Türkei: Syrischer Flüchtling in Samsun erstochen
In der türkischen Schwarzmeerprovinz Samsun ist ein 16 Jahre alter syrischer Flüchtling von einem rassistischen Mob getötet worden.
In der türkischen Schwarzmeerprovinz Samsun ist ein 16 Jahre alter syrischer Flüchtling von einem rassistischen Mob getötet worden.
Erneut ist in der Türkei ein syrischer Flüchtling ermordet worden. Bei dem jüngsten Opfer handelt es sich um den 16-jährigen Ayman Hammami. Er wurde am Sonntag in der türkischen Schwarzmeerprovinz Samsun von Rassisten mitten auf der Straße erstochen. Sein Bruder Ibrahim Hammami holte in dem Moment Hilfe bei der Polizei. Gegenüber der Tageszeitung Evrensel hat er sich zum Mord an Ayman geäußert.
Laut Ibrahim Hammami haben er und sein Bruder um etwa 18 Uhr ihren Arbeitsplatz, eine Bäckerei im Bezirk Vezirköprü, verlassen. Mit zwei ihrer Cousins hätten sie sich an den Straßenrand gestellt, Ibrahim habe auf seinem Mofa gesessen. Währenddessen habe neben ihnen ein schwarzer Wagen angehalten. „Die vier Insassen haben uns beschimpft und rassistisch beleidigt. ‚Verpisst euch aus unserem Land zurück nach Syrien‘, hat es unter anderem geheißen. Weil wir an den Rassismus hier gewöhnt sind, zeigten wir keine Reaktion. Nach einer Weile kamen sie zurück. Es waren genau zwanzig Personen, die uns mit ihren Fahrzeugen den Weg abschnitten. Unter ihnen waren auch die vier Personen aus dem schwarzen Wagen. Sie waren weggefahren, um ihre Freunde zu holen. Zwei von ihnen hielten ein Messer in der Hand. Wir sagten ihnen, dass wir doch Brüder seien, sie uns in Ruhe lassen sollten, aber es war ihnen egal. In dem Moment sah ich in der Ferne ein Polizeiauto, sprang auf mein Mofa und fuhr hinterher. Als ich mit den Beamten zurück am Ort des Geschehens war, lag Ayman in seinem eigenen Blut. Wir waren zu spät.“
Ayman Hammami, Quelle: Gazete Karınca
Ibrahim Hammami ergänzt, dass es sich bei der Gruppe der Angreifer um junge Leute gehandelt habe. Zuvor seien sie sich hin und wieder begegnet, aber Konflikte habe es nicht gegeben. „Wir leben seit bald neun Jahren in Samsun. Richtige Probleme hatten wir bisher aber nicht.“ Ayman habe seit vier Jahren in der Bäckerei gearbeitet, für 50 Lira am Tag. „Er schuftete von morgens bis abends, nach Schichtende ging er in ein Jugendzentrum, wo er bei Kursen eingeschrieben war“, so Hammami. Die Beerdigung des Jugendlichen werde voraussichtlich am Dienstag stattfinden, dann sei auch die Obduktion abgeschlossen. „Meinen Eltern und restlichen Geschwistern geht es sehr schlecht. Wir fordern Gerechtigkeit.“
Nur eine Person festgenommen
Im Zusammenhang mit dem Mord ist bislang nur ein Tatverdächtiger festgenommen worden. Die Identität dieser Person wurde von den Behörden in Samsun als Z.Ç. angegeben. Ibrahim Hammami und seine Familie haben Anzeige gegen alle zwanzig Beteiligten erstattet. Warum nur eine einzige Person bisher in Gewahrsam genommen wurde, ist unklar.
Alltäglicher Rassismus gegen syrische Flüchtlinge
Erst vor vier Wochen war in Istanbul ein 21 Jahre alter syrischer Flüchtling von einem türkischen Rassisten erschossen worden. „Verpisst euch zurück nach Syrien“, soll der Täter geschrien haben, bevor er den jungen Mann mit zwei Schüssen niederstreckte. Syrische Flüchtlinge leben in der Türkei gefährlich. Die rund 3,7 Millionen Syrer*innen, die vor dem Krieg fliehen mussten und nun in der Türkei leben, sind Opfer eines alltäglichen Rassismus und dienen der Gesellschaft als Sündenbock. Für fast alle Probleme werden sie verantwortlich gemacht. Die hohe Arbeitslosigkeit und fallende Löhne werden ihnen ebenso angelastet wie steigende Mieten und die schlechte Wirtschaftslage im Land. In vielen Städten verdrängt die lokale Bevölkerung syrische Flüchtlinge durch rassistische Diskriminierung und körperliche Übergriffe aus dem öffentlichen Raum. Doch Handlungsbedarf sieht die türkische Regierung nicht. Statt gesellschaftlicher Aufklärung werden durch eine allgemeine hassbeladene Rhetorik nationalistische Gefühle immer mehr hochgekocht, die Rassismus und Diskriminierung weiter anfachen.
Antikurdischer Rassismus Alltag in der Türkei
Der antikurdische Rassismus prägt die Türkei seit jeher. Erst gestern wurde in der westanatolischen Provinz Afyon ein kurdischer Bauarbeiter von einem Rassisten erschossen. Vor eineinhalb Wochen wurde in Sakarya ebenfalls im Westen des Landes eine 16-köpfige Gruppe von Saisonkräften aus Şemrex (türk. Mazıdağı) bei Mêrdîn (Mardin) von einem türkischen Landwirt und seinen Verwandten beinahe gelyncht. Der Mob bestand sowohl aus zwei Söhnen des Besitzers der Haselnuss-Plantage, auf der die Erntehelfer*innen seit mehr als zwei Wochen gearbeitet hatten, als auch aus weiteren Bewohnern des Ortes. Auf Videoaufnahmen war zu erkennen, wie die Saisonarbeiter*innen von mehreren männlichen Personen attackiert werden, eine 15-Jährige wird sogar geohrfeigt. Zwei dringend Tatverdächtige, die nach dem rassistischen Angriff erst infolge öffentlicher Profeste festgenommen worden waren, befinden sich inzwischen wieder auf freiem Fuß.