskampfes, sie verkörperten in ihrer revolutionären Arbeit und ihrer Entschlossenheit alles, wofür „Jin, Jiyan, Azadî“ steht. Sie ebneten den Weg der uns zeigte, dass es ohne die Befreiung der Frau kein freies Leben geben kann. Es ist an der Zeit, diesen Weg weiterzuführen und den Kampf, den sie uns vorlegten, fortzuführen. Sara, Rojbîn, Ronahî – Jin, Jiyan, Azadî!“