Wan: „Wenn die Jugend der Motor der Revolution ist“
Eine internationalistische Jugenddelegation, die zur Wahlbeobachtung nach Kurdistan gereist war, berichtet über den erfolgreichen Widerstand der Bevölkerung nach dem politischen Putsch in Wan.
Eine internationalistische Jugenddelegation, die zur Wahlbeobachtung nach Kurdistan gereist war, berichtet über den erfolgreichen Widerstand der Bevölkerung nach dem politischen Putsch in Wan.
Die internationalistische Jugenddelegation, die sich zu den Kommunalwahlen in Amed (tr. Diyarbakir) aufgehalten hat, begab sich nach Bekanntgabe des politischen Putsches in Wan (Van) auf den Weg in die Stadt. In Wan waren dem kurdischen Politiker Abdullah Zeydan, der zusammen mit Neslihan Şedal für die DEM-Partei als Ko-Bürgermeister kandidiert hat und die Wahl mit großer Mehrheit gewann, auf Anordnung der türkischen Regierung die Bürgerrechte entzogen worden. Die Bevölkerung ging daraufhin zum Protest gegen diese Entscheidung auf die Straße. Am Mittwochnachmittag konnte der Erfolg des Protestes verkündet werden, der Hohe Wahlausschuss hat nach dem Widerspruch der DEM-Partei entschieden, den Wahlsieger Abdullah Zeydan zuzulassen. Die internationalistische Jugenddelegation berichtet zu den erlebten Ereignissen:
Die internationalistische Jugenddelegation in Wan
Als das AKP-Regime verkündete, dass sie das Oberbürgermeisteramt von Abdullah Zeydan (DEM-Partei) nicht anerkennen werde, und plante, statt ihm einen AKP-Kandidaten einzusetzen, sind wir direkt zur Kundgebung vor dem Wahlausschussbüro in Amed gefahren. Die Menschen kamen dort spontan zusammen und unter anderem hielt die frisch gewählte Ko-Oberbürgermeisterin von Amed, Serra Bucak, eine Pressekonferenz ab.
Daraufhin fuhren wir ins DEM-Parteibüro in Amed, um eine kleine Krisensitzung über die aktuelle Lage abzuhalten. Wir beschlossen, gemeinsam am nächsten Morgen nach Wan zu fahren, um dort den Serhildan (Aufstand) zu unterstützen.
Unser Weg führte uns durch viele Städte, Dörfer und über schneebedeckte Berge. Nach einer sechsstündigen Busfahrt und mehreren Militärcheckpoints kamen wir schließlich in der Hauptstadt des Widerstandes an. Als wir in die Stadt fuhren, sahen wir bereits die Spuren der Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei. Wir fuhren vorbei an abgebrannten Barrikaden, während wir in der Ferne schwarzen Rauch sahen. Ebenfalls waren die schwer gepanzerten Militärfahrzeuge an fast jeder Ecke nicht zu übersehen. Trotz einer bedrohlichen Atmosphäre, welche unter anderem durch die ständigen Explosionen von Tränengasgranaten erzeugt wurde, blickten wir in sehr hoffnungsvolle Gesichter von sehr jungen bis sehr alten Menschen.
Beim Aussteigen wurden wir von Militärs beobachtet und fotografiert, weshalb wir uns beeilten, möglichst schnell in das Innere des DEM-Parteibüros zu gelangen. Dort angekommen, versammelten wir uns im Jugendraum der Partei. Mit der Zeit kamen immer mehr Jugendliche zu uns, die gezeichnet waren von Tränengas und einer Nacht voller Widerstand und Hoffnung. Die Freund:innen waren sehr ausgelaugt und scheuten dennoch keine Mühe, dass wir uns möglichst sicher fühlen und die aktuelle Situation gut im Kontext ihres Kampfes für demokratische Selbstbestimmung verstehen können. Mit gebrochenem Kurdisch, Englisch und letztendlich Google-Übersetzer konnte uns auch die Sprachbarriere nicht trennen. Nicht nur durch ihre Worte haben wir ihren Kampfgeist, den Geist der Jugend erleben können. Wir haben wirklich sehen können, was es bedeutet, wenn die Jugend der Motor einer Revolution ist. Die internationale Solidarität und der gemeinsame Kampf fanden sich auch im Singen revolutionärer Lieder wieder.
„Es geht ums Leben und ums Überleben“
Im Laufe des Tages versuchten wir, so unauffällig wie möglich vom Balkon und hinter zugezogenen Gardinen das Geschehen auf der Straße zu beobachten. Währenddessen sammelten wir auf Social Media Eindrücke und teilten diese mit Freund:innen in unseren Heimatländern, in denen unterdessen ebenfalls solidarische Proteste stattfanden. Während wir uns überlegten, wie wir nach Einbruch der Dunkelheit weiter agieren wollten, erreichten uns aus dem Innenhof plötzlich Jubelrufe. Sofort stürmten wir auf den Balkon und erfuhren, dass der Widerstand des kurdischen Volkes Abdullah Zeydan in sein rechtmäßig erkämpftes Bürgermeisteramt gehoben hat. Der siegreiche Kandidat, der die gute Nachricht verkündete, konnte sich vor Glückwünschen kaum retten. Der Putschversuch des AKP-Regimes konnte hier durch den Willen der Bevölkerung vereitelt werden. Die Freude über diesen historischen Moment zeigte sich sogleich auf den Straßen der Stadt. Dort, wo in den vergangenen Tagen Zehntausende Menschen Straßenschlachten mit dem Regime ausgetragen haben, feierten nun Zehntausende den Sieg der Gerechtigkeit. Hupkonzerte und Feuerwerk vor einem Fahnenmeer breiteten sich schnell über die Straßen aus, bis sie die ganze Stadt erfüllten. Auch wir haben uns den feiernden Menschen angeschlossen und die Kraft einer kämpfenden und siegenden Bewegung gespürt. Wir waren sehr beeindruckt zu sehen, was es heißt, wenn sich eine ganze Bevölkerung erhebt. Die Menschen in Bakur (Nordkurdistan) haben gezeigt, dass sie niemals aufhören werden zu kämpfen. Denn es geht um Menschlichkeit, es geht ums Leben und ums Überleben.
Wir feierten bis tief in die Nacht hinein, bis der neue Tag anbrach: der 4. April, der Geburtstag von Abdullah Öcalan. Seine Bedeutung für die Bewegung war die ganze Zeit spürbar. Abdullah Öcalan war es, der Kurdistan als Kolonie definiert und dem kurdischen Volk seine Identität bewusst machte. Er war es, der dieser kämpfenden Bewegung den Weg geebnet hat. Und nun ist es an der Zeit, dass die Bewegung den Weg ebnet für seine Freiheit. Wir befinden uns in einer Zeit des Aufbruches, einer Zeit, in der alles möglich scheint.