Wer Govend tanzt, wird verhaftet

Die Jagd auf vermeintliche „Terroristen“ in der Türkei wird immer absurder: Selbst das Tanzen zu kurdischer Musik macht neuerdings verdächtig. In Istanbul sind elf Kurd:innen verhaftet worden, weil sie mit Govend „Propaganda“ für die PKK betrieben hätten.

PKK-Propaganda

Die Jagd auf vermeintliche „Terroristen“ in der Türkei wird immer absurder: Selbst das Tanzen zu kurdischer Musik macht neuerdings der angeblichen Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verdächtig. Mit dieser Begründung wurden nun in Istanbul elf Kurdinnen und Kurden verhaftet, nachdem sie am Samstag bei überfallartigen Polizeirazzien in verschiedenen Bezirken der Metropole in Gewahrsam genommen worden waren. Ihr Vergehen: Kreistänze, auf Kurdisch „Govend“, auf Hochzeiten. Das jedenfalls teilte die Oberstaatsanwaltschaft Istanbul mit.

Die Behörde begründete ihr Vorgehen damit, dass der Verdacht gegen die „Beschuldigten“ sich dadurch erhärte, dass diese zu Liedern getanzt hätten, die „eindeutig zugunsten der PKK“ geschrieben worden seien. Gegen sieben weitere Personen, die am Vortag im Rahmen derselben Ermittlungen festgenommen wurden, verhängte das zuständige Gericht polizeiliche Meldeauflagen. Sie müssen nun regelmäßig bei den Behörden vorstellig werden und dürfen das Land nicht verlassen. Ob und wann Anklage in dem Fall erhoben wird, ist derweil noch unklar.

Der Fall der Verhafteten in Istanbul ist der jüngste einer neuen Repressionswelle gegen die kurdische Gesellschaft in der Türkei. In den vergangenen Tagen war es bereits in der südtürkischen Küstenstadt Mersin sowie in den kurdischen Provinzen Agirî (tr. Ağrı) und Sêrt (Siirt) zu Festnahmen und Inhaftierungen aufgrund gleichlautender Vorwürfe gekommen, deren Grundlage Denunzierungen regierungsnaher Internet-Trolle in sozialen Medien sind. Diese verbreiten Videos von Menschen, die zu kurdischer Musik tanzen, und erklären sie zum Angriffsziel.

Ein Gericht in Sêrt etwa hatte unlängst einen Eintrag auf dem X-Profil eines Denunzierungs-Accounts als Indiz gewertet, gegen vier Frauen, darunter zwei 17-Jährige, Untersuchungshaft wegen PKK-Propaganda anzuordnen. Eine 42 Jahre alte fünfte Beschuldigte kam in den Hausarrest. Die Anwaltskammern aus 14 Provinzen des Landes verurteilten den neuen Repressionsschlag am Samstag in einer gemeinsamen Stellungnahme und mahnten die türkische Justiz, sich nicht zum „Partner der Hetze in sozialen Medien“ zu machen.

Es sei eines Rechtsstaats unwürdig und gefährde den ohnehin fragilen gesellschaftlichen Frieden, dass die Justiz sich von Internet-Trollen steuern lasse, hieß es in der Erklärung der Kammern. „Es ist inakzeptabel, dass die Sicherheitspolitik des Staates und die Justiz ins Spiel kommen, sobald es um die Kurdinnen und Kurden und die kurdische Frage geht. Die freie Meinungsäußerung ist durch nationale Gesetze und internationale Konventionen, denen wir beigetreten sind, gesetzlich geschützt. Das gilt auch in Bezug auf kurdische Musik und Slogans.“