Tosun: „Mit der Verschärfung der Isolation wurde die Gesellschaft in Geiselhaft genommen”

Seit 22 Jahren wird der Vordenker der kurdischen Bewegung, Abdullah Öcalan, in Isolationshaft festgehalten. Die HDP-Abgeordnete Remziye Tosun hat mit ANF über die Bedeutung dieser Isolation für die Gesellschaft gesprochen.

Der PKK-Mitgründer und Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung, Abdullah Öcalan, ist seit dem 15. Februar 1999 im Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel İmralı inhaftiert. Öcalan und drei weitere politische Gefangene befinden sich dort in nahezu vollkommener Isolation. Der letzte Kontakt zur Außenwelt war ein vierminütiges Telefongespräch Öcalans mit seinem Bruder am 25. März. PAJK- und PKK-Gefangene in türkischen Haftanstalten befinden sich seit 147 Tagen in einem in Fünftagesschichten rotierenden unbefristeten Hungerstreik und fordern ein Ende der Isolation. Besuchsanträge von Öcalans Anwälten werden regelmäßig abgelehnt oder einfach ignoriert. Die HDP-Abgeordnete Remziye Tosun aus Amed (tr. Diyarbakir) hat mit ANF über die Isolation und die andauernden Hungerstreiks gesprochen:

„Abdullah Öcalan ist eine wichtige Figur für Recht, Demokratie und für die kurdische Frage. Mit der Isolation der Person Öcalan werden Kurdistan, die Türkei und der gesamte Nahe Osten unter Isolation gestellt. Die türkische und kurdische Gesellschaft sind durch seine Isolation quasi unter eine Blockade gestellt. Abdullah Öcalan ist Menschen auf der ganzen Welt ein Begriff geworden und er hat im Nahen Osten seine Gedanken in die Praxis umgesetzt. Millionen von Kurden sehen ihren Willen durch Öcalan repräsentiert. Seine Ideen sind sehr wichtig für die Völker des Nahen Ostens. Genau deshalb verschärft der Staat die Isolation mehr und mehr. Dieses Verhalten seitens des türkischen Staates schadet allen Völkern in der Türkei. Wir befinden uns in einer Situation, in der freies Denken als ‚Verbrechen‘ angesehen wird. Diese Situation kann nicht losgelöst von der Isolation auf İmralı betrachtet werden“, sagt Tosun.

Allen voran spüren Frauen die Folgen der Isolation“

Tosun betont, dass die Augen von Millionen von Kurden und Kurdinnen auf İmralı gerichtet sind, und führt aus: „Mithilfe der Isolation wird versucht, die Verbindung zwischen Öcalan und der Gesellschaft zu kappen. Diese Isolation wirkt sich nicht nur auf Kurden aus, die gesamte Türkei leidet darunter. Allen voran spüren Frauen die Folgen der Isolation. Seit Beginn der Isolation auf İmralı schießen die Zahlen ermordeter Frauen in die Höhe.

Zudem wird in Kurdistan im Zusammenhang mit der Isolation auch ein psychologischer Krieg gegen die kurdische Gesellschaft geführt. Die seit 22 Jahren bestehende Isolation wurde 2015 verschärft, und gleichzeitig begannen neue psychologische Angriffe auf die Gesellschaft. Mit der Verschärfung der Isolation wurde die Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Während des Bestehens der Selbstverwaltung hat der türkische Staat auf allen Wegen versucht, den Willen der Kurden zu brechen [2015 gründeten sich Volksräte zur Selbstverwaltung mehrerer nordkurdischer Städte, woraufhin die türkische Armee diese Städte belagerte und bombardierte]. Es sollte eine Mauer zwischen Öcalan und der Bevölkerung errichtet werden. Aber es ist nicht möglich, das Band zwischen Öcalan und der Gesellschaft zu zertrennen."

Die Freiheit der Frauen hängt auch von der Freiheit Abdullah Öcalans ab

Vor allem für die Befreiung der Frauen ist ein Ende der Isolation laut Tosun unerlässlich: „Der Kampf gilt nicht nur einem Ende der Isolation, wir müssen ihn ausweiten, um Öcalans physische Freiheit zu erreichen. ‚Ohne die Befreiung der Frauen kann es keine Befreiung der Gesellschaft geben‘, hat Öcalan gesagt. Jetzt wird versucht, den Kampf der Frauen durch die Isolation niederzuschlagen. Vor allem Frauen müssen deshalb Widerstand gegen die Isolation leisten. Die Freiheit der Frauen hängt auch von der Freiheit Abdullah Öcalans ab. Ein Ende der Isolation und die Freiheit Öcalans würde das Ende vieler Probleme des Nahen Ostens bedeuten und Frieden in die Region bringen.“

Tosun erinnert daran, dass das kurze Telefongespräch von Mehmet Öcalan mit seinem Bruder erst nach massivem gesellschaftlichen Druck zugelassen wurde: „Dass dieses Telefongespräch erlaubt wurde, zeigt die schwierige Situation, in der sich der Staat befindet. Der Staat hat des Gespräch erlaubt, um sich aus dieser Lage zu retten und gleichzeitig die Realität vor der Gesellschaft zu verstecken. Die von Öcalan am Telefon geäußerten Kritiken sind gerechtfertigt. Er hat gefordert, dass der Staat diese rechtswidrigen Vorgänge beendet und sich an internationales Recht hält. Die Isolation muss sofort beendet werden. Für die Türkei steht viel auf dem Spiel, sollte die kurdische Frage nicht auf demokratischem Weg gelöst werden. Und der Ansprechpartner für eine solche Lösung ist Abdullah Öcalan. Stattdessen verschärft die Regierungskoalition die Isolation, um ihr faschistisches System aufzubauen. Sie redet von Reform, aber wenn sie es ernst meinen würde, dann würde sie als erstes die Isolation Öcalans aufheben.“

Hungerstreiks

Tosun ging zudem auf die wichtige Rolle der hungerstreikenden Gefangenen in den türkischen Gefängnissen ein: „Hungerstreiks sind eine Methode, um in diesem festgefahrenen Zustand eine Lösung zu erreichen. Die Forderungen der hungerstreikenden Gefangenen müssen umgehend erfüllt werden, denn die momentane Situation stellt eine Bedrohung für ihr Leben dar. Aber bis jetzt haben der Staat und die zuständigen Behörden überhaupt nichts unternommen. Wir sind in einer Situation, in der kaum Kurden und Oppositionelle übrig bleiben, die noch nicht verhaftet wurden. Deshalb sehen sich die Gefangenen gezwungen, in den Hungerstreik zu treten. Ihren Forderungen muss umgehend Folge geleistet werden und die Isolation Abdullah Öcalans muss beendet werden. Isolation ist eine menschenunwürdige Praxis.“