Wuppertal: Rat trifft Zielbeschluss für Gathe-Pläne, AZ soll weichen

Der Stadtrat Wuppertal hat grünes Licht für den Bau eines Gemeindezentrums des umstrittenen Islamverbands DITIB gegeben. Das Autonome Zentrum auf dem anvisierten Gelände soll abgerissen werden, die Betreibenden wollen kämpfen.

Der Stadtrat Wuppertal hat grünes Licht für den Bau einer Moschee gegeben. Mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, Grünen, FDP und Teilen der SPD votierten die Ratsmitglieder am Montagabend für den Zielbeschluss zum Bau eines neuen Gemeindezentrums des türkischen Islamverbands DITIB im Stadtteil Elberfeld. Damit wurde auch der Wille bekräftigt, das Autonome Zentrum (AZ) an der Gathe verschwinden zu lassen. Das Gebäude gehört der Stadt. Diese beteuert zwar, dass ein Ersatzgebäude gesucht würde; allerdings ist fraglich, ob es ein solches Gebäude überhaupt gibt. Ein wirkliches Angebot für ein Alternativgebäude sei dem AZ jedenfalls nicht gemacht worden, betonen die Betreibenden. Eher deutet vieles darauf hin, dass durch den Abriss des Gebäudes erst einmal Tatsachen geschaffen und die Autonomen um ihr Zentrum gebracht werden sollen. Diese haben nun angekündigt, den Kampf um ihr Haus, der lange befriedet schien, wieder aufzunehmen.

DITIB-Megakomplex mitten in Elberfeld

Das neue islamische Zentrum soll gegenüber dem bisherigen Standort der Gemeinde entstehen. Es geht um ein etwa 6.000 Quadratmeter großes Areal mit mehreren öffentlichen Platzflächen, auf dem sich nicht nur eine Moschee für 700 Personen (so viele, wie in der jetzigen Zentralmoschee genau gegenüber auch) befinden soll, sondern auch Lebensmittelläden, ein Kindergarten, betreutes Wohnen, Büros und eine Tiefgarage – ein Megakomplex also. Die Investitionskosten belaufen sich nach derzeitiger Planung auf rund 30 Millionen Euro. Ein Teil des Geldes solle über die Beteiligung von Investoren aufgebracht werden, Baurecht soll bis 2025 gegeben sein. Städtische Gelder sind nach Angaben einer Stadtsprecherin für den Bau des Gemeindezentrums nicht vorgesehen.

Das Problem: Die DITIB ist ein deutscher Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet und untersteht somit faktisch direkter Kontrolle des autoritären Erdogan-Regimes. DITIB ist die Abkürzung für Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. und wird als solche auch durch den türkischen Staat finanziert. In den Moscheen des Verbands wird für die Vernichtung der Kurdinnen und Kurden und Angriffskriege in Nordsyrien gebetet, der Völkermord an der armenischen Nation geleugnet und Antisemitismus verbreitet. Darüber hinaus werden dem Erdogan-Regime kritisch Gegenüberstehende durch Mitglieder der DITIB und ihr nahestehenden Organisationen ausspioniert und bedroht.


Die Wuppertaler DITIB-Gemeinde bestreitet dies und beteuert, „wichtige Integrationsarbeit“ im Quartier zu leisten. Die Stadtverwaltung unterstützt das Bauvorhaben – unter anderem mit Verweis auf die „gute Zusammenarbeit“ mit der islamischen Gemeinde vor Ort. Dabei dürften Rolle und Funktion der DITIB-Gemeinden in Deutschland spätestens seit den Razzien bei ihren Imamen 2017 auch bei der Wuppertaler Stadtverwaltung bekannt sein. Dennoch grünes Licht für die Realisierung eines neuen Gemeindezentrums für die DITIB zu geben, und damit auch die Gestaltung eines ganzen Stadtteils einer von Ankara kontrollierten, dubiosen Einrichtungen zu überlassen, lässt darauf schließen, dass es der Stadt Wuppertal offenbar nur um eine möglichst kostengünstige Aufwertung des städtebaulichen Erscheinungsbildes der Gathe geht.

AZ: Stadtrat verharmlost DITIB

Das AZ resümiert: „Die Stadt kuschelt weiter mit den angeblich so ‚netten langjährigen Weggefährten‘ von der DITIB und lässt sich von deren Kohle locken. Über die ‚paar‘ rassistischen, antisemitischen und faschistischen ‚Entgleisungen‘ von DITIB-Funktionären oder auf DITIB-Veranstaltungen sieht man bei SPD, CDU, FDP und Grünen gerne hinweg. Diese kommen ja auch bei Parteikolleg:innen durchaus mal vor und werden in den Parteien gewöhnlich ignoriert oder relativiert. Konsequenter Antifaschismus, Antisexismus und Antikapitalismus sind da schon eher ein Dorn im Auge und passen nicht gut zum Politikverständnis und der eigenen Wählerklientel. Ebenso verwehren wir uns gegen Applaus und Zustimmung für ein AZ an der Gathe, die mit rassistischen Begründungen unterfüttert sind.“

