„Bundesregierung negiert Feminizide in Deutschland“

Während viele andere Länder Frauenmorde als patriarchale Gewalt einordnen und erfassen, weigert sich die Bundesregierung Morde an Frauen als „Feminizid“ einzuordnen und verharmlost patriarchalen Terror als Einzelfälle.

Durchschnittlich jeden dritten Tag bringt in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin um. 123 Frauen sind im letzten Jahr durch ihren Ehemann, Lebensgefährten oder ehemaligen Partner in Deutschland getötet worden. Die Zahl dieser Frauenmorde ist kontinuierlich hoch und weist auf ein massives Problem mit patriarchaler Gewalt in der bundesdeutschen Gesellschaft hin. Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, erklärt dazu: „Morde an Frauen sind der gravierendste Ausdruck struktureller Ungleichheit von Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern." In Ländern, in denen nicht ohne Grund dem Thema seit vielen Jahren schon mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird – zum Beispiel in Lateinamerika, Kurdistan oder in Spanien – gibt es daher für die Morde an Frauen einen eigenen Begriff: Feminizid.

Ein Feminizid ist nach Definition der Weltgesundheitsorganisation der Mord an Frauen, weil sie Frauen sind. Andere Definitionen fassen den Begriff enger. Die Anerkennung der Tatsache, dass Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, führt in einzelnen Ländern zu besseren Präventionskampagnen und zur Erfassung der gesellschaftspolitischen Dimension dieser Form von Hassverbrechen. Die Abgeordnete wollte die Haltung der Bundesregierung zum Feminizid erfahren und stellte zwei Kleine Anfragen zur Situation in Deutschland.

Hassverbrechen an Frauen nicht erfasst

Aus den Kleinen Anfragen der Abgeordneten Möhring geht jedoch hervor, dass sich die Bundesregierung weigert, den Begriff „Feminizid“ zu definieren und daher über keine Erkenntnisse in Deutschland verfügt. Die Fragestellerin erklärt dazu: „Die Bundesregierung brüstet sich momentan im UN-Sicherheitsrat damit, Gewalt an Frauen bekämpfen zu wollen. Damit sollten sie in Deutschland anfangen: Wir brauchen viel mehr Erkenntnisse darüber, warum Frauen – innerhalb und außerhalb von Partnerschaften – getötet werden, damit wir diese Frauenmorde gezielt bekämpfen können.“

Bereits in der ersten Anfrage zu Feminiziden (19/4059) konnte die Bundesregierung die Frage, ob Feminizide in Deutschland vorkommen, nicht beantworten, da sie selbst über keine Definition des Phänomens verfügt. Die Definition der WHO „macht sie sich nicht zu eigen“. Sie weigert sich, Hassverbrechen an Frauen als solche zu erfassen.

Ohne Definition des Phänomens „Feminizid“ können diese Verbrechen nicht erfasst werden und auch auf die Frage, ob Frauen in Deutschland getötet worden sind, weil sie eine Frau sind, kann die Bundesregierung nicht antworten. Dies zeigen die Antworten auf die Kleinen Anfragen 19/9695 und 19/4059. So kann sie „keine Aussage“ darüber treffen, ob sich unter den Tötungsdelikten durch einen (Ex-)Partner Feminizide befinden, denn die „Tatmotivation“ werde in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst. Das gleiche gilt für Tötungsdelikte außerhalb von Partnerschaften, die in der ersten Anfrage abgefragt wurden. Auch für diese Fälle konnte die Bundesregierung keine Aussage darüber treffen, ob sich unter den Fällen Feminizide befunden haben, da die Tatmotivation in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst werde.

Bundesregierung kommt ihrer Verpflichtung entsprechend der Istanbul-Konvention nicht nach

Die Bundesregierung zeigt keine Motivation, diese Wissenslücken zu schließen und die Erfassung der Tatmotivation in die polizeiliche Kriminalstatistik aufzunehmen. Die Verpflichtung aus Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b der Istanbul-Konvention, geschlechtsspezifische Gewalt auf ihre „eigentlichen Ursachen und Auswirkungen, Vorkommen und Aburteilungsquote“ zu untersuchen, versteht sie nicht als Auftrag zur Erfassung der Tatmotivation in der Kriminalstatistik, sondern als einen Forschungsauftrag. Doch obwohl sie die Verpflichtung als ein Forschungsauftrag ansieht, verfügt die Bundesregierung über „keine Kenntnis von unabhängigen Monitoring-Stellen zur Erhebung von geschlechtsspezifischen Tötungen“ und verweist auch auf keine diesbezüglichen Vorhaben. Möhring hierzu: „Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung nicht dazu in der Lage ist, sich internationalen Definitionen von Femniiziden anzuschließen oder eine eigene Definition zu finden. Damit negiert sie die Tatsache, dass es Feminizide gibt.“

Feminizid wird nur außenpolitisch verwendet

Es ist verwunderlich, dass die Bundesregierung sich auf nationaler Ebene der Definition, Forschung und Erfassung von Feminiziden verweigert, sich auf internationaler Ebene aber als Geldgeber für Projekte zu Feminiziden engagiert. Sie unterstützt mit 45 Millionen Euro die Initiative „Spotlight“ der Europäischen Union und der Vereinten Nationen zur Beseitigung und Prävention von Feminiziden in Lateinamerika, auch wenn sie deren Definition von Feminiziden scheinbar nicht teilt. Cornelia Möhring schließt mit den Worten: „Die Bundesregierung täte gut daran, die Istanbul-Konvention vollumfänglich umzusetzen, damit sie kein Papiertiger wird. Dazu gehört unbedingt mehr Forschung und Datenerhebung zu Gewalt an Frauen.“

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen kann unter folgenden Links abgerufen werden:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/096/1909695.pdf

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/040/1904059.pdf