Zeit für DEM in Kurdistan
Bei der Kommunalwahl in der Türkei ist die republikanische Oppositionspartei CHP stärkste Kraft geworden. Die Wahlbehörde bestätigte am Montag die Niederlage von Recep Tayyip Erdoğans islamistischer AKP, die sich bereits am Sonntagabend abgezeichnet hatte. Die CHP habe vorläufigen Ergebnissen zufolge landesweit 35 der 81 Bürgermeisterämter gewonnen, sagte der Leiter der Wahlbehörde, Ahmet Yener, in Ankara. Die herrschende AKP ist damit erstmals seit ihrer Gründung 2002 nur zweitstärkste Kraft in einer Kommunalwahl. Sie gewann 24 Bürgermeisterposten und lag mit 35,5 Prozent der Stimmen über zwei Prozentpunkte hinter der CHP. Das amtliche Endergebnis steht noch aus.
Die Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie (DEM), die die Nachfolge der von einem Verbotsverfahren bedrohten HDP übernommen hat, gewann in zehn Provinzen das Bürgermeisteramt. Darüber hinaus war sie auch in 65 Landkreisen, Bezirken und Gemeinden stärkste Kraft, landete aber im prozentualen Landesdurchschnitt mit 5,7 Prozent der Stimmen auf dem vierten Platz. Dennoch gelang es der DEM, nach der vorigen Kommunalwahl 2019 unter Zwangsverwaltung gestellte Kommunen zurückzuerobern und neue hinzuzugewinnen. In einigen wichtigen Provinzen holte sie sich zudem ihre vor fünf Jahren verlorene Mehrheit zurück.
In der Nacht sah es allerdings noch so aus, dass die DEM auf insgesamt 77 gewonnene Kommunen kommt. Nach Auszählung aller Stimmen in den betreffenden Landkreisen Bedlîs und Qilaban fiel das vorläufige Ergebnis dann doch zugunsten der AKP aus. Dabei handelt es sich um Wahlkreise, die mit einem Stimmenvorsprung im zwei- oder dreistelligen Bereich „gewonnen“ haben, aber auch auf weit mehr als tausend ungültige Stimmen kamen. Gleiches Szenario spielte sich auch in mindestens zehn weiteren Hochburgen der demokratisch-kurdischen Opposition ab. Die DEM hat die Ergebnisse angefochten.
Ausnahmslos alle diese Wahlkreise verbindet, dass Ortsfremde sich in unverhältnismäßig hoher Anzahl an der Wahl beteiligten. Die DEM hatte zuvor bekannt gegeben, dass mindestens 46.000 Staatsbedienstete – hauptsächlich Militärs und Polizeibeamte – in die kurdischen Provinzen transferiert worden waren, um dort den Wahlausgang zugunsten der Regierungskoalition aus der islamistischen AKP und der rechtsradikalen MHP zu beeinflussen. Letztere gewann landesweit acht Bürgermeisterposten, wie der Wahlbehördenleiter Yener weiter sagte. Die ebenfalls islamistische „Neue Wohlfahrtspartei“ gewann zwei der Ämter, wurde allerdings im Landesdurchschnitt drittstärkste Kraft (6,2 Prozent).
Die Wahlbeteiligung fiel geringer als bei vergangenen lokalen Abstimmungen aus: Sie habe zwischen 78,1 und 80,7 Prozent gelegen, sagte Yener. 2019 hatten laut offiziellen Angaben rund 84 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme bei der Kommunalwahl abgegeben. Damals hatte die HDP in 65 Kommunen mit großem Abstand gewonnen. Die türkische Regierung ließ in 48 dieser Kommunen die gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister absetzen und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzen. In sechs Kommunen konnten die Gewählten ihr Amt gar nicht erst antreten, weil die Wahlbehörde ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden die bei der Wahl unterlegenen AKP-Kandidaten ins Bürgermeisteramt gehievt. Dutzende Bürgermeister:innen landeten unter erfundenen Terrorverdächtigungen im Gefängnis. Zuletzt wurden nur noch sechs Rathäuser von der HDP regiert.