Geschichtsstunde zu türkischer Staatsgründung bei Abstimmung

Sprachlos machte auch die Debatte im Wuppertaler Stadtrat. Nicht so sehr das „erwartbare Gestammel von einigen Nazihinterbänkler:innen“, sondern die fortdauernde Verharmlosung der DITIB durch die ganz große Koalition von CDU, SPD, FDP bis zu den Grünen. „Der lokal eingehegte Sachverstand kombiniert mit einer schleimigen Lobhudelei für die Wuppertaler DITIB war unerträglich. Umso mehr freuen wir uns über die Enthaltungen und Nein-Stimmen aus den Reihen der SPD und der Grünen.“ Schlimm sei auch eine Geschichtsstunde zur türkischen Staatsgründung inklusive der Verharmlosung des Kemalismus und die Glorifizierung von Kemal Atatürk gewesen. Diese Geschichtsinterpretation scheine nach wie vor in der Wuppertaler SPD stark verankert zu sein. „Kein Wort zu den Massakern an den Kurd:innen in Dersim und kein Wort zur anhaltenden Leugnung des Genozids an den Armenier:innen auch durch (rechts) kemalistische Gruppen. Eine selbstkritische Beschäftigung mit der türkischen Nationalgeschichte sieht jedenfalls anders aus.“

AZ lässt Möglichkeit eines Bürgerbegehrens prüfen

Das AZ will jetzt prüfen lassen, ob die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens besteht, um den Ratsbeschluss wieder zu kassieren. Gegen den Megakomplex sprechen sich auch Anwohnende wie die Initiative Nachbarschaft Gathe, aber auch Organisationen wie Tacheles e.V., Seebrücke und die Partei die Linke aus. „Wenn das Bürgerbegehren zulässig ist, dann müssen wir nochmal alle Kräfte gemeinsam mobilisieren und Unterschriften sammeln“, erklärt das AZ und betont mit Blick auf die für den 14. Mai angesetzte Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei, dass es wichtig sei, gerade die nächsten Wochen und Monate für eine wirkungsvolle Kampagne gegen die „DITIBisierung und Erdoganisierung der Gathe und dem Rest der Welt“ zu nutzen. „Die jüngsten Ereignisse in Bursa, die pogromartigen antikurdischen Ausschreitungen gegen die Fußballer und Fans des kurdischen Vereins Amedspor zeigen, wie virulent der Hass nicht nur in der Türkei ist. Doch noch ist nichts zu spät! Wir halten – zusammen mit den türkischen und kurdischen Demokrat:innen und allen emanzipatorischen Kräften – an der Perspektive einer demokratischen und solidarischen Türkei für alle fest.“

Aktionsprogramm für die nächsten Tage und Wochen

Das AZ hat für die nächste Zeit bereits ein breites Programm an Aktionen und Veranstaltungen geplant: Heute geht es auf die Straße zum feministischen Kampftag. Um 18 Uhr startet die Feministische Tanzdemo am Willy-Brandt-Platz. Anschließend gibt es lecker Essen, Getränke und Pläne schmieden im AZ.

Am 15. März wird es um 20 Uhr eine Veranstaltung zum internationalen Tag gegen Polizeigewalt im AZ geben.

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Polizeigewalt ist am 18. März um 13:12 Uhr vor den City Arkaden ein Treffen zum Auftakt des polizeikritischen Stadtrundgangs angesetzt.

Am 14. April, zehn Tage vor dem internationalen Gedenktag an den Genozid an den Armenier:innen, findet um 19:00 Uhr eine Gedenkveranstaltung im Gezi-Gathe-Park statt. Im Anschluss wird der Film „The Cut” von Fatih Akin gezeigt.

Und am Wochenende vor dem 1. Mai ist ein großes AZ-Jubiläumswochenende mit Nachttanzdemo, Konzerten, Kundgebungen geplant. Am 1. Mai selber gibt es um 14 Uhr ein Treffen am AZ.

Weitere Termine zum Vormerken:

19. Mai 2023, 19:00 Uhr im Gezi-Gathe-Park: Gedenktag zum Völkermord an den Pontos-Griechen Gedenken und Input.

29. Mai 2023, 12:00 Uhr, Solingen Mitte, Neumarkt: „Solingen 1993 – Niemals vergessen – Unutturmayacağız!" Gedenkdemonstration zum 30. Jahrestag des mörderischen Brandanschlags von Solingen

31. Mai 2023, 19:00 Uhr, Gezi-Gathe-Park: 10 Jahre Kampf um den Gezi-Park in Istanbul. „Freiheit für die Gezi-Gefangenen! Freiheit für Osman Kavala!” Infoveranstaltung mit Aktivst:innen, anschl. Film „Istanbul United”

17. Juni 2023, Konzert mit der Istanbuler Band Bandista in Erinnerung an den Aufstand im Gezi-Park