„Während in der Türkei der Wahlkampf in die heiße Phase geht und AKP-Politiker:innen hierzulande volksverhetzende Reden halten, plant die Stadt Wuppertal offenbar, dem türkischen Präsidenten ein Wahlkampfgeschenk zu machen“, so der Beginn der Pressemitteilung, welche das Autonome Zentrum (AZ) Wuppertal am Dienstag veröffentlichte.
An der Gathe, einer wichtigen Verkehrsachse in Wuppertal, plant die lokale DITIB-Gemeinde seit einiger Zeit einen großen Moschee-Neubau, inklusive Gemeindezentrum, Kindergarten etc. Ein lokales Nachbarschaftsbündnis wehrt sich gegen diese Pläne, unter anderem auch das AZ. Letzteres ist unmittelbar von den Plänen betroffen, soll es doch ohne Alternativstandort verdrängt werden.
So heißt es weiter: „Wie einem Zielbeschluss zur Gathe zu entnehmen ist, will die Stadt den Plänen der DITIB zu ihren Bauvorhaben zustimmen. Wodurch wir aus unseren jetzigen Räumlichkeiten verdrängt werden würden. Nicht, weil das platzbedingt nötig wäre, sondern nur weil die DITIB es so will.“
„Jegliches Problembewusstsein abhanden gekommen“
Kritisiert wird auch die generelle Zusammenarbeit mit DITIB: „Noch vor fünf Jahren war der Vorbehalt in der städtischen Politik, mit dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde zusammenzuarbeiten, größer. Grund dafür war die Affäre um das Ausspionieren türkischstämmiger Bürger:innen durch Imame der DITIB. Und heute, nach dutzenden weiteren Skandalen und völkerrechtswidrigen Angriffen auf Nachbarländer durch Erdoğans Regime, scheint den politischen Verantwortlichen der Stadt Wuppertal jegliches Problembewusstsein der DITIB gegenüber abhandengekommen zu sein. Dabei hat sich nichts Grundlegendes geändert. Gerade erst wurden Presseartikel veröffentlicht, die Mitarbeiter:innen des türkischen Generalkonsulats in Düsseldorf vorwerfen, sensible Daten über vermeintliche Anhänger:innen der Gülen-Bewegung an türkische Polizeidienststellen weitergeleitet zu haben. Mitarbeiter:innen des Generalkonsulats sind auch gerne mal zu Gast bei der DITIB-Gemeinde in Wuppertal. Die DITIB Wuppertal selbst lud erst Anfang des Jahres zu einer Veranstaltung mit dem Historiker Mehmet Işık, welcher den Völkermord an den Armenier:innen relativiert und Kriegsverbrechen osmanischer Truppen rechtfertigt.“
Die Pläne entsprächen nicht den Interessen der Anwohner:innen, so das AZ: „Das alles wird von der Stadt ignoriert. Zu groß ist die Verlockung einer Imagekorrektur und vermeintlichen Aufwertung der Gathe, ohne dabei selbst in die städtische Kasse greifen zu müssen. Diese Aufwertung würde nicht nur für uns die Verdrängung von der Gathe bedeuten. Das Aufmotzen der Gathe mit angeblich 30 Millionen Euro Investition wird an den dringenden Problemen der meisten Menschen an und rund um die Gathe wenig bis gar nichts ändern. Zumal DITIB-Führung und Stadt sich scheinbar einig sind in der Bewertung des Lebensraumes Gathe als Schandfleck. Das ist eine ungeheuerliche Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die an und um die Gathe leben, dort Projekte und Gewerbe betreiben. Mit 30 Millionen Euro könnten eine Menge andere, sinnvollere Dinge gemacht werden, um Leben und Wohnen in unseren Viertel für ALLE zu verbessern!
