Die kurdischen Studierendenverbände YXK und JXK fordern angesichts des drohenden Angriffskrieges der Türkei gegen die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien die Öffentlichkeit auf, die Errungenschaften der Revolution gemeinsam zu verteidigen und somit an ihr teilzuhaben. In einer aktuellen Stellungnahme heißt es:
„Seit im Dezember letzten Jahres US-Präsident Donald Trump den geplanten Abzug von amerikanischen Truppen aus Nord- und Ostsyrien verkündete, nutzt Erdogan jede Gelegenheit mit einem militärischen Angriff auf die selbstverwalteten Gebiete zu drohen. Nun ordnete Trump nach einem Telefongespräch mit Erdogan einen vollständigen Abzug der US-Soldaten aus der Region an und sprach von der Möglichkeit, dem türkischen Staat die Verantwortung für die gefangenen IS-Dschihadisten zu übertragen. Mit dem Rückzug untermauern die USA erneut ihre klare Position zu den Invasionsdrohungen der Türkei und stellen sich an die Seite Erdogans, der die Friedensbestrebungen im Nahen und Mittleren Osten mit aller Kraft zu verhindern versucht.
Bisher gelang es der Selbstverwaltung von Rojava, eine Invasion durch das geschickte Nutzen der eigenen Stärke auf dem internationalen Parkett abzuwenden und somit die Drohungen Erdogans ins Leere laufen zu lassen. Dennoch wurde die Drohung der Türkei stets ernst genommen und gerade die aktuellen Ansagen des türkischen Diktators sind konkreter als je zuvor. Nach einem Telefonat mit Donald Trump kündigte Erdogan vor seiner AKP an „heute, vielleicht morgen” eine Luft- und Bodenoffensive im Norden Syriens zu beginnen. Eine Offensive, die wie auch in Efrîn wieder mit deutschen Waffen geführt wird und aus der Firmen wie Rheinmetall, Mercedes, Thyssen Krupp, Heckler und Koch und viele andere ihre Profite ziehen werden. Verantwortlich macht sich für diese kriegerische Eskalation daher nicht nur der Hauptakteur Türkei, sondern gleichzeitig auch die USA, sowie der treueste Kriegspartner der Türkei - Deutschland. Damit ist Deutschland nicht nur erneuter Unterstützer eines bevorstehenden völkerrechtswidrigen Krieges, sondern eine klar positionierte Kriegspartei in diesem Konflikt.
Was geschah 2018 in Efrin?
Mit europäischer Unterstützung startete das türkische Militär Ende Januar 2018 Luftangriffe, Chemiewaffenangriffe und Bombardements auf den kurdischen Kanton Efrin in Rojava.
Hunderte Menschen wurden bei den Anschlägen der Türkei und ihren islamistischen Partnern auf Efrin getötet. Hunderte von ihnen wurden verletzt, über 200.000 wurden vertrieben und flüchteten in benachbarte Städte. Mittlerweile wird Efrin seit mehr als einem Jahr von türkischen Soldaten und verbündeten islamistischen Milizen von der sogenannten FSA, al-Qaida und des IS belagert. Ein Großteil der kurdischen Bevölkerung ist vertrieben, Verbliebenen wird der Scharia-Alltag unter türkischen Fahnen aufgezwungen. Vergewaltigung, Vertreibung, Verschleppung, Misshandlung, Plünderung, Zerstörung: Efrin wurde zum Schauplatz von bestialischen Kriegsverbrechen. Die Türkei stieß dabei auf den Widerstand der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), denen auch die kurdischen Volksverteidigunseinheiten YPG und YPJ angehören.
Einzig und allein waren es auch diesmal die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten, die mit unendlicher Opferbereitschaft einen erbitterten und heldenhaften Widerstand führten und für die Sicherheit der Zivilbevölkerung, die Befreiung der Stadt und die Verdrängung der Besatzer kämpften. Etliche von ihnen ließen bei der Verteidigung von Efrin ihr Leben. Nach drei Monaten evakuierten die YPG gemeinsam mit der Selbstverwaltung die Zivilbevölkerung, da Russland der Türkei letzlich die Lufträume über der Region überlassen hatte und der Türkei damit ermöglichte, weitere Bomben über Efrin regnen zu lassen.
Efrin, ein Ort, der jahrelang einen Pfeiler der Rojava-Revolution bildete und in der Vergangenheit weitgehend vom Krieg verschont blieb, wurde nach den Angriffen und monatelangen Gefechten zwischen den kurdischen Verteidigungskräften und den faschistischen Besatzern der Türkei zum Zentrum eines Krieges.
Als Anlass des Angriffskrieges hatte die türkische Regierung unter dem Befehl Erdogans anfangs die „Säuberung vor Terroristen“ verkündet.
