Der am 10. September 2020 in München verhaftete kurdische Aktivist Yilmaz Acil ist am Dienstag aus der Untersuchungshaft der Justizvollzugsanstalt (JVA) im bayerischen Augsburg-Gablingen entlassen worden. Dem im vergangenen August ausgestellten Haftbefehl der Staatsanwaltschaft München zufolge sei der Augsburger Kurde aus Amed (tr. Diyarbakır) „Frontarbeiter der PKK“ gewesen. Gestützt wird diese Erkenntnis durch eine akribische Auflistung von 37 Einzelereignissen, die als „Terrorismus unterstützende Aktivitäten“ gewertet werden. Dabei ging es unter anderem um das Besorgen von Blumenschmuck und die Beseitigung von Müll bei einer Trauerfeier, die Anwesenheit bei Gedenkveranstaltungen anlässlich des Dersim-Massakers oder für den kurdischen Freiheitskämpfer Seyit Riza sowie die Teilnahme an Demonstrationen, Busfahrten und Veranstaltungen. Repressionsinstrument für die Justiz ist der §§129a/b StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland), mit der kurdische Aktivist*innen regelmäßig kriminalisiert werden.
Bis heute keine Anklageschrift
Die Untersuchungshaft von Acil dauerte mehr als sieben Monate. Bis heute liegt laut seinem Anwalt keine Anklageschrift vor. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) verfügt, dass aufgrund von zu langsamen Ermittlungen ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz vorliegt. Die Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Deshalb wurde Acil heute Nachmittag frei gelassen, das Verfahren geht allerdings weiter.
Deutschland beendet das, was Türkei begonnen hat
Yilmaz Acil selbst ist erst mal froh, seine Ehefrau und die vier Kinder wieder in Freiheit sehen zu können und blickt dem weiteren Verlauf des Verfahrens gelassen entgegen. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, was in irgendeiner Form rechtswidrig ist. Dass die Bundesrepublik völlig legale Aktivitäten von Kurd*innen kriminalisiert, sei nichts Neues. Gegen ihn werde ein politischer Prozess angestrengt, weil der deutsche Staat gerne „das beendet, was die Türkei begonnen hat“, so seine Ehefrau zuvor im ANF-Gespräch. Solange die Bundesregierung vor dem Staatsterror, den Menschenrechtsverletzungen und der aggressiven Kriegspolitik des AKP/MHP-Regimes die Augen verschließt und als Signal der Unterwürfigkeit gegenüber Erdoğan die kurdische Freiheitsbewegung PKK als „terroristisch“ brandmarkt, solange wird man immer wieder die Frage aufwerfen müssen: Wer unterstützt hier de facto den Terrorismus?