Veranstaltung von „Defend Kurdistan“ in Witten

Auf einer Veranstaltung in Witten haben Aktivist:innen von „Defend Kurdistan“ über ihre Eindrücke als Wahlbeobachtungsdelegation in der Türkei berichtet und die derzeitige politische Praxis in Deutschland hinterfragt.

Zwischen Manipulation, Hoffnung und Solidarität

Im soziokulturellem Zentrum Trotz Allem in Witten hat am Samstagabend eine Infoveranstaltung über die Wahlbeobachtung in den kurdischen Gebieten in der Türkei Ende März 2024 stattgefunden. Zwei Aktivist:innen von „Defend Kurdistan“ schilderten ihre Eindrücke in den Provinzen Colemêrg (tr. Hakkâri) und Bedlîs (Bitlis) und berichteten, sie seien mit über 120 Wahlbeobachter:innen aus verschiedenen europäischen Ländern nach Nordkurdistan/Osttürkei gereist und hätten Kandidat:innen der DEM-Partei begleitet. Wie schon in der Vergangenheit seien die Wahlen von Einschüchterung, dem Kauf von Wählerstimmen und der Verschiebung von Stimmberechtigten in andere Regionen geprägt gewesen. Die Delegation habe ungefähr 150 Wahllokale besichtigt und der Ablauf der Stimmabgabe vor Ort beobachtet.

An der Infoveranstaltung nahmen 30 Menschen teil und beteiligten sich an einer anschließenden Diskussion über die gesellschaftliche Organisierung in Deutschland in Anlehnung an die demokratische Selbstverwaltung in Kurdistan.

Massive Verschiebung von Wählerstimmen

Die Referent:innen berichteten, in der an Irak und Iran angrenzenden Provinz Colemêrg sei beobachtet worden, dass die AKP mit einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr am Wahltag und Geldspenden an Personen versucht habe, die lokale Bevölkerung zu bestechen. Zudem wäre es an den Wahllokalen zur Einschüchterung der Wähler:innen durch eine starke Militär- und Polizeipräsenz gekommen. In der Provinz Bedlîs sei am Vortag der Wahl versucht worden, vorgestempelte Stimmzettel für die AKP in einer Urne in das Wahlbüro zu bringen. In einem Wahllokal wurde der Versuch einer mehrfachen Stimmabgabe durch einzelne Personen beobachtet. Zudem seien vor der Wahl bis zu 2000 Soldaten und Polizisten in Bedlîs registriert worden, um für die AKP zu stimmen. Insgesamt habe in Nordkurdistan ein gezielter Wählertransfer von 46.901 Staatsbediensteten wie Polizisten und Soldaten stattgefunden. An vielen Orten sei eine massive Präsenz von Militär und Polizei beobachtet worden. Der Einsatz von Sicherheitskräften habe zu einer Verringerung der Wahlbeteiligung der lokalen kurdischen Bevölkerung geführt.

Hoffnung und Kraft der kurdischen Bevölkerung

Während der Wahlbeobachtung wurden viele Gespräche mit der kurdischen Bevölkerung und Politiker:innen der DEM-Partei geführt, so die Referent:innen. Kandidat:innen hätten berichtet, dass sie trotz drohender Gefängnisstrafen zur Wahl angetreten seien, um sich mit für eine soziale und demokratische Lokalpolitik einzusetzen. In der lokalen Bevölkerung sei während und nach der Wahl sowohl Hoffnung und Stärke als auch Frustration zu spüren gewesen. Die Anerkennung des Wahlsiegs der DEM-Partei in Wan sei erst durch tagelange Proteste durchgesetzt worden. Bei den Protesten wäre die ganze Gesellschaft auf der Straße gewesen, die Menschen in Wan hätten damit eine neue Epoche des Widerstandes eingeleitet.

Von der gesellschaftliches Praxis in Kurdistan lernen

In der anschließenden Diskussionsrunde wurde die Frage aufgeworfen, wie der Weg zu einer gesellschaftlichen Selbstverwaltung in Deutschland inspiriert durch die jahrzehntelangen Erfahrung in Kurdistan aussehen kann. Dabei wurde die derzeitige politische Praxis vor Ort kritisch hinterfragt und festgestellt, dass es eine gemeinsame Perspektive und Strategie braucht. Für den weiteren Weg wurde eine grundlegender Mentalitätswandel als zentraler Aspekt angesehen, die Jugend und die Frauen müssten Vorreiter:innen sein. Aufgrund der zunehmender Militarisierung der deutschen Gesellschaft wurde eine Stärkung der antimilitaristischen Bewegung als wichtig empfunden. Dafür wurde zur Teilnahme an dem Camp von „Rheinmetall entwaffnen“ in Kiel vom 3. bis 8. September aufgerufen, wo neben direkten Aktionen gegen Militär und Rüstungsindustrie über Strategien für einen Kampf diskutiert werden soll.