Die kurdische Politikerin Aysel Doğan ist ihre letzte Reise angetreten. Hunderte Freundinnen und Weggefährten, Angehörige und Persönlichkeiten der kurdischen Politik und Kunstszene kamen am Freitag in Bergisch Gladbach bei Köln zusammen, um Doğan die Ehre zu erweisen. Die Politikerin ist am Mittwoch einer langjährigen Krebserkrankung erlegen. Sie wurde in ihre Geburtsstadt Dersim verabschiedet, wo sie in den nächsten Tagen beigesetzt werden woll.
An der von der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) ausgerichteten Trauerfeier für Aysel Doğan beteiligten sich auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen. Den Sarg mit ihr trugen Frauen auf ihren Schultern in den Saal. An der Spitze befand sich Doğans Nichte Pınar Mansuroğlu. In einer bewegenden Rede beschrieb sie ihre Tante als widerständige Frau, deren gesamtes Leben vom Kampf gegen Unterdrückung und für das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes geprägt war. „Aysel Doğan setzte sich zeit ihres Lebens für diejenigen ein, denen Unrecht widerfahren ist. Sie wird gemäß ihren Wünschen beerdigt: Ungewaschen, so wie die Guerilla in den Bergen; eingewickelt in ein weißes Tuch der ezidischen Frauen, bedeckt mit einem Blumenschal aus Rojava.“
Die kurdische Aktivistin Zozan Serhat sprach ebenfalls einige Worte. „Hevala Aysel war stets bemüht, den Befreiungskampf des kurdischen Volkes auszuweiten. Ihre Utopie war es, alle Menschen im viergeteilten Kurdistan zu erreichen und für den Widerstand zu gewinnen. Sie wurde von dem Gedanken geleitet: ‚Wir müssen noch mehr arbeiten. Wenn der Feind noch immer im Stande ist, Massaker in Kurdistan zu verüben, liegt dies an unserem Ungenügen‘. Dies waren ihre Worte, die sie immer zu wiederholte. Sie war fest davon überzeugt, dass der kurdische Widerstand als Siegerin aus unserem Kampf hervorgehen wird. Als ihre Weggefährtinnen begreifen wir Aysels Hingabe für den Widerstand als Erbe. Wir versprechen, ihre Ideale zu verwirklichen.“
Während der Trauerzeremonie war immer wieder das schrille Trillern kurdischer Frauen zu hören. Trauergäste traten nach vorne und küssten den Sarg. Auch der Leitspruch der kurdischen Frauenbewegung „Jin Jiyan Azadî“ (Frauen Leben Freiheit) hallte durch den Saal. Zum Ende der Zusammenkunft wurde eine Erklärung der „Partei der freien Frau in Kurdistan“ (Partiya Azadiya Jinê ya Kurdistanê, PAJK) verlesen, in der Aysel Doğans Engagement für die Befreiung der Frau gewürdigt wurde. Daran anschließend wurde der Leichnam der Politikerin auf den Weg Richtung Flughafen gebracht.
Wer war Aysel Doğan?
Aysel Doğan ist 1953 in Dersim geboren und engagierte sich in ihrer Jugend für die verfassungsrechtliche Anerkennung der kurdischen Identität. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lehrerin. Zur Zeit des Militärputsches von 1980 wurde sie diverse Male festgenommen und gefoltert. Sie war jahrelang ohne Gerichtsverhandlung inhaftiert. Insgesamt verbrachte sie siebzehn Jahre im Gefängnis.
1991 kandidierte Aysel Doğan als unabhängige Politikerin in Dersim für einen Sitz im türkischen Parlament. Obwohl sie die meisten Stimmen in der Region erhielt, scheiterte ihr Werdegang als Abgeordnete am Wahlgesetz. Aufgrund ihrer Aktivitäten in Dersim geriet sie ins Visier des JITEM und bekam Morddrohungen. Daraufhin verließ sie die Türkei und ging nach Deutschland, wo sie sich weiter politisch im kurdischen Befreiungskampf engagierte.
1999 reiste Aysel Doğan im Zuge des von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali angeregten Prozesses für den Beginn von Friedensverhandlungen als Mitglied der Friedensgruppe aus Europa in die Türkei. Bei der Einreise wurde sie verhaftet und zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach ihrer Entlassung 2009 kehrte sie nach Dersim zurück und gründete dort eine alevitische Akademie. Der Verein setzte sich mit Glaubensfragen und der alevitischen Kultur auseinander und unternahm vielfältige Aktivitäten für den Erhalt des Ökosystems und der heiligen Stätten in Dersim.
2011 wurde Aysel Doğan im Rahmen der „KCK-Operationen“ erneut verhaftet und zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. 2012 nahm sie an einem Massenhungerstreik gegen die Isolation von Abdullah Öcalan teil. 2014 wurde ihr Verfahren neu aufgerollt und 2015 wurde sie aufgrund ihrer fortschreitenden Krebserkrankung aus dem Gefängnis in Amed freigelassen. Sie ging zurück nach Dersim und setzte ihre dortige Arbeit bis zur Ausreise nach Deutschland fort.