Doch das Ziel waren nicht nur die Stellungen der YPG/YPJ, sondern die Vernichtung und Zwangsassimilierung der angestammten Bevölkerung, um kurdische Gebiete vollständig zu entvölkern und der türkischen Landkarte angliedern zu können. Nun sitzt das türkische Militär im Zentrum von Efrin, seine Milizen ziehen raubend, vergewaltigend und mordend durch den Kanton und das Umland. Die Verteidigungskräfte Rojavas befinden sich aber dennoch im umkämpften Efrin und melden regelmäßige Erfolge gegen die islamistischen Besatzer.
Unvergessen bleibt, dass deutsche Unternehmen in Efrin Kriegspartei sind und Teil eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges waren. Damals wie heute stellt die BRD ihre schmutzigen Deals mit dem faschistischen AKP-Regime deutlich unter Beweis: Selbst nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Rojava hat die Bundesregierung Rüstungslieferungen in Millionenhöhe an den Terrorpartner Türkei genehmigt. Neben Waffen wie Gewehren, Panzern, Mörsergranaten oder Raketen, wurden der Türkei auch Militärfahrzeuge und andere Rüstungsgüter zur Verfügung gestellt.
Und hierbei muss allen klar sein, dass dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg und die zivilen Massaker nur durch die tatkräftige deutsche Unterstützung Realität werden konnten.
Vor allem bei der politischen Wegbereitung ermutigten die SPD und die CDU Erdogan wie auch dieses Mal zu einer kriegerischen Eskalation.
Diese Entwicklungen bestätigen die Perspektive von Abdullah Öcalan, der in Gesprächen mit seinen Anwält*innen im Frühjahr klar aussprach, dass es zwei Möglichkeiten des Handelns der Türkei gäbe. Die erste Möglichkeit wäre gewesen, Friedensgespräche mit Öcalan einzugehen. Dies aber würde eine dementsprechende Haltung der Türkei und den beteiligen Nationalstaaten voraussetzen. Nun zeigt sich aber wiederholt, dass die Türkei wie altbekannt auf Krieg setzt. Hierbei handelt es sich um die zweite Möglichkeit, die Abdullah Öcalan aussprach.
Zwei Tage nachdem der deutsche Innenminister Horst Seehofer bei seinem Türkeibesuch „nichts an der Arbeit der Türkei zu kritisieren” hatte und US-Präsident Trump versprach, seine Truppen aus dem Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei abzuziehen, sieht Erdogan die Zeit für seine neo-osmanischen Träume gekommen. In diesen Plänen sieht er für ihn das einzige Mittel, seine innenpolitische Stellung zu verbessern, während seine AKP zu Millionen an Mitgliedern verliert und die Türkei wirtschaftlich vor dem Ruin steht.
Egal, was sich der türkische Präsident Erdogan ausmalt, die Realität einer solchen Invasion bedeutet neben einem drohenden Genozid und der Vertreibung von Millionen Menschen aus ihrer Heimat auch weiteres Chaos in Syrien für eine unabsehbare Zeit. 12.000 IS-Kämpfer, 70.000 ihrer radikalisierten Angehörigen, sowie eine Dunkelziffer an Schläferzellen, die momentan unter der Kontrolle der Kräfte der YPG und YPJ und ihren lokalen Verbündeten stehen oder bekämpft werden, würden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von der Türkei freigelassen. Dies würde dem IS eine Möglichkeit zur Reorganisierung geben und damit die erneute Gefahr für die gesamte Weltbevölkerung bedeuten.
Jede Kraft, die über die Gebiete Rojavas herrschen möchte, muss diese Gefahr kontrollieren, obwohl die vergangenen fünf Jahre bewiesen haben, dass lediglich die YPG und YPJ den Willen und die Kraft besitzen, den IS erfolgreich zu bekämpfen. Denn die Haltung der allgemeinen internationalen Staatengemeinschaft zu diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Rojava schwankt auch diesmal zwischen passiver Tatenlosigkeit und aktiver Unterstützung für den blutigen Kriegszug der Türkei. Nicht in Sicht: ein Dank für die kurdischen Kräfte, die einen hohen Blutzoll dafür zahlten, um eine der größten gegenwärtigen Gefahren für die gesamte Welt - den IS- niederzuschlagen. Über 11.000 Kämpfer*innen ließen im Kampf gegen die reichste Terrororganisation ihr Leben - der Dank dafür: Ignoranz, Schweigen, aktive Kriegsunterstützung.
Was sind Erdogans Ziele?
