Wahlbeobachtung in Amed: Lebensfreude im autoritären Wahnsinn

Emily Laquer beobachtet heute die Wahlen in der Türkei. Über ihre ersten Eindrücke berichtet sie im ANF-Interview aus Amed.

Heute finden in der Türkei die vorgezogenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Um diese im Vorfeld und am Wahltag selbst zu begleiten und zu beobachten, haben sich aus ganz Europa Wahlbeobachtungsdelegationen eingefunden. Wir haben in Amed (Diyarbakir) mit Emily Laquer gesprochen, die sich der Delegation aus Hamburg angeschlossen hat.

Emily, aus welchen Zusammenhängen kommst du und wie setzt sich der Rest eurer Gruppe zusammen?

Wir sind neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich im Hamburger Solidaritätskomitee für Afrin, in DIE LINKE Altona oder der Interventionistischen Linken verorten, in der auch ich organisiert bin.

Ihr seid nach Bakur (Nordkurdistan) gefahren und befindet euch nun in Amed. Wie lange bleibt ihr dort und wie sieht euer Programm aus?

Wir bleiben nur von Freitag bis Montag, um dem Aufruf der HDP zur internationalen Wahlbeobachtung zu folgen. In den letzten Jahren wurde die Opposition in der Türkei eingeschüchtert, körperlich angegriffen und zu Tausenden inhaftiert. Die Medien sind fest in Regierungshand und wer aufmuckt, setzt sich dem Terrorvorwurf aus. Wir sind hier, weil wir mit unserer Anwesenheit Wahlbetrug erschweren und die Menschen ermutigen wollen, das Regime abzuwählen.

Wie war der erste Tag in Amed? Was sind eure Eindrücke?

Ein Aktivist der Sur-Platform hat uns die Überreste der planierten Altstadt gezeigt. Mit dem Krieg gegen die eigene Bevölkerung hat die AKP-Regierung in Sur – ebenso wie in vielen anderen nordkurdischen Orten – historische, teils uralte Gebäude für immer zerstört, Tausende Menschen vertrieben und die Stadtverwaltung der HDP abgesetzt. Später haben wir uns mit Genoss*innen der HDP getroffen und eine selbstverwaltete Frauenkooperative besucht. Alleine in Amed hat das AKP-Regime 45 Frauenorganisationen verboten. Mich hat beeindruckt, dass sich die Menschen trotz Repression und Einschüchterungen ihre entschlossene Gelassenheit und ihre Hoffnung auf ein freies Leben bewahrt haben.

Wo werdet ihr am Wahltag sein?

Wir werden in kleinere Gruppen in und um Amed aufgeteilt und jeweils von einer Anwält*in und Übersetzer*in begleitet. Eine Lehrerin erzählte mir, sie wünsche sich morgen in einer freien Türkei aufzuwachen. Ich kann nur hoffen, dass sich die Menschen hier nicht entmutigen lassen und massenhaft zur Wahl gehen. Die Erdoğan-Diktatur ist nicht für immer, und das weiß er selbst. Die Diktatur braucht ein Klima der Angst und des Ausnahmezustands, um sich ihre Mehrheiten irgendwie zu sichern.

Wenn ihr wieder zurück seid, werdet ihr von euren Erfahrungen berichten?

Ja, unbedingt. Ort und Zeit werden aber noch besprochen. Der Blick auf die Türkei zeigt uns in Deutschland, was es heißt, in Zeiten des Ausnahmezustands für eine bessere Welt zu kämpfen. Im letzten Jahr wurden Polizei- und Strafgesetze in Deutschland verschärft, Aktivist*innen wurden nach den G20-Protesten zur Fahndung über die Medien ausgeschrieben, Fabio saß monatelang unschuldig im Knast. Die Opposition in der Türkei zeigt uns, dass kämpfende Bewegungen sich nicht selbst die Schuld an Repression geben dürfen; dass man in einer autoritärer werdenden Welt nicht aus Angst den Mund halten darf. Und wenn man sich die inhaftierten Genoss*innen ansieht: Wie man sich in diesem autoritären Wahnsinn den aufrechten Gang, aber auch die Lebensfreude erhält.