Die von Recep Tayyip Erdoğan dirigierte Türkei baut schrittweise ein Regime auf, in dem Mandatsträger nicht mehr gewählt, sondern ernannt werden. Um diesem Ziel näher zu kommen, schaltet die unter Erdoğans Kontrolle stehende Justiz oppositionelle Kräfte aus, allen voran die HDP. Erneut sind im türkischen Parlament in Ankara und in der Verfassungskommission Anträge zur Aufhebung der Immunität von Abgeordneten eingereicht worden. Betroffen sind 23 Politiker*innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und fünf der Republikanischen Volkspartei (CHP).
Die AKP hat den Putschversuch vom 15. Juli 2016 als Gelegenheit genutzt, im Ausnahmezustand einen politischen Coup zu inszenieren. Mit der MHP als Koalitionspartner unternahm die Regierung als erste Amtshandlung den Versuch, die Kommunalverwaltungen ihres Willens zu berauben. Diesem Prozess folgte schrittweise die Ausschaltung der kritischen Medien, die Rückdämmung der Zivilgesellschaft. Auch fast zwei Jahre nach Aufhebung des Ausnahmezustands wird überall noch mit den Mitteln des Ausnahmezustandes agiert.
Von den Ermittlungsberichten, die am Freitag der türkischen Nationalversammlung vorgelegt wurden, betreffen allein acht den ehemaligen HDP-Vorsitzenden Sezai Temelli, vier die Politikerin Leyla Güven und jeweils drei Remziye Tosun und Gülistan Kılıç Koçyiğit. Auch ihren restlichen Fraktionskolleg*innen soll die parlamentarische Immunität entzogen werden. Was ihnen zum Vorwurf gemacht wird, ist unklar. Erst vor einer Woche waren mehrere Ermittlungsberichte gegen Sezai Temelli, Ayşe Acar Başaran und Şevin Coşkun eingereicht worden.