Isolationshaft bei politischen Gefangenen
Unter dem Titel „Menschenrechte hinter Gittern - Politische Gefangene in Europa“ hat am Mittwoch eine Podiumsdiskussion an der Universität Hamburg stattgefunden. Es sprachen der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Stefan Oeter, Sejal Mapila vom Verein für Demokratie und internationales Recht (MAF-DAD) sowie Reimar Heider von der Internationalen Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan“.
Stefan Oeter ging in seinem Beitrag auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte des Völkerrechts ein, das ein Verbot von Folter zum Inhalt hat. Langandauernde Einzelhaft sei demnach problematisch und ein Verstoß gegen Artikel 7. Abdullah Öcalan habe seit 2011 keinen Kontakt zu seinem Anwaltsteam und werde auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali isoliert. Hier werde gegen die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen verstoßen, die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln. Die Behandlung Öcalans sei sensorische Deprivation, die verboten sei. Die Türkei blockiere die Veröffentlichung von Berichten des Antifolterkomitees CPT, einer Einrichtung des Europarates.
Unrechtsystem Imrali
Sejal Mapila ging zunächst auf die Geschichte der Inhaftierung Öcalans ein und erklärte, es gebe eine 14-Tage Regelung, die als Grenze der maximalen Einzelhaft vielfach genannt werde. MAF-DAD habe eine Beschwerde beim Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen eingereicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe bereits vor Jahren auf das „Recht auf Hoffnung“ im Fall Öcalan und weiterer Gefangener aufmerksam gemacht. Eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne ein Recht auf Überprüfung verstoße gegen die Menschenwürde.
Reimar Heider beschrieb die Situation Abdullah Öcalans als Willkür, als ein spezielles System, das nicht auf Rechtsgrundsätzen basiere, sondern Rache sei. Öcalan könne seit seiner Verschleppung kein lebendiges Wesen berühren, nicht einmal einen Grashalm. Man habe sogar das Gras auf seinem Hof entfernt, die Mauern seien so hoch, dass er nur den Himmel und nicht etwa Bäume sehen könne. All das habe zum Ziel, ihn psychisch zu zerstören. Dies sei jedoch nicht gelungen. Öcalan habe im Gefängnis Bücher geschrieben, um eine Lösung der kurdischen Frage voranzutreiben. Acht Mal sei das CPT seit 1999 nach Imrali gereist, einmal sogar in einer Ad-hoc-Aktion, nachdem bekannt wurde, dass in Haarproben von Öcalan Gift gefunden wurde. Nach 2009 seien weitere Gefangene nach Imrali verlegt worden. „Wir wissen nicht, ob sie noch leben“, so Heider, denn auch zu ihnen bestehe absolut kein Kontakt. Seit dreieinhalb Jahren befänden sich die vier Gefangenen auf Imrali in Totalisolation. Nach der Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei sei speziell für Öcalan die „verschärfte lebenslange Freiheitsstrafe“ ohne Aussicht auf Entlassung eingeführt worden. Laut Schätzungen seien inzwischen 1500 Menschen von dem Sondergesetz betroffen.
Türkei ist ein „hardcore-autoritäres Regime“
Sejal Mapila erklärte, in der jetzigen Lage habe man sehr wenig Möglichkeiten, Druck auf die Türkei auszuüben. Internationale Institutionen funktionierten immer schlechter, so sei zum Beispiel Russland aus dem Europarat ausgetreten. Diese Institutionen würden zunehmend ihren Sinn verlieren, wenn die Mitgliedsstaaten sich nicht an die Vereinbarungen halten würden.
Oeter bezeichnete die Türkei als „hardcore-autoritäres Regime“, das keine Dissidenz mehr zulasse. Er selbst sei seit 2015 nicht mehr in die Türkei gereist, da er befürchte, dass auch er dort als Terrorist verfolgt werden könne, weil er sich kritisch gegenüber der Menschenrechtspraxis geäußert habe. Aufgabe von Jurist:innen sei es, die Fragen wachzuhalten und Verstöße zu skandalisieren. Es gebe viele blinde Flecken.
Rechtswissenschaft muss sich für Einhaltung von Menschenrechtsstandards einsetzen
Ein gemeinsames Fazit aller drei Redner:innen war, dass Jurist:innen sich verantwortlich fühlen müssten Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und Stellung zu beziehen. Um die moralische Verpflichtung zu betonen, wurde von einem „Hippokratischen Eid“ für Jurist:innen gesprochen.
Besonders der Fall Abdullah Öcalan verdeutliche, wie dringend internationale Institutionen wieder gestärkt werden müssen, um effektiv Druck auf die Staaten auszuüben, die grundlegende Menschenrechte missachten.
Das „Imrali-System“ sei ein erschreckendes Beispiel für die Anwendung willkürlicher Maßnahmen gegenüber politischen Gefangenen. Es sei die Aufgabe der Rechtswissenschaft, diese Themen wachzuhalten und sich aktiv für die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards einzusetzen.