Dem Erdogan-Regime ist das Gesellschaftsmodell in Rojava schon länger ein Dorn im Auge: Zum einen, weil es die Errungenschaften der kurdischen Bevölkerung repräsentiert und die kurdenfeindliche Grundhaltung der Türkei diese Errungenschaften mit allen Mitteln bekämpfen will. Zum weiteren, weil Rojava mehrheitlich kurdisch bevölkert ist. Die Region wird nach den Prinzipien der Demokratischen Autonomie und den Ideen Abdullah Öcalans basisdemokratisch verwaltet und die Frauenbefreiung und ein ökologisches Bewusstsein gehören zu den Grundprinzipien dieses Verwaltungsmodells. Um die Etablierung dieses Gesellschaftsmodells zu unterbinden, ist der Türkei jegliches Mittel recht.
Zur Vorbereitung der Kriegsoffensive spielt die türkische Regierung nun wieder mit nationalistischen Gefühlen der eigenen Bevölkerung. Dafür tourt Erdogan erneut über die Bühnen des Landes und erzeugt unter der Zivilbevölkerung durch regelmäßige Drohungen gegen Rojava eine hetzerische Stimmung gemäß „Die Befreiung der Türkei liegt in der Besatzung Rojavas“. Im Schlepptau zieht Erdogan beispielweise auch Fußballclubs wie „Trabzonspor” hinter sich her, welche sich mit öffentlichen Statements über die sozialen Medien mit dem „bevorstehenden Erfolg“ ihrer vergewaltigenden und mordenden Soldaten schmücken.
Doch ein Angriff auf Rojava bedeutet ein Angriff auf Millionen von Menschen, die bereit sind, sich mit allen Mitteln gegen jede Invasion zu stellen und bis zum Ende erbitterten Widerstand zu leisten. Erdogans Großmachtphantasien können also schnell zu seinem selbstgeschaufelten Grab werden. Westliche Staaten, die bisher einen langsamen Zermürbungskrieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung vorzogen, scheinen die Selbstvernichtung Erdogans gut vorherzusehen und üben über breite Medienkanäle zum ersten Mal Kritik an seinem Vorgehen.
An dieser Stelle dürfen wir aber nicht vergessen, dass genau diese Kritiker*innen bisher jede Abscheulichkeit Erdogans billigten und unterstützten, sei es die Zwangsabsetzung kurdischer Bürgermeister*innen, die Zusammenarbeit mit islamistischen Banden wie dem IS oder der genozidialen Besetzung von Efrin in Begleitung von deutschen Leopard-2-Panzern. Jede Errungenschaft, die in sieben Jahren Revolution erreicht wurde und die Stabilität und Freiheit in Rojava, sind einzig und allein durch die Kraft der Menschen vor Ort und den furchtlosen Widerstand von Tausenden Gefallenen in den Reihen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten entstanden
Rojava ist somit zu einem Symbol der Hoffnung für Millionen Menschen geworden. Die Dialektik zwischen der Verteidigung Rojavas und dem Eintreten für universelle Werte der Menschheit verleiht dem Kampf sowohl einen globalen als auch symbolischen Charakter. Millionen Menschen auf der ganzen Welt erkannten, dass in Rojava auch ihre Werte und Ideen verteidigt werden und solidarisierten sich mit der basisdemokratischen Alternative.
Doch nun befindet sich Rojava in akuter Gefahr. Alle Verteidigungskräfte sowie die Bevölkerung stehen zur Verteidigung bereit und verkünden, Rojava um jeden Preis zu verteidigen.
Als Verband der Studierenden aus Kurdistan und den Studierenden Frauen aus Kurdistan rufen wir daher die gesamte Öffentlichkeit dazu auf, die Errungenschaften der Rojava-Revolution gemeinsam – auch hier in Europa zu verteidigen und an der Revolution teilzuhaben. Die wichtigste Schlussfolgerung für die Zukunft ist, dass der Kampf in Rojava Teil des weltweit organisierten internationalen revolutionären Prozesses wird! Denn nur die internationale Revolution wird Freiheit von Ausbeutung, Faschismus und Unterdrückung, die Befreiung der Frau und die Einheit von Mensch und Natur nachhaltig gewährleisten können!
Lasst uns zahlreich an den Protesten gegen die türkischen Besatzungspläne und der deutschen Kriegsunterstützung teilnehmen. TagX steht unmittelbar bevor!
Lasst uns gemeinsam Widerstand gegen die faschistische Besatzungspolitik leisten und uns als Teil dieser Revolution begreifen. Die Errungenschaften der Rojava-Revolution sind auch unsere Errungenschaften!
Kein Schweigen zu einem zweiten Efrîn und Kobanê! Für ein freies Leben – für die Alternative!
Überall ist Rojava, überall ist Widerstand!
Hoch die internationale Solidarität!
Bijî berxwedana Rojava – Lang lebe der Widerstand in Rojava!”