Kein Alternativstandort für das AZ
Anfänglich wurde noch versichert, einen Alternativstandort für das AZ zu finden sei Voraussetzung für die Realisierbarkeit des Projekts. Doch noch bevor auch nur ein Vorschlag seitens der Stadt an uns herangetragen wurde, ist davon schon keine Rede mehr. Jetzt soll sich um eine Alternative für uns ,bemüht’ werden, sobald das Vorhaben der DITIB in trockenen Tüchern ist.“
„Kein Tag ohne ein autonomes Zentrum in Wuppertal“
Betont wird zudem, dass man sich wehren und am Tag der Entscheidung vor dem Stadtrat protestieren werde: „Aber wir lassen uns nicht verarschen! Und es wird keinen Tag ohne ein autonomes Zentrum in Wuppertal geben … Wenn am 6. März im Stadtrat über unsere Zukunft entschieden werden soll, werden wir ebenfalls zum Rathaus kommen. Und wir werden sicher nicht leise sein. Wir wollen kein Wahlkampfgeschenk für Erdoğan und keine DITIBisierung der Gathe! Wir bleiben laut, wir bleiben unbequem, wir bleiben an der Gathe. Gathe für Alle!“
Schließlich wird noch auf nächste Termine verwiesen:
8. Februar 2023, 19.00 Uhr, Sparkassenhochhaus: Die BV-Elberfeld entscheidet in öffentlicher Sitzung über das Wuppertaler Geschenk an Erdoğan
1. März 2023, 19.00 Uhr, Alte Feuerwache: Podiumsdiskussion zum Thema „Wie gefährlich ist die DITIB?”
50 Jahre Autonome Zentren in Wuppertal
Vom 28. April bis zum 1. Mai 2023 findet zudem das „AZ Wuppertal bleibt an der Gathe“-Jubiläums-Wochenende statt. Hierzu heißt es in der Vorankündigung: „50 Jahre Autonome Zentren in Wuppertal – 50 Jahre selbstverwaltete Zentren und soziale Bewegungen. 50 Jahre kein Tag ohne ...
Für das Wochenende vor dem 1. Mai planen wir eine wildes Tanz-Kampf-Wochenende. Wir werden von Freitag bis Montag mit Konzerten, Filmen, Lesungen, Gesprächen und Demonstrationen 50 Jahre Kampf für autonome Zentren feiern und für den Erhalt des Autonomen Zentrums an der Gathe kämpfen! Wir lassen uns nicht verdrängen und kämpfen für eine Gathe für alle! Wir überlassen Erdoğans DITIB nicht den Stadtteil!
Im Jahr 1973 schwappte die bundesweite Jugendzentrumsbewegung auch nach Wuppertal. Wie Zeitzeug:innen berichten, war ein wichtiger Motivator für eigene selbstverwaltete Räume eine Veranstaltung der Berliner Rauch-Haus-Besetzer:innen in Wuppertal. Auch die Scherben weilten damals in Wuppertal: Es ist von ,Zeitzeug:innen’ überliefert, dass die Scherben auf den Schusterplatz in der Elberfelder-Nordstadt ein Konzert gaben und im Anschluss das Opernhaus besetzten, um der Forderung nach selbstverwalteten (Jugend)Zentren Nachdruck zu verleihen.
Am 19. Mai 1973 gründete sich folgerichtig die Initiative für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum ISJ, am 17. September 1973 besetzten über hundert Jugendliche eine alte Villa im Zooviertel und forderten so ein selbstverwaltetes Jugendzentrum. Das war gleichzeitig die erste Hausbesetzung in Wuppertal nach 1945. Auch wenn die Polizei schnell die alte Villa an der Hubertusallee 16 räumte und die Hausbesetzer:innen wegen ‚Hausfriedensbruch‘ vor Gericht zerrte, war die Forderung nach einem selbstverwalteten Zentrum nicht mehr totzukriegen – bis heute!
Weitere Initiativen entstanden wie Haus e.V. in der Langerfelder Straße und in der Spitzenstraße, die Besetzungen in der Adlerbrauerei, Reichsstraße, Hedwigstraße, die Kneipe im Taubenschlag und das AZ in der Uellendahler Straße, die besetzte Munofabrik an der Hochstraße, dann folgten das AZ an der Wiesenstraße und der Umzug des AZ in die Markomannenstraße.“